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Kuriose Gewinner

Im Männertennis häufen sich wegen des übervollen Terminkalenders die Verletzungen. So sind bei den ATP-Finals in Turin nicht nur die Besten dabei

Kampf gegen den eigenen Körper: Novak Đoković bei Dehn­übungen während des Finals in Athen Foto: Louiza Vradi/reuters

Von Jörg Allmeroth

Als sich die Besten der Besten im Welttennis Ende letzter Woche zum üblichen WM-Gruppenfoto aufstellten, war die Misere offensichtlich. Denn vollzählig waren die Superstars der ATP Finals nicht angetreten, nur sechs Profis lächelten etwas bemüht in die Kameras. Zwei Leerstellen blieben. Denn während sich sechs Akteure bereits in Turin, dem Veranstaltungsort, auf den schwer promoteten Saison­höhepunkt vorbereiteten, gab es auf den allerletzten Drücker noch einen heftigen Qualifikationskampf.

Und der endete, peinlich genug, mit einer letzten fast komödiantischen Farce: Beim ATP-Turnier von Athen standen Novak Djokovic und der Italiener Lorenzo Musetti im Endspiel. Musetti musste gewinnen, um als achter Profi das Ticket für das Heimspiel in Turin zu lösen. Djokovic war bereits qualifiziert, hatte aber avisiert, eventuell auf die WM-Teilnahme zu verzichten. Djokovic gewann schließlich ein hochdramatisches Match, aber irgendwie war es auch viel Lärm um nichts in der WM-Saga. Am Netz teilte Djokovic dem Rivalen mit, er werde aus Verletzungsgründen nicht in Turin antreten. Musetti, der Verlierer, war also noch zum kuriosen Gewinner geworden. Geschlagen ging allerdings das Tennis selbst vom Platz, die Profiorganisation ATP.

Denn die Peinlichkeit von Athen auf der Zielgeraden dieser Saison brachte vieles auf den Punkt, was gerade im Herrentennis nicht stimmt: ein überfrachteter Terminkalender, kaum Struktur im Ablauf der Events, eine viel zu lange und zu anstrengende Saison – und als Konsequenz eine Verletzungshäufigkeit, die besonders den globalen Turnierveranstaltern die Sorgenfalten auf die Stirn treibt. Kürzlich, beim traditionellen ATP-Event in Basel­, war der malade Zustand der Tour in aller Eindringlichkeit zu bestaunen: Drei der vier Viertelfinals und eins der beiden Halbfinals endeten vorzeitig, mit der Aufgabe eines Spielers. „Am Turnierplan muss sich dringend etwas ändern“, sagt da Spaniens bester Tennisspieler Carlos Alcaraz, „sonst machen wir den Sport kaputt.“

Auch wenn viele der Tennis-Großmeister ihr Anliegen selbst torpedieren, wenn sie für lukrative ­Showwettbewerbe wie etwa den „Six Kings Slam“ in Saudi-Arabien zusagen, bleibt dennoch klar: Für die gesamte Tennis-Karawane ist die Turnierdichte viel zu groß. Und die Pausen zu schmal. Alexander Zverev, der am Sonntag souverän sein WM-Auftaktmatch in Turin gegen den Amerikaner Ben Shelton gewann (6:3, 7:6), verschleppt seit Monaten diverse kleinere und ­größere Wehwehchen. Um den Anschluss an die Spitze nicht zu verpassen, verzichtet der Olympiasieger auf eine selbst gewählte Pause. Zum Auskurieren lässt der Kalender aber auch keinen Raum. „Du steckst ständig in einer Zwickmühle. Die Situation ist einfach unbefriedigend“, sagt Zverev.

Drei Viertelfinals und ein Halbfinale bei einem Turnier in Basel endeten vorzeitig, mit der Aufgabe eines Spielers

Von Entschlackung des Arbeitspensums konnte zuletzt auch keine Rede sein. Im Gegenteil: Mit der weiteren Aufblähung von sogenannten Masters-Turnieren auf zwölf Tage verschärfte sich die Krise zum Unwillen der Profis noch. Unverständnis herrschte auch darüber, dass noch in der Woche vor der WM ATP-Turniere stattfanden und der Bewerbungskampf nicht beim Masters in Paris endete. „Viele in der Kabine schütteln nur noch mit dem Kopf. Haben aufgegeben, an Verbesserungen zu glauben“, sagt ein Top-20-Spieler aus den USA. Hinzu kommt eine weitere Debatte, die um laufend unterschiedliche Beläge und Bälle, um zu langsame und zu schnelle Courts. „Im Tennis herrscht das ewige Chaos um Kompetenzen. Und der Mangel an einer einheitlichen Linie“, sagt Boris Becker, „das war schon zu meiner Zeit das Riesenproblem.“

Bizarr genug, dass mit dem WM-Finale noch keineswegs der Schlusspunkt unter die Saison gesetzt ist: Denn vom 19. bis 24. November ist gleich nach dem Turiner Spektakel die Davis-Cup-Endrunde angesetzt. Ein Unding, findet der US-Spitzenmann und Weltranglisten-Sechste Taylor Fritz: „Um sich mal wirklich erholen zu können, bräuchten wir eine zweimonatige Pause.“ Stattdessen beginnt für viele schon in den ersten Dezembertagen wieder die Vorbereitung auf die neue Saison – die beginnt am anderen Ende der Welt, gleich nach Weihnachten in Australien.

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