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Kultur und Demokratie schützenEine von vielen Ratlosen

Der Verein „Die Vielen“ hat zur Konferenz gerufen. Beim „Ratschlag der Vielen“ sollen Kulturschaffende Handlungskonzepte gegen rechts entwickeln.

Alle machen ähnliche Erfahrungen: lebhafte Diskussion beim „Ratschlag der Vielen“ in der Akademie der Künste Foto: Marcus Lieberenz/bildbuehne

Berlin taz | Der Tag beginnt mit einer interaktiven Performance des Kollektives Turbo Pascal: Bei weichen Bassklängen sollen rund 250 Menschen aufschreiben, was sie zu der Konferenz „Ratschlag der Vielen – Handeln gegen Rechtsextremismus“ geführt hat. Auch ich bin am Donnerstag letzter Woche der Einladung des Vereins „Die Vielen“ gefolgt, um in der Akademie der Künste mit anderen Kulturschaffenden zu beratschlagen, wie man „die Demokratie aktiv schützen“ kann.

Kunst sei „ein wichtiger Resonanzraum“, in dem unterschiedliche Perspektiven zur Sprache kämen, schreibt uns Claudia Roth (Grüne) in einem Grußwort, um dann hinterherzuschieben: „Wir müssen aber über alle Instrumente der wehrhaften Demokratie reden, wenn sie in Gefahr ist.“

Will heißen: Kunst- und Kulturschaffen ist wichtig, reicht aber nicht. Für den Schutz unserer Demokratie muss mehr getan werden. Dass uns das die Kulturstaatsministerin des Bundes sagt, ist eigentlich gar nicht nötig. Deswegen sind wir ja alle hier.

Glücklicherweise gehöre ich nicht zu denjenigen, die den Satz „Zurzeit fühle ich mich …“ ergänzen sollen. Wahrscheinlich hätte ich ähnliche Antworten gegeben wie die, die nun an die Wand projiziert werden: „erschöpft“, „ohnmächtig“, „überfordert“. Im Januar haben viele von uns vor diesem Gebäude auf dem Pariser Platz gestanden, um unsere Empörung angesichts der Correctiv-Enthüllungen rund um die „Remigrations“-Fantasien der AfD und ihrer Freun­d:in­nen kundzutun. Zehn Monate später kann man in vielen Kommunen beobachten, dass sich die AfD um Brandmauern nicht scheren muss.

Jagoda Marinić hält einen Impulsvortrag

Zwar ist der Partei der Sprung in eine Landesregierung nicht gelungen – die Themen der AfD bestimmen jedoch längst die Agenda aller Parteien. „Es ist unangenehm, das zu sagen“, so die Publizistin Jagoda Marinić bei einem Impulsvortrag. „Aber der Feind ist längst unter uns.“

Ich verstehe, was sie meint. Zwar gehöre ich nicht zu den Berliner Kulturschaffenden, die wegen der rabiaten Kürzungen der schwarz-roten Koalition nun um ihre Existenz fürchten müssen. Als Drehbuchautorin arbeite ich jedoch für die Sender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Und die wollen – zumindest im fiktionalen Hauptprogramm – lieber nichts von den drängenden Themen dieser Zeit wissen.

Schon auf der diesjährigen Berlinale, also wenige Wochen nach dem Potsdamer AfD-Treffen, sagte man mir von Produktionsseite, dass sich die Fernsehsender nur für „leichte“ Stoffe gewinnen ließen, also für Geschichten, die mit dem Hier und Heute nichts zu tun haben. Eskapismus ist das Gebot der Stunde.

Angesichts des Fernsehprogramms von ARD und ZDF scheint das nicht sonderlich erstaunlich – alarmierend ist es dennoch. Dass der Hamburger Kultursenator und Vorsitzende des Deutschen Bühnenvereins, Carsten Brosda (SPD), an diesem Vormittag – den deutschen Philosophen Ernst Cassirer zitierend – für die Produktion von Bildern eines demokratischen Miteinanders plädiert, ist mehr als naheliegend. Sollte es den Sendern nicht gerade jetzt ein dringendes Anliegen sein, alternative Erzählungen zum Status quo in die Welt zu bringen, statt sie einer Partei zu überlassen, die das Wort „Alternative“ im Namen trägt?

„Polarisierende Themen unbedingt vermeiden“

Mir und anderen aus meiner Zunft ist dieser Gedanke natürlich längst gekommen. Aber nicht mal in den nachgefragten, vermeintlich unterhaltsameren Genres Komödie, Science Fiction und Thriller soll sich unsere Wirklichkeit spiegeln, ja selbst im Krimi sollen wir „polarisierende Themen unbedingt vermeiden“. Die Leute vor dem Fernseher sind müde vom Hier und Jetzt, wird mir gesagt.

Die Leute, das sind die Menschen mit den ollen Quotenzählautomaten auf der Glotze. Von ihnen wird nicht nur angenommen, dass sie die Zu­schaue­r:in­nen­schaft repräsentieren. Sie sollen auch zu der „Mehrheitsgesellschaft“ zählen, auf die in den politischen Diskursen jetzt immer so viel Rücksicht genommen wird, wie Jagoda Marinić zu Recht kritisiert – und auf die auch die Sender reagieren. Sicher auch, weil sie wissen, dass so man­che:r das öffentlich-rechtliche Fernsehen am liebsten ganz abschaffen würde.

Wer das öffentlich finanzierte Fernsehen einschaltet, der darf abschalten, so also das Versprechen der Sender – deren Rundfunkräte von allen Parteien besetzt sind. Mit ihrem Programm gehorchen sie auf vorauseilende Weise denen, die sie am meisten fürchten.

Wir sind am Donnerstag aber nicht da, um abzuschalten, wir sind voll bereit für das, was diese Zeit uns abverlangt. Oder? „Die Kultur kann sich nicht um alles kümmern“, heißt es häufig. Es wird darüber geklagt, dass immer mehr Förderinstitutionen vorschreiben, was die Kultur leisten soll. Wenn der Staat nicht für Präventionsarbeit und Demokratiebildung sorgt, müssen sich andere darum kümmern, die Kultur etwa. Und wie man angesichts dieser Tagung erleben kann, sind Kulturschaffende leicht für diese Aufgaben zu begeistern.

Immer weniger Geld

Jagoda Marinić fragt sich in ihrem Vortrag, ob die Kulturszene nicht zu „compliant“ war, sich zu viel hat vorgeben und aufdrücken lassen. Sie hat recht, finde ich, zumal für diese kulturelle Bildungs- und Präventionsarbeit ja auch immer weniger Geld vorhanden ist.

Aber obwohl die Politik an vielen Orten dieser Republik drauf und dran ist, uns Kulturschaffenden die Existenzgrundlage zu nehmen, zerbrechen wir uns weiter bereitwillig den Kopf über Probleme, die eigentlich von ihr gelöst werden müssten … Durch die gläserne Front des Plenarsaals der Akademie hat man übrigens einen ausgezeichneten Blick auf den Reichstag.

Nach den Impulsvorträgen und Panels geht es in die Arbeitsgruppen. Hier sollen nun konkrete Handlungsoptionen gesammelt werden. Klingt großartig, nach der bisherigen Diskussion frage ich mich jedoch: Ist das nicht zu viel verlangt?

Klingt großartig, nach der Diskussion frage ich mich jedoch: Ist das nicht zu viel verlangt?

Tatsächlich erweist sich die Arbeit in der Gruppe „Kunst der Demokratie“ als wenig fruchtbar. Es mag daran liegen, dass die Vielen in dieser Gruppe zu viele sind, als dass alle zu Wort kommen könnten. Auch sind die Problemlagen der aus der ganzen Republik angereisten Kulturleute so komplex, dass man nur schwerlich über eine Beschreibung hinauskommt, geschweige denn eine griffige Antwort darauf findet. Klar ist es wichtig, Kultur in ländliche Gebiete zu bringen – aber wovon soll die bezahlt werden, wenn ein AfD-dominierter Kulturausschuss alle Gelder streicht? Wie kulturelle Bildungsarbeit in Schulen machen, wenn der AfD-wählende Direktor einen nicht reinlässt?

Nur mit einem festen Etat

Selbst die Po­li­ti­ke­r:in­nen unter uns scheinen angesichts solcher Lagen ziemlich ratlos. „Wir bräuchten eine Streikkasse für Kulturschaffende“, sagt ein SPD-Politiker aus Bochum und rät zur Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft. Ein Filmemacher wirbt dafür, bei der nächsten Wahl zu kandidieren.

Noch deutlicher als am Vormittag wird klar: Die Probleme, um die es geht, müssen im Kern gelöst werden, also in der Politik. Hier müssen die Entscheidungen getroffen werden, von denen wir den ganzen Tag lang sprechen, wie etwa das AfD-Verbotsverfahren oder die Erklärung der Kultur zum Staatszweck. Nur mit einem festen Etat kann eine pluralistische Kunstszene lebendig gehalten und Kulturprojekte auch in Regionen gesichert werden, in denen die AfD Kulturschaffenden den Hahn abdreht.

Und es braucht dringend eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks samt dem Programm, über das nicht die Quoten, sondern die Ma­che­r:in­nen auf demokratische Weise entscheiden. Erst wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk aufhört, nach der Quote zu schielen und seinem Auftrag gerecht wird, ist die Frage nach seiner Notwendigkeit obsolet.

Die meisten Ratschläge, die wir am Ende des Tages vergeben können, sind also alles andere als neu. Viele Vorschläge betreffen die Kulturszene selbst, da geht es um die Verbesserung der Vernetzung und gegenseitigen Unterstützung, etwa in Form eines Rechtsbeistands bei Klagen der AfD. „Gut, dass ich nicht allein bin“, höre ich oft. Angesichts des Titels „Ratschlag der Vielen“ scheint das insgesamt etwas wenig, denke ich, als ich abends die Akademie der Künste verlasse. Aber vielleicht ist diese Form des Austauschs und Zusammenhalts das Einzige, was ein solches Netzwerk in der derzeitigen Situation leisten kann – und auch leisten sollte.

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