Kunstprojekt zum Zuhören: Der Sound der vermessenen Arktis
Eine Performance im ehemaligen Krematorium in Wedding zeigt, wie schwierig es ist, Datenströme hörbar zu machen. Über Töne und Daten.
E s macht seinem Namen alle Ehre, das „silent green“ in Berlin-Wedding. Tritt man durch die äußere Pforte auf das Areal des ehemaligen Krematoriums, öffnet sich eine andere Welt. Eingefriedet von schmucken Mauern versteckt sich hier eine kleine Grünanlage, die einst als mentale Pufferzone zwischen der lärmenden Außenwelt und dem eigentlichen Krematorium diente, einem auffälligen Kuppelbau, der schon seit vielen Jahren seiner ursprünglichen Bestimmung entwöhnt ist und als eine der originellsten Kultur-Locations der Hauptstadt fungiert.
Originell ist nicht nur der Bau, sondern das müssen auch die Formate der hier stattfindenden Veranstaltungen sein, denn der achteckige Saal mit seinen zwei in luftiger Höhe rundum laufenden Galerien verweigert sich jeder konventionellen Guckkasten-Bespielung.
An diesem Abend sind im Saal technische Gerätschaften aufgebaut, die teilweise identifizierbar sind – viele Lautsprecherboxen –, aber auch Rätsel aufgeben: Vor allem das eigenartige Instrument auf dem Podium hat eine sehr spezifische Bestimmung. Über einer Synthesizertastatur findet sich eine Schalttafel mit zahlreichen Reglern, an denen naturbezogene Begriffe stehen wie „snowfall“, „cracking“ oder „plankton“, die ihrerseits sechs Überbegriffen untergeordnet sind.
Man habe, erklärt Nina Softić, die gemeinsam mit Adnan Softić das Kunstprojekt „klimaton“ federführend verantwortet, aus der gewaltigen Menge an Daten, die während der großen Arktis-Expedition des Alfred-Wegener-Instituts 2019–20 gewonnen wurden, einige Reihen herausgegriffen, also das Datenmaterial stark komprimiert. Diese Datenreihen seien in Kurven umgewandelt und diese Kurven wiederum anschließend hörbar gemacht worden durch die Art, wie sie einen bestimmten Grundton verändern.
Emotionaler Zugang zu abstrakten Daten
In der Selbstbeschreibung des Projekts heißt es: „Wie kann die Katastrophe des menschengemachten Klimawandels anders als in verschlüsselten und schwer verständlichen Messergebnissen erzählt werden?“ Und: „Über Töne wird ein emotionaler Zugang zu den abstrakten Daten ermöglicht, die so erfahrbar und greifbarer werden.“
Das klingt schön und ist ein großes Ziel. Die Softićs haben drei Jahre lang daran gearbeitet. Ferner haben zwei Komponisten mitgewirkt, zwei Schriftstellerinnen, außerdem Techniker und Datenspezialisten, um das Instrument zu bauen und drumherum eine aufwändige Performance zu inszenieren. Und für dieselbe sind wir also hier, hingegossen auf bequeme Sitzsäcke im großen Achteck.
Die Sitzsäcke werden sich im Laufe der Performance als sehr nützlich erweisen, denn der schönste Teil spielt sich zwischendurch an der fernen Saaldecke ab. Während die Lautspur eines arktischen Sturmes – nicht in echt, sondern als in elektronisches Gewabere übersetzte Daten –, durch die Lautsprecher fegt, erscheinen dort oben von den Rändern her erste Zahlenreihen, schwimmen durcheinander wie Fischchen im Wasser, vermehren sich allmählich, formieren sich immer wieder um, vervielfältigen sich ins Unermessliche, schlingen sich zu dreidimensionalen Gebilden, erweitern den optischen Raum ins Unendliche, und sind die ganze Zeit unablässig in Bewegung …
Das ist so eindrucksvoll, dass man darüber glatt vergisst, auf die gleichzeitige akustische Beschallung zu achten, die doch angeblich den Auftrag der emotionalen Berührung des Publikums in sich trägt. Es ist aber einfach so, dass das Übersetzen von Messergebnissen in Ton die Abstraktheit der Daten noch einen Schritt weiter treibt, statt sie zu entschärfen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Vielleicht war dieses Problem den Beteiligten ja auch irgendwann aufgefallen, und deswegen wurden dann noch ein paar Szenen in die Aufführung eingebaut, in denen von allen PerformerInnen im Kirchentagsgestus Betroffenheitstexte gesungen werden. Diese Momente sind dann wirklich emotional berührend, aber eher im Fremdschämmodus. Immerhin: Der Nachweis, dass das Kommunizieren von Forschungsergebnissen zum Klimawandel nicht einfach ist, wurde an diesem Abend erbracht. Und im Café des silent green gibt es übrigens ganz hervorragenden Kuchen.
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