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Kuratorin über Krieg und Kunst„Der Ukraine-Krieg verändert alles“

Eine Ausstellung im Berliner Kunstverein KVOST bringt Künst­le­r aus Georgien, der Ukraine und Belarus zusammen. Ein Gespräch mit der Kuratorin Marija Petrovic.

Zum Osteuropa-Workshop der Panter Stiftung wird am 29. November eine Ausstellung im KVOST eröffnet Foto: Bernd Borchardt
Interview von Daniela Calmîș

taz: Frau Petrovic, am 29. November eröffnet im Kunstverein KVOST die Ausstellung „All the Dots Connected Form an Open Space Within“. Sie beschäftigt sich mit Krieg und Konflikt im postsowjetischen Raum. Brauchen wir Kunst, um den Krieg begreifen zu können?

Marija Petrovic: Kunst kann uns helfen, über Erfahrungen zu sprechen, die in die Medien oder in die Geschichtsbücher keinen Eingang finden. Sie kann thematisieren, was in die schnelllebige Art und Weise, wie normalerweise über Krieg, Unterdrückung und Gewalt berichtet wird, nicht hineinpasst.

Bernd Borchardt
Im Interview: Marija Petrovic

wurde 1992 in der Ostukraine geboren und lebt heute in Berlin. Sie ist Künstlerin, Kuratorin und promoviert zu dekolonialen Perspektiven der Kulturgeschichte der Ukraine. Seit etwa einem Jahr ist sie Teil des Kurator:innen-Teams des Kunstvereins KVOST.

„All the Dots Connected Form an Open Space Within“ bringt ­Künst­le­r:in­nen aus der Ukraine, Georgien und Belarus zusammen. Sie haben die Ausstellung kuratiert. Was lag Ihnen bei diesem Projekt besonders am Herzen?

Die Ausstellung zeigt, wie sich Erfahrungen von Gewalt, Unterdrückung und Krieg im täglichen Leben manifestieren. Es ist wichtig, die Invasion der Ukraine durch Russland in einen längeren, historischen Kontext zu stellen – sie begann nicht in einem Vakuum, es gibt eine lange Geschichte der Brutalität Russlands gegen seine Nachbarstaaten. Was jetzt in der Ukraine passiert, sticht heraus, aber die Erfahrungen der Menschen in der Ukraine ähneln denen der Menschen in Georgien oder in Belarus.

In Osteuropa wird viel gesprochen über „Desowjetisierung“ – den Rückbau von während der Sowjetzeit aufgebauten Denkstrukturen in Politik und Gesellschaft in den ehemaligen Satellitenstaaten. Kunst wurde von der Sowjetregierung instrumentalisiert, um ihre kommunistische Ideologie durchzusetzen. Kann sie auch zu einer Befreiung von den Resten dieser Ideologie beitragen?

Kunst muss keine Antworten geben, sondern Fragen stellen. Sie muss keinen klaren Weg vorgeben, sondern kann unsere gewohnte Art und Weise zu denken verändern. Ich schätze Kunst, die eindeutige Binäritäten und einfache Antworten vermeidet. Die Beziehung zur Vergangenheit ändert sich durch die Geschehnisse der Gegenwart. In der Ukraine werden die Themen De­sowietisierung und Entkommunisierung besonders viel diskutiert. Der Krieg dort verändert alles, auch die Beziehung der Menschen zum Erbe der Sowjetunion und der mit ihr einhergehenden Besatzung. Das gilt für alle osteuropäischen Staaten.

Auch Ostberlin und Ostdeutschland waren einmal Austragungsorte sowjetischer Ideologie. Lässt sich die Diskussion aus Osteuropa auf Deutschland übertragen?

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Hier ist das Problem ein anderes. Es wird zu selten thematisiert, dass viele Menschen des heutigen Deutschlands in einem ganz anderen System aufgewachsen sind und Kunst geschaffen haben, die sich auf dieses andere politische System bezieht. Sie haben ganz andere Erfahrungen und Probleme. Es ist uns wichtig, Menschen davor zu bewahren, ihre Geschichte zu vergessen.

KVOST ist der einzige Kunstverein Berlins, der sich auf osteuropäische Kunst spezialisiert hat. Wie hat sich dieser Fokus entwickelt?

KVOSTs Gründer Stephan Koal hat 2018 festgestellt, dass es diesbezüglich einen Mangel gibt. Auch das Erbe Berlins, die DDR-Geschichte, wurde wenig thematisiert. Wir konzentrieren uns deshalb hauptsächlich auf zeitgenössische Künst­­le­r:in­nen aus Mittel- und Osteuropa. Außerdem haben wir einmal im Jahr eine historische Ausstellung zu Kunst und Design in der DDR. Unsere Arbeit ist wichtig, denn in Deutschland und Westeuropa gibt es einen großen Mangel an Wissen über Osteuropa. Teile der Geschichte und der Kultur sind kaum bekannt. KVOST arbeitet dagegen an und ermöglicht einen Austausch mit Künstler:innen, die in Osteuropa leben.

KVOST ist ein Tor zwischen Ost und West. Sehen Sie sich als Vermittlerin?

Allein schon die geografische Lage von KVOST ist sehr interessant: Der Kunstverein befindet sich in einem Gebäude der „sozialistischen Wohnutopie“ in der Leipziger Straße in Berlin, parallel zur ehemaligen Mauer. Vom Westen aus sahen die Häuser wirklich toll aus, sie sollten eine Art Werbung für die DDR sein. Heute ist das Viertel eine Insel mitten in Berlin – und ein Symbol dafür, dass KVOST eine deutsche Institution und ein Teil der Berliner Kulturlandschaft ist, sich aber gleichzeitig nach Osten orientiert. Es nimmt so gesehen eine Zwischenposition ein: KVOST muss sich in der westlichen Sphäre der Berliner Kulturlandschaft zurechtfinden und gleichzeitig den Menschen, die oft nicht als Teil der westlichen Welt betrachtet werden, gerecht werden. Es ist sehr wichtig für uns, Menschen aus Osteuropa mit Respekt zu begegnen. Eine Art, wie wir das im Moment tun, ist die Aufrechterhaltung des Boykotts von russischen Kul­tur­ak­teu­r:in­nen.

Hat Kunst die Macht zu verändern, wie Menschen Politik und Gesellschaft wahrnehmen?

Kunst und Aktivismus sind ganz unterschiedliche Wege, Dinge anzusprechen. Sie gehen oft Hand in Hand: Denn viele Künst­le­r:in­nen sind auch Aktivist:innen. Aber Politik und auch Aktivismus setzen oft auf binäre Aussagen. Ich schätze aber an der Kunst die Möglichkeit, Probleme und Erfahrungen so anzusprechen, dass es keine eindeutige Antwort geben muss. Kunst kann ansprechen, was normalerweise in Schweigen gehüllt bleibt – und sie kann die Art und Weise, wie über Dinge gesprochen wird, verändern. Kunst ist ein Weg, Wissen zu verbreiten. Sie ein Instrument, das wir nutzen können, um Perspektiven zu verändern.

Aus dem Englischen von Lisa Schneider

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