: Kunst braucht Platz
Die Macher*innen des ID Festivals holen eine Kultur zurück nach Berlin, die die Generation ihrer Großeltern von hier nach Israel brachte
Von Esther Slevogt
Eigentlich sollen Festival-Namen Eyecatcher sein, Einordnungshilfen für das potenzielle Publikum. Doch der Name „ID-Festival“ sagt auf den ersten Blick wenig aus. Erst wenn man weiß, dass die Buchstaben ID für die Namen Israel und Deutschland stehen, im Englischen ID als Abkürzung aber auch das zentrale Personaldokument, die ID-Card, bezeichnet, beginnen sich Assoziationsketten zu bilden – und ein ebenso reiches wie historisch kontaminiertes Feld zu markieren. Das Festival, das 2015 als Plattform für in Berlin lebende und arbeitende israelische Künstler*innen gegründet wurde, findet in diesem Jahr bereits zum dritten Mal statt.
Das Understatement, mit dem es auftritt, ist Programm. So wird versucht, den klaustrophobischen Verengungen und pawlowschen Kontextualisierungen zu entgehen, die die Begriffskombination Israel und Deutschland in der Regel sofort produziert. Gleichzeitig ist die Erkundung ihres Resonanzraums ein behutsam formulierter Suchbefehl. „Wir wollen diese Begriffe durch die Kunst erforschen“, sagt der Pianist und Komponist Ohad Ben-Ari, um dann einen sehr komplexen Reflexionsprozess zu schildern, wie durch radikale Beschränkung auf die Kunst, auf Konzerte, Performances und Theateraufführungen zunächst ein Freiraum eröffnet werden soll, in dem Denken und Arbeiten neu möglich wird. Im Zentrum des Festivals stehen klassische Musiker*innen. So wie auch der 1974 in Tel Aviv geborene Ohad Ben-Ari, der das Festival 2015 gegründet hat.
Das Treffen mit Ben-Ari findet in Mitte in einem veganen Imbiss statt. Die Kellnerin spricht Englisch, als sei sie einem Hipster-Nightmare von Jens Spahn entsprungen. „Kunst braucht Platz, um entstehen zu können,“ sagt Ben-Ari, räumlich aber auch psychisch. Diesen Platz gebe es in Israel immer weniger, in Berlin jedoch in Form (noch) bezahlbarer Wohnungen und Studios aber auch einer gewissen Großzügigkeit unterschiedlichen Lebensentwürfen gegenüber.
Etwa 30.000 Israelis leben schätzungsweise in Berlin und bilden inzwischen auch eine vielfältige Szene: ein Phänomen, das noch vor einer Generation undenkbar gewesen wäre. „Wir bringen nun eine Kultur hierher zurück“, sagt Ben-Ari, „die die Generation unserer Großeltern von hier nach Israel brachte.“
Neben dem Radialsystem sind das Gorki Theater und das Ballhaus Ost die Veranstaltungsorte. Im Ballhaus Ost wird das Performance-Duo Gal Naor und Matan Zamir Teil 2 ihrer Trilogie „Sign of Signs“: „Oráculo“ zeigen – eine Auseinandersetzung mit heiligen Schriften, unter anderem auch mit den Mitteln der Taubstummenkommunikation. Die zentralen Ereignisse des Festivals sind auch in diesem Jahr hochkarätige Kammerkonzerte. Neben Ohad Ben-Ari wirkt der bekannte israelische Geiger Guy Braunstein mit, langjähriger Konzertmeister bei den Berliner Philharmonikern. Auch die junge Sopranistin Anna Prohaska und der Nachwuchsklarinettist Sacha Rattle (dessen Vater Sir Simon Rattle ist) sind unter den Musiker*innen, die bis Januar 2018 Musik von Ludwig van Beethoven über Johannes Brahms und Felix Mendelssohn Bartholdy bis Arnold Schönberg und Betty Olivero präsentieren.
Das Festival ist aber auch eine Plattform für junge Musiker*innen, die sich außerhalb des festgefügten Klassikbetriebs in freieren Konstellationen ausprobieren wollen. Angenehm fällt auf, dass hier die notorische Zuschreibung der Künstler*innen als Jüdinnen oder Juden als Auswahlkategorie einfach ausfällt, mit der bei ähnlich etikettierten Veranstaltungen die antisemitische Stigmatisierung stets fortgeschrieben wird, auch wenn vordergründig mit gutgemeinter Wiedergutmachungsabsicht.
Motto des diesjährigen Festivals ist „Integration“ – und zwar mit Fragezeichen dahinter. Das dreisprachige (deutsch, englisch, hebräisch) Programmheft veröffentlicht dazu einen Text des jungen Leiters der Pariser Hauses der Jiddischen Kultur, Tal Hever-Chybowski, der die Paradoxien des Begriffs höflich, aber bestimmt auseinandernimmt. Hever-Chybowki, der zwischen Paris und Berlin pendelt, kann als Prototyp jener neuen Israelis gelten, die auf die Spuren der verlorenen Wurzeln und Kultur ihrer Großeltern und Urgroßeltern hier landen, dem einstigen Heart of Darkness von Nazideutschland. „Die Israelis in Berlin finden Dinge, die sie nicht gesucht haben, auch wenn sie nur kommen, um Party zu machen oder weil es billiger ist als in Tel Aviv“, so Hever-Chybowski vor Kurzem in einem Interview. „Aber ich glaube, es gibt eine Suche nach etwas, das man verloren hat, das aber eine Wunde hinterlassen hat. “
Im Heart of Darkness, dem Berlin der 1940er Jahre, spielt auch das Schauspielhighlight des Festivals: ein Gastspiel des israelischen Nationaltheaters Habima, das mit Hans Falladas Widerstandsgeschichte „Jeder stirbt für sich allein“ im Gorki Theater zusehen ist. Die Inszenierung von Ilan Ronen, in der naturgemäß auch Nazis in Uniformen erscheinen, hat in Israel, wo das Zeigen von Nazisymbolen strikt verboten ist, für erregte Debatten gesorgt. Das Gastspiel findet auch im Kontext des 100. Jubiläums von Habima statt, das 1917 in Moskau gegründet wurde, in den 1920er Jahren aber auch eine Weile in Berlin beheimatet war, bis es 1931 dann ins damalige Palästina zog. Ein Symposium wird sich am Rande des Festivals mit diesem speziellen Kapitel deutsch-israelischer (Theater-)Geschichte befassen.
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