Kulturpolitik: Kulturkampf in Hannover
CDU empört: Kulturdezernentin Marlis Drevermann vergiftet die Festspiele Herrenhausen mit einer toten Ziege. Außerdem wurden im großen Stil Freikarten verteilt.
Hannovers Rathausmauern erschüttert ein Kulturkampf. Das heißt, eigentlich geht es um die dafür zuständige Dezernentin Marlis Drevermann (SPD) und das Programm der "Festwochen Herrenhausen". Auslöser der seit Tagen durch den lokalen Blätterwald geisternden Kabale sind angeblich in zu großem Stil verteilte Freikarten, eine gemeuchelte Ziege und "Kulturexperten" der Fraktionen von FDP und CDU.
Die Liberalen halten die Dezernentin Drevermann für die größere Zumutung, die Christlichen das tote Tier. Und/oder umgekehrt. Das ist in den kulturpolitischen Wirren schwer auszumachen. Zuerst zum toten Tier: Die Ziege starb auf Zelluloid und spielte eigentlich nur eine Nebenrolle in "Anatomie Titus", einer Paraphrase des Shakespeare-Klassikers "Titus Andronicus", inszeniert von der renommierten Künstlerin Brigitte Maria Mayer.
Zum Star machte das Vieh erst der CDU-Ratsherr Friedrich-Wilhelm Busse. Er habe zwar das Stück nicht gesehen, wisse aber ganz genau, dass da gezeigt wurde, "wie einer Ziege der Hals durchgeschnitten wird" und das Blut "sprudelnd" herausquillt. "Für mich", fügt Busse an, "ist das keine Kunst, sondern abscheulich". Das findet auch Nils Tilsen, Kultur-Sprecher der FDP. Er beklagt außerdem, obwohl ebenfalls nicht anwesend, die filmische Verstümmelung eines Bräutigams. Konfrontiert mit dem Hinweis, das sei halt Shakespeare, verweist er auf seinen Chef Wilfried Engelke, der "den Skandal" ja eigentlich betreue. Engelke passt die ganze Richtung nicht. Womit wir bei Drevermann wären und Elisabeth Schweeger einführen müssen.
Drevermann hatte die Dreistigkeit, Frankfurts ehemalige Schauspieldirektorin ab 2010 die Festspielleitung zu übertragen. Schweeger gilt als Verfechterin einer Kunst auf Höhe der Zeit. Und da liegt der Hase im Pfeffer. Als Schweeger die Herrenhäuser Barock-Fidelei schon 2009 mit ein paar Modernismen anreicherte, sah Klempnermeister Engelke die Festspiele im "Selbstverwirklichungswahn" zweier Kulturterroristinnen versinken. Wasser auf die Mühlen war der neue Titel "In Between" und eine großzügige Freikartenvergabe.
Maßnahmen, die, so Marlis Drevermann "lediglich helfen sollten, das Interim zwischen alter und neuer Intendanz zu überbrücken". Das mit den Freikarten ist inzwischen geklärt, die gab es früher auch in reichlicher Zahl, sollen aber nächstes Jahr reduziert werden. Der Rest dürfte weiter für Schlagzeilen sorgen.
Die kulturpolitische Sprecherin der SPD, Ulrike Bitttner-Wolff, konterte das christliberale Gemäkel mit "lächerlich" und "Kleingeister". Und CDU-Ratsherr Busse giftete, die Kulturdezernentin müsse schleunigst dafür sorgen, dass das kulturelle Ansehen der Landeshauptstadt Hannover wieder hergestellt wird. Er könnte sich an die eigene Nase fassen.
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