Kurdische Gebiete werden überschwemmt: Letzte Proteste gegen Ilısu-Damm
Der umstrittene Staudamm am Tigris geht nächste Woche in Betrieb. Menschen wollen dagegen weltweit auf die Straße gehen.
Istanbul |
Bis zum letzten Moment will ein breites Bündnis aus Umweltinitiativen in der Türkei und aus dem Irak mit Unterstützung etlicher Organisationen in Europa versuchen, das Projekt noch zu stoppen. Mit Demonstrationen und Veranstaltungen an 37 Orten weltweit am 7. und 8. Juni soll versucht werden, die türkische Regierung doch noch davon abzuhalten, den Damm in Betrieb zu nehmen.
Laut Angaben der Ilısu-Kampagne werden 80.000 Menschen Haus und Hof verlieren, wenn durch den Staudamm Hunderte Dörfer im Tigris-Tal unter dem Wasser verschwinden werden. Dazu kommt, dass eine der ältesten menschlichen Siedlungen in Mesopotamien, Hasankeyf, ebenfalls in den Fluten untergehen wird.
Dieser Ort an einer Furt des Tigris ist seit dem Neolithikum bewohnt, also seit mindestens 8.000 Jahren. Einige historische Artefakte wurden zwar aufwendig in ein neues Museumsdorf versetzt, doch die archäologische Erforschung ist längst nicht abgeschlossen.
Europäische Banken zogen sich aus der Finanzierung zurück
Außerdem wird der Staudamm die Wasserversorgung des Irak am Unterlauf des Tigris gefährden. Zwar hat die türkische Regierung dem Irak eine gewisse Durchlaufmenge zugesagt, doch mindestens in den kommenden Jahren, während der Damm angestaut wird, wird der Irak weniger Wasser haben. Außerdem bleibt der Staudamm ein Druckmittel in Konflikten.
Die Demonstrationen in Deutschland sollen am Freitag in Berlin, Hamburg, München, Frankfurt, Hannover, Karlsruhe, Nürnberg und im Wendland stattfinden.
Weil für den Ilısu-Staudamm keine ausreichende Umweltverträglichkeitsprüfung vorgenommen wurde, haben nach massiven Protesten europäische Banken aus Deutschland, der Schweiz und Österreich bereits vor Jahren ihre Kreditzusagen für das Projekt zurückgezogen, und es wurden auch keine staatlichen Bürgschaften für europäische Baukonzerne bereitgestellt. Mit Unterstützung asiatischer Banken wurde der Damm dennoch gebaut.
Lokale Bevölkerung profitiert nicht
Die türkische Regierung hat für die Bewohner von Hasankeyf und anderer Dörfer an höher gelegenen Plätzen neue Häuser bauen lassen, die jetzt bezogen werden sollen. Oft übersteigt die erwartete finanzielle Beteiligung der Bewohner allerdings deren Möglichkeiten. Außerdem sind die neuen Orte für Landwirtschaft meistens weniger geeignet, sodass viele Dorfbewohner in den Slums der umliegenden Städte landen werden.
Für die türkische Regierung ist der Damm vor allem für die Stromproduktion wichtig. Die zumeist kurdischen Bewohner der Region sehen in dem Damm deshalb ein Projekt der Zentralregierung, durch das ihre Kultur und ihre Lebensgrundlage zerstört werden, ohne dass die Region selbst davon profitiert.
Erfahrungen von anderen bereits gebauten Staudämmen am Euphrat zeigen, dass die Versprechungen, mit dem gewonnenen Wasser aus dem Staudamm große Bewässerungsprojekte für die Landwirtschaft anzulegen, entweder nicht erfüllt wurden oder vor allem Großgrundbesitzern zugutekamen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren