Kulturförderung in Berlin: Es geht an den Humus der Kulturszene
Berlins Off-Kultur ist von Kürzungen bedroht. Vor allem strukturfördernde Maßnahmen fallen unter den Tisch. Im Kulturausschuss wird heute nachverhandelt.
Aus der Kulturverwaltung herrscht zu den drohenden Kürzungen Schweigen. Man möge Verständnis dafür haben, sich „während der laufenden Haushaltsverhandlungen dazu nicht äußern“ zu können, so Pressesprecherin Hannah Dannel. Im taz-Interview hatte Kultursenator Joe Chialo (CDU) betont, mit seinem neuen Rekordhaushalt von 947 Millionen Euro für 2024 und gut einer Milliarde Euro für 2025 nicht nur Hochkultur oder kommerzielle Kultur fördern zu wollen, sondern auch solche, „die mit den Menschen in den Diskurs tritt, die uns zum Nachdenken anregt und die den gesellschaftlichen Zusammenhalt vorantreibt“.
Doch sowohl die lebendige und vielfältige Berliner Off-Kultur selbst, die in dieser Stadt noch immer ein Alleinstellungsmerkmal ist, als auch die Politik sprechen nun von einem Kahlschlag. In einem offenen Brief weisen das Netzwerk Tanzraum Berlin und der Verein Zeitgenössischer Tanz Berlin (ZTB) auf erhebliche Kürzungen für die „seit Jahren und zunehmend unterfinanziert(e)“ Sparte Tanz hin. „Die Förderung für Tanzkünstler*innen und Tanzorte sank für den Doppelhaushalt 2024/25 gegenüber 2022/23 insgesamt noch einmal um fast 500.000 Euro. Das entspricht einer Kürzung um mehr als 15 Prozent“, heißt es in einer öffentlichen Stellungnahme vom 4. Oktober.
Sie wollen nicht alle paar Jahre die Expertise verlieren
Daniel Wesener, Sprecher für Kulturfinanzierung bei den Grünen, kritisiert, dass Maßnahmen unter dem früheren Kultursenator Klaus Lederer (Linke) wieder rückgängig gemacht worden sind, die die freie Kulturszene nachhaltig resilienter gemacht hätten. Das betrifft auch einige der angesprochenen Projekte. Vor allem bei den sogenannten Projekträumen, also Orten, an denen produziert und präsentiert wird, wurde eine erst in diesem Jahr eingeführte Konzeptförderung von insgesamt über einer Million Euro wieder gestrichen. Diese war vor allem für Orte gedacht, welche noch keine Institutionen sind, aber trotzdem dank eines festen Stamms von Mitarbeiter*innen mehr brauchen als eine Basisförderung oder gar nur Förderungen von Projekt zu Projekt, um in einer Zeit des Fachkräftemangels auch im Kulturbereich nicht alle paar Jahre ihre ganze Expertise zu verlieren und wieder von vorn anfangen zu müssen.
Einen Teil der Kürzungen will Schwarz-Rot nun zurücknehmen, es gibt Änderungsanträge für die Projekte Panda platforma, das ZK/U und die Berlin Mondiale, damit diese weiterarbeiten können. Sie haben offenbar allein deshalb realistische Chancen durchzukommen, weil es allzu schlechte Werbung für die Koalition wäre, wenn ausgerechnet Projekte in finzanzielle Schieflage gerieten oder gar aufgeben müssten, die niedrigschwellige Kultur anbieten, komplexe Nachbarschaften und internationale Communitys vernetzen.
So ist das ZK/U dafür bekannt, dass es einen alten Güterbahnhof in Moabit sichern konnte, Atelierwohnungen für Stipendiat*innen aus der ganzen Welt anbietet, aber auch kostenlose Kultur für die Nachbar*innen. Das transkulturelle Netzwerk Berlin Mondiale ist eine Anlaufstelle für Menschen im Exil, geht in Stadtviertel ohne kulturelle Infrastruktur und hat unter anderem den Nachbarschaftscampus am Neuköllner Dammweg initiiert. Die unabhängige Panda platforma in der Kulturbrauerei, eine internationale Spielstätte mit dem Schwerpunkt Post-Ost-Community, hat sich zu einem der wichtigsten Treffpunkte für Kulturschaffende gemausert, wo „klare Position gegen die Kreml-Propaganda“ bezogen wird, wie Macherin Svetlana Müller es formuliert.
Es trifft vor allem das Prekariat
Dennoch ist deshalb nicht wieder alles in Butter. Der aktuelle Senat, da sind sich Kritiker*innen einig, läuft eher akuten Brandherden hinterher, als nachhaltige Strukturen zu schaffen, in die auch neue Projekte hineinwachsen könnten. „Es trifft vor allem die Kulturszene mit ohnehin prekärer Struktur und erbärmlichen Einkommensverhältnissen“, so Daniel Wesener. „Berlin galt lange als künstlerisches Zentrum in Europa, etwa für Tanz und Jazz. Jetzt fällt die Stadt zurück.“
Und was vielleicht ebenso schwer wiegt: Zwar dürfte jetzt bei einigen nachkorrigiert werden. Andere wie das Sinema Transtopia werden aber wohl unter den Tisch fallen. Das Sinema Transtopia hat im Haus der Statistik einen transnationalen Begegnungsraum für Filmkultur, Kunst, Wissen und Nachbarschaft mit Modellcharakter entwickelt. 2023 konnte es auf 350 Quadratmetern im Wedding einen gut funktionierenden und professionell ausgestatteten Präsentationsraum für viele Akteur*innen der freien Szene verstetigen.
Bislang erhielt das Projekt eine Strukturförderung, die nun komplett gestrichen ist. Ein Änderungsantrag liegt der Koalition nicht vor, der heute diskutiert werden könnte. „Ohne strukturelle Förderung aus der öffentlichen Hand müssen wir im Januar 2024 schließen“, so Malve Lippmann vom Sinema Transtopia.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz