Kultur im Stream: Für immer digital

Mit dem Lockdown kam die große Stunde der Digitalisierung von Kulturveranstaltungen und Konzerten. Nach Corona wird davon etwas bleiben.

Mit rotem Samt bezogene Stühle in einem Zuschauerraum

Beste Konzertatmosphäre Foto: Jens Kalaene/dpa

BERLIN taz | Ein Konzert oder ein Theaterstück via Strea­ming zu erleben ist nur ein trauriges Surrogat, das gilt als gesicherte Erkenntnis. Wie Selbstbefriedigung, obwohl man viel lieber zwischenmenschlichen Sex hätte. Wenn diese verdammte Pandemie einmal vorbei ist, wird man deswegen in Musikclubs wieder ordentlich schwitzen und nach der Theaterpremiere ums Eck gemeinsam etwas trinken gehen. Und sich sicherlich keine Streams von Kulturevents mehr ansehen.

Vielleicht kommt es aber auch anders. Vielleicht wird die Digitalisierung der Kultur, die Corona stark angeschoben hat, bleiben. Und es wird ein wenig so sein wie beim Fußball. Im Stadion zu sein sei das wahre Erlebnis, sagen manche. Aber ganz offensichtlich sind nicht wenige Menschen zufrieden damit, ein Spiel nur im Fernsehen oder Internet verfolgen zu können. Während und wegen Corona entstandene Streamingplattformen wie „Dringeblieben“, die alles vom Kammerkonzert über Partys bis hin zu Tanzperformances digital anbieten, könnten also fortbestehen, wenn man bei Corona wieder zuerst an eine Biermarke denkt.

Selbst den Clubs wird das Thema Streaming erhalten bleiben, glaubt Lutz Leichsenring von der Clubcommission. Mit der Aktion „United we stream“, bei der während der Pandemie DJs in leeren Clubs auflegten, konnte ein hoher sechsstelliger Betrag an Spenden eingenommen werden. Streaming half in der Krise. Leichsenring denkt, dass nach der Pandemie weiter aus den Clubs gestreamt wird – als Werbemaßnahme.

Tex Drieschner, Veranstalter und Moderator von TV Noir, einem Pionier bei der Übertragung von Livekonzerten für den Hausgebrauch, glaubt sogar, dass Streaming erst nach Corona so richtig groß werde. Seit 13 Jahren existiert das Format, das schon mit Arte und dem ZDF zusammengearbeitet und einen eigenen Youtube-Kanal hat. Drieschner, der nebenbei Musiker ist, vergleicht die Mischung aus lustigen Anmoderationen, Spielen und Show, für die TV Noir steht, eher mit Musikfernsehen denn mit klassischen Konzerten. Aufgezeichnet wurden die Veranstaltungen vor Publikum früher im Heimathafen Neukölln, inzwischen im Admiralspalast.

Spotify für Konzerte

Als Corona kam, war es damit erst einmal vorbei. Und so erfand sich TV Noir neu. Anstatt im großen Admiralspalast vor Besuchern loszulegen, lädt man sich Musiker und Musikerinnen nun ins Büro im Graefekiez ein und lässt sie kleine Konzerte geben, die aufgezeichnet und live gestreamt werden. Ein Mitgliedschaftsmodell für zahlende Abonnenten wurde eingeführt. TV Noir wurde zu einer Art Spotify für Konzertstreamings. Der Zuspruch sei riesig, so Drieschner, um die 1.000 Mitglieder seien bereit, acht Euro monatlich zu überweisen. Ohne Förderung, wie sie TV Noir aktuell bekommt, würde das Konzept freilich noch nicht aufgehen.

Drieschner glaubt, das Bürokonzert-Format für ein Online-Publikum werde es auch nach der Pandemie geben. Jetzt, wo draußen wieder der ein oder andere Live-Event vor Publikum statt findet, lädt TV Noir ungerührt zum „Streaming Festival Frühsommer 2021“ ein, wo zig Newcomer-Bands ihre Auftritte aufzeichnen lassen.

Etwas weniger klar ist bei Culture Cast, wie es nach der Pandemie weitergehen soll. Während Corona hat die kleine Berliner Firma, die von Tontechnikern, Musikern und anderen Leuten aus der Veranstaltungs- und Kulturbranche gegründet wurde, vor allem im Club Astra Konzerte ohne Publikum aufgenommen und via Livestreaming übertragen.

Das Konzept basierte auf Spendenbasis und lief, so Andreas Hartmann von Culture Cast, ziemlich gut. Bis zu 15.000 Euro konnten für ein Konzert eingenommen werden. Bei Culture Cast blieb davon ein Drittel hängen, richtig etwas verdienen ließ sich damit nicht, so Hartmann. Derzeit plant das Corona-Start-up keine neuen Online-Konzerte und von den fast 30 Mitarbeitern ist eigentlich nur noch er übrig geblieben. Mit der Pandemie ist auch das Treiben von Culture Cast abgeflaut.

Doch irgendetwas will Hartmann noch anstellen mit seinem Portal, sagt er, die geschaffenen Strukturen und die erlangte Reichweite nutzen. Er glaubt: „Streaming wird nach Corona nicht ganz wieder wegfallen.“ Vor allem jetzt – in der Übergangsphase zwischen Lockdown und Öffnung – nicht. Ein kleines Konzert darf aufgrund immer noch bestehender Hygienemaßnahmen nur vor 100 Besuchern stattfinden, entwirft er als beispielhaftes Szenario, um die nahe Zukunft von Culture Cast zu skizzieren. Er würde dann über seine Plattform weitere Online-Tickets für den Auftritt anbieten, eine Ergänzung, die für Musiker und Musikerinnen genauso Sinn ergeben würde wie für die Veranstalter.

Ein Hybridmodell aus analog und digital wäre das. Ob das längerfristig angenommen wird, ist er sich freilich nicht so sicher. Immerhin: Er hat gerade die Zusage für eine Förderung reinbekommen. Vorerst wird es also weitergehen mit Culture Cast.

Die Idee gab's schon vor Corona

Ebenfalls in der Findungsphase für die Post-Corona-Zeit ist Beat Halberschmidt, Musiker und Gründer der Firma Berta Berlin. Diese brachte er kurz vor Corona an den Start. Seine Idee damals: kleine Konzerte zu digitalisieren und zu archivieren. Und das in gehobener Qualität. Als dann Corona kam, konnte er sich gar nicht mehr retten vor Arbeit. Plötzlich wollten alle das, was er im Sinn hatte.

So hat er Konzerte im Gretchen aufgezeichnet, genauso kürzlich die im Radialsysten eingespielten „Kosmostage“ des Andromeda Mega Express Orchestra. Sein Ding ist aber nicht das Livestreaming, sondern die Digitalisierung eines Konzerts für den späteren Online-Gebrauch. Bei der Direktübertragungen gerade für kleine Events gehe viel an Ton- und Bildqualität verloren, sagt er, „und meist mischen Leute im Konzertraum den Ton für Leute, die nicht in dem Raum sind“. Mit grauenhaften Ergebnissen. Bei ihm dagegen werde der Ton sorgfältig nachbearbeitet.

Livestreaming werde sowieso überschätzt, findet Halberschmidt: „Die Leute haben während der Pandemie versucht, mit der Brechstange den physischen Event ins Internet zu übertragen. Aber das ist Quatsch. Das Internet funktioniert nicht linear und den Großteil dieser Streams wird man sich nie wieder ansehen.“

Er wolle deswegen Livekonzerte nicht online ersetzen, sondern ergänzen, diese „nicht nur dokumentieren, sondern ansprechend vermitteln, um was es dabei gegangen ist“. In der Bildenden Kunst werde schon seit Langem mit Plan digitalisiert, sagt er, inzwischen auch im Bereich Tanz. Nur in der Musik nicht. Das werde sich nun hoffentlich ändern. Demnächst könne er endlich wieder Konzerte vor Publikum aufzeichnen. „Jetzt geht es erst so richtig los“, hofft er.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.