: Kunst auf Raten
■ Der STEINtorPRESSE e.V. präsentiert in der Galerie „Arte e grappa“ seine erste Jahresmappe
Wolfgang Schmitz, der Grafikprof an der Hochschule für Künste (HfK), ist jetzt auch schon 63 Jahre alt. Und noch immer ist nicht klar, ob nach ihm wieder ein Mensch für Druckgrafik kommt, oder eher einer für 3D, Multimedia oder ähnlich Zeitgeistiges. Seine Ex-Studentin Gerten Goldbeck findet das bedauerlich. Denn für sie steckt im alten, viel Kraft kostenden Handwerk noch immer jede Menge künstlerisches Potential für ungeahnte, zeitgemäße, kräftige Aussagen. Mit ihrem Freund, der am Computer kunstet, kloppt sie sich schließlich auch nicht über Fragen des Mediums; der akzeptiert ihre Arbeit.
Für ihren sprachanalytischen Ansatz ist der Druck auch bestens geeignet. Über Wittgenstein philosophiert sich eben am besten mit einer buchdrucknahen Technik. In Goldbecks Fall ist das die Lithographie. In einer Serie hat sie Gedichte und Reimschemata über Abbildungen von Wohnsilofassaden kopiert. Und siehe da: Lyrische und architektonische Ordnungsschemata ähneln sich oft frapierend; die Inhalte der Texte jedoch wirken oft wie zynische Kommentare zum Nachkriegswohnungsbau. Zum Beispiel Fausts Monolog „Habe nun ach Philosophie... studiert, da steh ich nun, ich armer Thor...“ (siehe Abbild). Mal setzt Goldbeck die Metaphern eines Textes (zum Beispiel das Leben als Schiff) ins Bild, mal vergleicht sie – auf den Spuren Wittgensteins – Literaturgeschichte mit Stadtgeschichte: zeitliche und räumliche Labyrinthe hier und dort, mit Hauptstraßen, Seitenstraßen, Hohem, Niedrigem....
Mit sechs Gleichgesinnten hat die 32jährige den „STEINtorPRESSE e.V.“ gegründet. Der nimmt sich nicht nur einer schein-antiquierten Technik an, sondern möchte auch eine alte Vertriebsform wiederbeleben. Fördermitglieder (Monatsbeitrag 10 Mark) erhalten eine originale Druckgrafik als Jahresgabe. Kunst auf Raten. Die erste Jahresmappe in winziger Auflage (10 Stück) mit sechs Arbeiten wird am Samstag vorgestellt. Zum Selbstausbeutungspreis von 300 Mark. Darin enthalten ist eine Litho von Klaus Zwick, die sich ebenfalls mit den Synergieeffekten zwischen Sprache und Bild beschäftigt. Dunkle Wolken, die über seine Texte huschen, nötigen den Betrachter zu Geistesblitzen voll heller Fantasie. Hannah Kotac reizt vor allem der Gegensatz zwischen Einmaligkeit und Reproduzierbarkeit. Ihre Arbeiten haben den flotten Pinselstrich eines Gemäldes, aber die glatte Oberfläche des Drucks.
Gedruckt sind diese Lithos auf Goldbecks eigener Presse. Das charmante Gußeisenmonster wurde irgendwann zwischen 1890 und 1920 vom einstigen Marktführer, der Leipziger Firma Karl Krause, fabriziert. Heute sind diese Fossile 8.000 Mark wert. Die Mitglieder des STEINtorPRESSE e.V. arbeiten auch mit beim „Verein für manuelle Druckgrafik“, der im Güterbahnhof residiert. Der gründete sich vor zehn Jahren aus pragmatischen Motiven, sprich um sich die Kosten für die Pressen zu teilen, aber auch um die Grafik aufzuwerten. Schon Jasper Johns und Rauschenberg verfolgten dieses Ziel mittels großformatiger Lithos. Druckgrafik ist eben nicht Kunst für Arme, Kunst für die kleine Restwandfläche hinter der Klotür, sondern eine eigenständige, vollwertige Ausdrucksform. bk
Vernissage ist am 20. Februar um 19 Uhr, Humboldtstraße 198. Kontakte zum Verein unter 70 08 03 oder 50 14 65
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