Kunst und Kolonialismus: Das Trauma heilen
Efie bedeutet in der Sprache der Akan-Völker „Zuhause“. Eine gleichnamigen Schau in Dortmund zeigt geraubte und zeitgenössische Kunst aus Ghana.
Die Diskussion um die Rückgabe der Benin-Bronzen, die mit der neuen Kulturstaatsministerin Claudia Roth wieder Fahrt aufgenommen hat, ist nur die Spitze eines Eisbergs. Während des kolonialen Zeitalters wurden unzählige kulturelle Schätze aus dem afrikanischen oder asiatischen Raum geraubt und nach Europa gebracht. Viele wanderten in private Sammlungen oder gingen in das Eigentum von Handelsgesellschaften über, andere landeten in Museen und verstauben in ihren Sammlungskellern und Archiven.
Die ghanaische Kunsthistorikerin, Schriftstellerin und Filmemacherin Nana Oforiatta Ayim hat jetzt eine faszinierende Ausstellung im Dortmunder U kuratiert, die einen sinnlichen Zugang zum komplexen Thema der Restitution schafft: „Efie. The Museum as Home. Kunst aus Ghana“ heißt sie.
In der Ausstellung steht zum Beispiel eine kleine geschnitzte Trommel. Die Kuratorin hat zu ihr recherchiert und weiß: Sie ist Ende der 1920er Jahre in das Museum am Rothenbaum in Hamburg gekommen durch Kapitän Hermann Woker, der Generalvertreter der Woermann-Linie, der Deutschen Ost-Afrika-Linie, der Hamburg-Amerika-Linie und der Hamburg-Bremer Afrika-Linie war.
Über den Kapitän selbst ist nicht viel bekannt. Man weiß jedoch, dass die Redereien maßgeblich am Aufbau deutscher Kolonien in Afrika beteiligt waren. Die Trommel entstammt dem Volk der Akan in Ghana und wurde höchstwahrscheinlich für ein besonderes Ereignis oder einen historischen Tag hergestellt. Jedes Element der Schnitzerei hat eine besondere Bedeutung, etwa der Königstuhl oder der Sankofa-Vogel, der in die Vergangenheit schaut, um die Zukunft zu erkennen.
Die historischen Objekte in der Schau können für die Menschen in den Regionen, aus denen sie geraubt wurden, also durchaus eine große religiöse, spirituelle oder historische Bedeutung haben. So wie die kleinen Goldgewichte, die nicht nur als Zahlungsmittel verwendet wurden, sondern in die auch Geschichten über Leben und Tod eingeschrieben wurden. Oder Amulette aus dem Übersee-Museum in Bremen, die ein Missionar eingesammelt hatte, weil die Götzen oder Fetische seinem Begriff von Christianisierung entgegenstanden.
Symbole für etwas Größeres
Man könnte leicht achtlos an diesen kleinen Objekten vorübergehen, wenn sie nicht zum einen durch das Rechercheergebnis im handlichen Flyer aufgeladen wären – und zum anderen durch eine besondere Ausstellungsarchitektur inszeniert. Nana Oforiatte Ayim, die immer wieder zu den wichtigsten Persönlichkeiten Afrikas gezählt wird und unter anderem 2019 für internationales Aufsehen sorgte, als auf ihre Initiative der erste ghanaische Pavillon auf der Biennale von Venedig entstand, hat sich Gedanken gemacht, wie sie den klassischen Kontext eines westlichen Museums aufbrechen kann.
„Efie. The Museum as Home“ ist eine Ausstellung des von ihr gegründeten Institute of Arts and Knowledge (ANO), die als mobiles, kontextabhängiges Museum überall funktionieren kann.
Ayim sagt: „Es geht beim Thema Restitution um etwas, das uns genommen wurde, nicht nur physisch, auch psychisch. Wie heilt man das? Wie repariert man das? Die Objekte sind ein Symbol für etwas viel Größeres.“
Deshalb wollte die Ausstellungsmacherin mit ghanaischen Wurzeln, die in Deutschland geboren wurde, in Deutschland und Großbritannien aufwuchs und mittlerweile ihren Lebensmittelpunkt in Ghana hat, wirklich ein Zuhause schaffen für die historischen Objekte – und auch für die neuen Werke zeitgenössischer, ghanaischer Künstler*innen, die den ersten Teil der Schau ausmachen. Dafür hat sie mit dem Architekten DK Osseo-Asare zusammengearbeitet, der eine modulare Open-Source-Architektur aus Bambus entwickelt: Die Fufuzela, ein offenes Netzgeflecht, das einfach zu bauen, aber sehr stabil und unendlich erweiterbar ist.
Diese Fufuzelas umrahmen die historischen Objekte, die in europäischen Museen wahrscheinlich nicht als „echte“ Kunstwerke, sondern als Teil „ethnografischer“ Sammlungen präsentiert würden. Auch Werke von Zeitgenossen sind in sie integriert: Kwasi Darko lässt in ihnen einen Raum entstehen, indem er einerseits die eigene Vergangenheit und die seiner Vorfahren erforscht und historische Schwarz-Weiß-Fotos, etwa von Großvater und Großmutter, sammelt.
Über einen großen Bildschirm laufen gleichzeitig opulente, farbige Bilder, die christlich-religiöse Ursituationen zeigen, aber ganz anders: Das queere Paar Adam und Eva etwa, das in einer afrikanischen Landschaft in erotischer Pose gemeinsam einen Apfel in den Mund nimmt. „Ich will mit dieser Arbeit fragen: Wer definiert die Norm? Wie kann ich einen Raum schaffen für Menschen, die anders sind?“, sagt der Künstler.
Neben weiteren skulpturalen Werken wie von Rita Mawuena Benissan, die die Schirme königlicher Zeremonien interpretiert, Na Chainkua Reindorf, die mit ihren Wandbildern die Bildsprache historischer Kriegsfahnen des Volks der Fante in Zentralghana aufgreift, gibt es Multimediaarbeiten wie das Labyrinth von Diego Araújabei, bei dessen Durchschreiten man Arbeiterlieder aus Ghana und der Diaspora des Künstlers, Brasilien, wie aus einem fernen Radiosignal hört.
Außerdem sind zwei berückende Videos zu sehen: „You Hide Me“ hat Nii Kwate Owoo 1979 gedreht, als er sich Zugang zu den Depots des British Museum verschaffte und dort unter anderem Raubgut der Asante entdeckte. Mit der Forderung nach Rückgabe war er seiner Zeit voraus. Der Film „Unveiling“ von Kuukua Eshun bearbeitet das Thema „Zuhause“: Frauen reden über Missbrauchserfahrungen und versuchen über das Sprechen wieder ein Zuhause in sich selbst zu schaffen.
Vielleicht kann die Ausstellung wie der Film fungieren: Menschen zum Sprechen über das Trauma Kolonialismus bringen und damit Impulse für den Versuch der Heilung geben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen