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Kulturstaatssekretär Renner über Berlin„Subkultur ist in der DNA Berlins“

Kulturstaatssekretär Tim Renner spricht über Volksbühne, Staatsballett, seine Zukunft nach dem Wahlsonntag – und lobt Die Linke.

Kulturstaatssekretär Tim Renner in seinem Büro in Mitte Foto: Karsten Thielker

taz: Herr Renner, sprechen wir hier mit dem scheidenden oder mit dem kommenden Kulturstaatssekretär Berlins?

Tim Renner: Ganz ehrlich: Das weiß ich genauso wenig wie Sie. Ich denke über die Zukunft der Kultur in Berlin nach. Das ist mein Job. Und hoffe weiterhin, entscheidend mitwirken zu können.

Für eine Neuauflage der Großen Koalition dürfte es in Berlin kaum reichen. Stünden Sie auch für Rot-Rot-Grün zur Verfügung?

Mir geht es darum, dass wir in Berlin eine moderne, verantwortungsvolle, aber auch angstfreie Kulturpolitik für eine wachsende Großstadt betreiben. Das ließe sich auch in der von Ihnen genannten Konstellation realisieren.

Die Linke hat Sie oft kritisiert. Sähen Sie Chancen, unter Rot-Rot-Grün im Amt zu bleiben?

Die Linke hat uns zuletzt positiv überrascht. Im Tagesspiegel hat der Berliner Parteivorsitzende Klaus Lederer Forderungen gestellt, die glatt von unseren kulturpolitischen Leitlinien abgeschrieben sein könnten.

Welche Punkte meinen Sie?

Mindest- und Ausstellungshonorare für Künstler müssten weiter erhöht werden. Damit haben wir bereits angefangen. Er will kulturelle Räume in einer wachsenden Stadt sichern – genau. Er möchte, dass Kultur über die Bezirke gedacht wird – einer unserer Schwerpunkte für den nächsten Haushalt, wenn wir zum Beispiel über Stadtteilbibliotheken sprechen. Überrascht hat uns auch, dass ausgerechnet die Linken Kultur- und Kreativwirtschaft zu einem Ressort zusammenzulegen wollen – dagegen hatten sie bislang immer Vorbehalte.

2013 unterschrieben Sie eine Petition gegen eine Große Koalition von SPD und CDU im Bund. 2014 arbeiteten Sie dann selbst in einer Großen Koalition in Berlin. Innensenator Henkel (CDU) versuchte sich mit nicht immer legalen Mitteln gegen die linke Subkultur in der Rigaer Straße zu profilieren. Wie haben Sie als Neuling und Quereinsteiger aus der Musikbranche den Berliner Politikbetrieb erlebt?

Richtig, ich war in einer Facebook-Gruppe, die sich gegen die Große Koalition im Bund ausgesprochen hat. Im Bund hielt ich sie für keine gute Idee. Ich habe die CDU in der Zeit der Großen Koalition im Land Berlin nun allerdings nicht als monolithischen Block erlebt. Im Gegenteil. Leute wie Justizsenator Thomas Heilmann haben geholfen, die Vertragsverlängerung von Shermin Langhoff als Intendantin des Gorki-Theaters in kürzester Zeit durchzuboxen. Und die steht sicher nicht für ein Programm, das man als Herzstück der christlich-demokratischen Kulturpolitik bezeichnen könnte.

Kommt darauf an, ob man es aus Perspektive der Merkel-CDU oder der Seehofer-CSU sieht.

Die CDU ist in Berlin sehr unterschiedlich aufgestellt. Aber ich sehe es auch so, dass Subkultur zwingend zur DNA der Stadt Berlin gehört. Berlin zu verstehen, heißt, mit dieser umgehen zu können. Mir wären Partner lieber, die dies auch können.

Im Interview: Tim Renner

geb. 1964, Berlin. Ab 1986 im Musikgeschäft. Polydor, Motor Music. 1999 Präsident der Universal Music Deutschland. 2005 bis 2014 Geschäftsführer Motor Entertainment. Seit 2014 Staatssekretär für Kulturelle Angelegenheiten in Berlin.

Bei den Intendantenentscheidungen gab es erst Streit über die Volksbühne, nun gibt es eine Petition gegen Sasha Waltz und Johannes Öhman als neues Intendantenduo am Berliner Staatsballett. Läuft da generell etwas schief?

Nein. Es ist ja nicht so – wie manche es kolportieren –, dass eine Kandidatenkür im stillen Kämmerlein zwischen mir und Bürgermeister Michael Müller stattfände. Maßgeblich werden wir von der Kulturverwaltung beraten. Außerdem konsultieren wir externe Fachleute. Bei der Staatsballettintendanz jetzt zum Beispiel aus der Spitze der Pariser Oper, die Leitung des Sadler’s Wells Theatre London und andere prominente Akteure der Tanzszene aus Deutschland. Wir haben Beratergruppen. So ähnlich war es bei der Ernennung von Chris Dercon zum Intendanten der Volksbühne.

Also alles richtig gemacht?

Im Fall Chris Dercon/Volksbühne zirkulierte der Gedanke, ihn zu installieren, viel zu früh öffentlich – mein Fehler. Bei der Causa Staatsballett spielen nun mehrere Faktoren eine Rolle: Das Haus ist generell verunsichert. Unter Nacho Duato gab es sinkende Auslastungszahlen, im vergangenen Jahr haben die Tänzerinnen und Tänzer im Tarifkonflikt gestreikt. Wir sind davon ausgegangen, dass, sobald wir das Haus informieren, auch innerhalb der Stiftung Oper die Kommunikation einsetzt. Dem war nicht so. Die Kompagnie hat von der Entscheidung aus den Medien erfahren. Das sollte so nicht sein.

Nun gibt es oft Konflikte bei der Neubesetzung von Intendantenposten. Tradition gegen Veränderung, wie jetzt am Staatsballett. Doch im Volksbühnen-Streit behaupten manche, es ginge um mehr: Sub- gegen Repräsentationskultur, Ost gegen West. Waren Sie von Brisanz und Wucht der Angriffe auf Sie überrascht?

Überrascht war ich über die Reflexhaftigkeit. Wie manche von dem Negativsten ausgehen, das hinter einer Sache stecken könnte. Wenn ein Mensch alles andere als „neoliberal“ ist, dann Chris Dercon. Der Grund, warum er England und der Tate Modern den Rücken kehrt, ist doch gerade, dass er dort die neoliberalen Strukturen nicht erträgt.

Manche meinen, Dercon stehe selber für die routinierte Mischung einer internationalen Eventkultur, wie man sie bereits an vielen Spielstätten und Festivals der Stadt vorfindet? Was wird er denn Neues bringen?

Ich glaube, was Dercon auszeichnet, ist sein Interesse für neue Talente und gerade auch an Dingen, die lokal sind. Das hat er auch in München am Haus der Kunst gezeigt. Und das, was der gute Claus Peymann nun als drohende Eventbude beschwört, hat doch an der Volksbühne bereits immer schon stattgefunden. Wahrscheinlich hat Peymann es nicht bemerkt, weil er nicht da war. Nun muss es darum gehen, das Gute, das die Volksbühne auszeichnet, weiterzuführen, ohne Castorf zu kopieren. Die Volksbühne braucht eine Post-Castorf-Identität. Kein einfaches Vorhaben.

An der Entscheidung Dercon gibt es nichts zu rütteln?

Chris Dercon und sein Team sind alternativlos, sie sind bereits an den Planungen für 2017.

Was wird denn geplant? Gerade auch in den Hangars am ehemaligen Flughafen Tempelhof?

Die Saison wird dort beginnen. Wir werden erst später zeitversetzt in der Volksbühne beginnen können. Das hat auch bauliche Gründe. Wir können erst nach der Castorf-Zeit dort neu gestalten.

Fast alle wichtigen Regisseure aus dem Volksbühnen-Umfeld wollen nicht mit Dercon zusammenarbeiten.

Es war unser Ziel, die Fritschs und Polleschs dieser Welt zu halten. Das gebe ich nicht auf. Wenn es aber nicht gelingt, bleibt gar nichts anderes übrig als ein radikaler Neustart.

Vereinfacht gesagt ist die Position vieler Ihrer Kritiker: Ost gegen West, lokal gegen global, Theater gegen Kunstevent; mit Chris Dercon kommt die internationale Figur, die wir eigentlich aus der Stadt treiben müssten. Welche Erzählung wollen Sie dem entgegensetzen?

Wir müssen das alte Berlin mitnehmen und uns den Ängsten, die da populistisch geschürt werden, entgegenstellen. Man muss Berlin als internationalen Platz freiheitsliebender Menschen denken, die sich hier auf unterschiedliche Art und Weise austoben können. Das ist die Stärke Berlins, das ist der Verdienst der Menschen, die die Wiedervereinigung hinbekommen haben. Der vielen kulturellen Bewegungen, die oft temporär waren, scheiterten, sich weiterentwickelten und überall ihre Spuren hinterlassen haben. Das ist das Berlin, das ich liebe.

Zu diesem Bild könnte es kaum einen symbolträchtigeren Ort als das Tempelhofer Feld geben. Die Hangars sind teilweise mit Flüchtlingen belegt – und nun kommt ein Teil der Volksbühne dorthin.

Der Ort muss als Ganzes gedacht werden. Wie beziehe ich die Menschen, die dort untergebracht sind, in die Entstehungsgeschichte mit ein? Das neue Volksbühnen-Team spricht darüber zum Beispiel mit Diébédo Francis Kéré, der mit Schlingensief das Operndorf in Burkina Faso gebaut hat.

Wo setzt Kulturpolitik in der Stadt weitere Akzente, so es um neue Bewohner und die vielen Flüchtlinge geht?

Erst mal, indem wir Integration in und über Kultur anders als früher begreifen. Selbst die rechte Szene propagiert doch heute nicht mehr, dass ein migrierter Italiener jodeln lernen muss. Die lokale Kultur muss sich ständig durch das Hinzukommen von Menschen erneuern. Mir geht es nicht darum, ob der freundliche Syrer oder Texaner sein bisheriges Kulturleben hier fortsetzt. Können Sie gerne machen. Aber wichtig ist eher, dass sie Kultur zusammen mit den bisherigen Berlinerinnen und Berlinern leben und sich damit die hiesige Kultur verändert. In der Popkultur ist es selbstverständlich, aus dem Austausch verschiedener Traditionen Neues zu entwickeln. Das kann aber nur funktionieren, wenn ich nicht nur den klassischen Kanon pflege und Neue auch personell beteilige.

Investiert Kulturpolitik da nicht zu wenig in die Stadt als Soziales und die Außenseiterstrukturen?

Wir haben einen Schwerpunkt auf die Freie Szene gesetzt. Dort hat es eine Verdoppelung des Etats gegeben. Wir haben viele Räume wie Ateliers, Probe- oder Projekträume geschaffen. Die Tempel der Hochkultur soll man erhalten, fördern, entwickeln. Kulturpolitik muss aber auch begreifen, welche Relevanz Menschen haben, die diese Stadt durch Kulturarbeit prägen, die sich aber nicht in städtischen Institutionen wiederfinden und da vielleicht auch gar nicht reinwollen. Unser Kulturhaushalt muss weiter wachsen wie zuletzt, um 7 respektive 11 Prozent.

Und in welcher Koalition ließe sich das am besten bewerkstelligen?

Wir haben es mit Rot-Schwarz hinbekommen – und gehen davon aus, dass wir es erst recht mit Rot-Rot-Grün hinbekämen.

Anmerkung der Redaktion:

Das Interview mit Tim Renner enthielt in seiner ursprünglichen Fassung eine falsche Tatsachenbehauptung. Demnach hätte Dercon bereits vor der Volksbühne mit Christoph Schlingensief gearbeitet. Das stimmt nicht. Dercon hat dies nur später ebenfalls getan. Deswegen haben wir den betreffenden Passus in der Aussage Renners gestrichen. (A.F.)

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  • Kleiner Faktenservice: Chris Dercon hat Christoph Schlingensief natürlich nicht entdeckt. Zusammengearbeitet haben Chris Dercon und Christoph Schlingensief zum ersten Mal 2005 im Haus der Kunst in München, wo Christoph Schlingensief im Rahmen der Paul McCarthy-Show aufgetreten ist. 2007 folgte unter der Leitung von Chris Dercon an gleichem Ort die Solo-Show „18 Bilder pro Sekunde“ von Christoph Schlingensief. 2010 hat Dercon ebenfalls in München ein Gespräch von Patti Smith und Christoph Schlingensief über das Thema „Religion“ moderiert. Dercon hat 2012 die Filme von Schlingensief an der Tate Modern in London gezeigt. Es gibt eine Reihe von ausführlichen Essays von Dercon zur Arbeit von Christoph Schlingensief (u.a. zum Biennale-Projekt in Venedig 2011, zur Auktion 3000/Operndorf/Hamburger Bahnhof 2012 und zur Ausstellung im Moma / Ps1 im Jahr 2014). Kennengelernt haben sich Schlingensief und Dercon 1997 auf Vermittlung von Catherine David auf der Documenta in Kassel.