Kultursommer: Langsamer Abschied von der Landpartie

Das Schleswig-Holstein Musikfestival muss vom kommenden Jahr an sparen und will das vor allem bei der Flächenbespielung tun. Damit aber verwässert es sein Profil und zerstört mittelfristig sein wichtigstes Alleinstellungsmerkmal.

Exquisites Paar: Pferd und Musik auf Landpartie Bild: SHMF

"Das Schöne an meinem Job ist, dass ich das Geld nicht einwerben muss. Ich darf es einfach ausgeben". Frank Siebert, Chefdramaturg des Schleswig-Holstein Musikfestivals (SHMF), hat gut lachen. Er darf sich ausschließlich musikalischen Belangen widmen, darf für die Länderschwerpunkte vorrecherchieren; das diesjährige Festival, das am Sonntag in Lübeck startet, widmet sich Polen.

Das lästige Einwerben der Gelder dagegen, das Rechnen und Bilanzieren: machen andere. Sieberts Chef zum Beispiel, Intendant Rolf Beck, der das Festival seit 1998 leitet. Beck ist stolz darauf, dass das SHMF eines der wenigen ist, die Gewinn erwirtschaften, weil er stets konservativ rechnet. Sollte dann ein Konzert tatsächlich mal schlecht gelaufen sein, konnte er sich aus seinen Rücklagen bedienen. 1,1 Millionen Euro hatte das SHMF zuletzt zusammengespart, um für die nächsten Jahre gerüstet zu sein.

Alles vergebens: Im Frühjahr trat die Kieler Landesregierung an den Intendanten heran: Ob er die 1,1 Millionen nicht dem klammen Land überweisen könne - als Solidaritätsbeitrag gewissermaßen. Beck war einverstanden, man schloss sogar einen Vertrag darüber ab. "Wir dachten, damit wäre es getan", berichtet Chefdramaturg Siebert. "Die Politik hatte signalisiert, dass es keine weiteren Kürzungen geben werde."

Von Wotersen bis Föhr, von Brunsbüttel bis ins dänische Sonderburg reichen die Spielstätten des diesjährigen 25. Schleswig-Holstein Musikfestivals, das vom 10. Juli bis zum 29. August dauert.

49 Spielorte mit 74 Spielstätten haben die Organisatoren diesmal ausgesucht - unter anderem das Kuhhaus Altenhof sowie dessen Rinderstall, den Meldorfer Dom, die Rendsburger Reithalle und die Konzertscheune Salzau.

139 Konzerte sind geplant, zu denen auch fünf "Musikfeste auf dem Lande" sowie zwei "Kindermusikfeste" zählen.

Zu den elf Meisterkursen in der Lübecker Musikhochschule finden sich vom 16. 7. bis 22. 8. insgesamt 120 internationale Musiker ein.

Die Länderschwerpunkte der nächsten beiden Jahre werden die Türkei und China sein.

www.shmf.de

Bald jedoch kursierten Gerüchte: Das Land plane, den Zuschuss für das SHMF von 20 Prozent des Budgets auf 15 Prozent zu kürzen. Beck suchte das Gespräch, wollte verhandeln. Er bekam nicht mal einen Termin. Im Mai dann wurde es publik: Von 1,7 auf 1,2 Millionen Euro schrumpfen die Mittel, die das SHMF vom Land erhält.

Das scheint zunächst nicht viel, lebt das Festival mit einem Etat von rund acht Millionen Euro doch zum größeren Teil von rund 130 Sponsoren sowie den Eintrittsgeldern. Die Wut war deswegen nicht geringer: "Leistung wird also bestraft", dachten die Macher. Aber: "Jammern ist unsere Sache nicht", sagt Siebert. Jetzt drehen sich die Gedanken: Wo soll man sparen - bei der Zahl der Konzerte? Bei der Qualität? Soll man populistischer werden, um ein größeres Publikum anzuziehen? "Nein", sagt Siebert, "das wollen wir auf keinen Fall". Eher werde an Verwaltung und Personal gedacht - und an die Flächenbespielung. Es sei eben teuer, an Orten zu spielen, die keine Infrastruktur hätten und wo man "von der Bestuhlung bis zur Toilette alles hinbringen muss", sagt Siebert. Kurzum: Man werde die Zahl solcher Orte - Scheunen und Ställe etwa - reduzieren müssen. Das geht in der Tat ans Eingemachte. Denn gerade solch entlegene Spielstätten sind wichtigste Säule des SHMF - und dessen ganzer Stolz. Das "Prinzip Landpartie" eben.

Sicher, andere Festivals haben dieses Konzept inzwischen kopiert - die Musikfestspiele Mecklenburg-Vorpommern, die Musiktage Hitzacker, die Fredener Musiktage oder auch der Musikalische Sommer Ostfriesland. Ein bisschen hatte das SHMF also ohnehin eingebüßt von seiner Unverwechselbarkeit, auch wenn Beck stets darauf pocht, dass "das Original besser sein muss als die Kopie". Auch sein geographisches Profil hatte das SHMF schon in den fetten Jahren verwässert, indem es den "Spielraum Hamburg" dazunahm. Baut man den jetzt aus Geldnot tatsächlich aus - und das will Beck offenbar - könnte die Flächenbespielung darunter leiden. Und das SHMF würde vollziehen, was es doch eigentlich vermeiden will: den Rückzug aus der Peripherie zugunsten der Metropole.

Dass die Hansestadt den "Spielraum Hamburg" mit keinem Cent fördert, stört da übrigens nicht: Dort, weiß Siebert, "gibt es viele Sponsoren" und zudem "interessante Spielorte", etwa den schon 2009 genutzten Hangar des Flughafens. Eine Aufweichung des Konzepts mag Siebert in der Bewegung auf Hamburg zu nicht erkennen. "Unser Profil", sagt er vielmehr, "wird durch solche besonderen Orte noch mehr geschärft und fein gezeichnet".

Das klingt ein bisschen nach Schönrednerei. Weil aber das SHMF dort das einzige größere Musikereignis des Sommers ist, füllt es an der Elbe tatsächlich eine Lücke. Die örtlichen Profi-Orchester haben dann tariflich festgeschriebene Ferien. Was bleibt, sind Musikstudenten - also eigentlich noch Laienmusiker, die froh sind, in solch einem Rahmen auftreten zu dürfen.

Diese Idee - gute Nachwuchsmusiker zu einem günstigen Preis - prägt das SHMF von Anfang an: Höchstens 26 dürfen die Musiker sein, die nach etlichen Vorspiel-Runden jedes Jahr neu zu "Festivalorchester" und "Festivalchor" zusammengestellt werden. Gage bekommen sie keine. Dafür wohnen sie auf Schloss Salzau und werden obendrein verpflegt. Kein unfairer Deal, findet Siebert: "Die jungen Leute bewerben sich zu Hunderten und bekommen hier die Chance, mit erstklassigen Dirigenten zu spielen."

Was sie in diesem Jahr spielen? Die im 19. Jahrhundert komponierte polnische Nationaloper "Halka" von Stanislaw Moniuszko zum Beispiel. Die kannte zuvor auch der examinierte Musikwissenschaftler Siebert nur vom Hörensagen, "aber letztlich ist das bei jedem Länderschwerpunkt so", sagt er: "Wir fangen an zu recherchieren und sind dann überrascht von der Vielfalt und Qualität der betreffenden Musikszene."

In Polen sei das neben der Vielzahl hochkarätiger Pianisten und Kammerorchester der Jazz; das SHMF präsentiert Ikonen wie den Trompeter Tomasz Stanko und den Pianisten Leszek Mozdzer. Die Kontra-Altistin Ewa Podles, die in ganz Europa und an der New Yorker MET gastiert, ist hierzulande schon weniger bekannt.

Warum das so ist - und warum andererseits das Radiosinfonie-Orchester Kattowitz binnen kürzestem ausverkauft war: Vielleicht liegt es an der großen polnischen Community in Norddeutschland? Allein in Hamburg leben rund eine Million Polen. Das Programm, sagt Siebert, werde "überraschend gut angenommen - weit besser etwa als unser Frankreich-Schwerpunkt von 1999".

Auf Experimentelles und sonst wie schwer Vermittelbares hat man in diesem Jahr weitgehend verzichtet. Zwar hat man mit Witold Lutoslawski, Krzysztof Penderecki und Henryk Mikolaj Górecki drei bedeutende zeitgenössische Komponisten auf dem Programm. Als "Avantgarde experimenteller Musik" würde Siebert die aber auch nicht bezeichnen: "Gemäßigte Moderne", sagt er. Womit man den Hörgewohnheiten eines eher konservativ-hanseatischen Publikums vermutlich stark entgegenkommt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.