Kunstraub in Paris: Was wäre die Kunst ohne Raub?
Bei einem großen Einbruch in ein Museum, so stellt man sich vor, geht es verdammt cool vor. Am Ende fehlt auch wirklich was, anders als bei einer Raubkopie. Gerade das trägt zur Aura der Kunst bei.
BERLIN taz | So bedauerlich es ist, wenn aus schnöden Motiven kostbare Kunstwerke gestohlen werden: Was wäre die Kunst ohne Kunstraub? Nur zum Beispiel: Wann wird in der taz schon mal zugunsten der Kunst eine fertig gebaute Seite versenkt? Doch nur, wenn es um einen so grandiosen Kunstraub geht wie jetzt in Paris. Okay, zugegeben, die anderen großen Kunstereignisse, die Biennalen und Blockbusterausstellungen, die eine Seite bekommen, sind schon lange angekündigt, da wird geplant, statt umgeworfen, da fehlt der Überraschungseffekt.
Nun ist nicht nur die Kunstausstellung, sondern auch der Kunstraub von langer Hand geplant, auch wenn er sich dann als Coup ereignet. Besonders dieses blitzschnelle Rein-raus-Spiel fasziniert; da geht es verdammt cool ab, stellt man sich vor, weil es ja meist doch einige Zeit dauert, bis jemand merkt, dass Kunst im Wert von 90 bis 100 Millionen Euro fehlt. Die Logistik hinter einem solchen Unternehmen muss schon einigermaßen professionell organisiert sein, damit das so unbemerkt über die Bühne geht.
Doch ihr Diebstahl trägt nicht unwesentlich zur Aura der Kunst bei. Schon aus den genannten Gründen stellt der Kunstdiebstahl etwas Besonderes dar. Im Fall von Büchern oder Filmen mögen Raubkopien geschäftsschädigend sein, aber deshalb bringen sie die Sache selbst nicht zum Verschwinden, sondern vermehren sie im Gegenteil. Im Fall der Kunst vermehren sich nur die Spekulationen über den Raub und seine besonderen Umstände, und es vermehren sich die Kommentare über die Bedeutung des erfahrenen Verlusts.
Diese Bedeutung ist der springende Punkt. Denn es werden ja immer die großen Meister und die wertvollsten Kunstwerke gestohlen. Meint man. Aber vielleicht sind es am Ende doch nur die, die am leichtesten wegzuschaffen sind? Denn was bedeutet es schon, einen Matisse von der Wand zu nehmen, gegenüber dem Problem, wie man einen tonnenschweren Haifischtank von Damian Hirst aus dem Museum schafft? Der bei Sotheby's oder Christie's auch mal schon für ein paar Millionen wegging?
Wie schafft man eine Installation des 2006 verstorbenen Künstlerstars Jason Rhodes beiseite, die sich auf 500 Quadratmetern breitmacht? Und lohnt es sich überhaupt? Wo man doch die Plastikkanister, Autoreifen und was er sonst noch verarbeitet hat, überallher kriegt?
Was bedeutet es, dass die zeitgenössische Kunst kein geeignetes Objekt mehr für den Kunstraub abgibt? Schmälert das womöglich ihren Wert? Bleibt Neo Rauch, nur weil er Bilder malt, die man klauen und deshalb - im traditionellen Sinne - als begehrt und wertvoll begreifen kann? Wetten, dass Damian Hirst schon deshalb auf seinen juwelengeschmückten Totenkopf kam, weil er weiß, dass er geklaut werden muss, um zu den ganz Großen der Kunst zu zählen?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern