Kultur gegen Erderhitzung : Linke sind in der Falle
Ist ein linker Kulturkampf gegen rechtspopulistische Anti-Zukunftspolitik sinnvoll, Robert Pfaller? Der Schriftsteller und Philosoph im taz FUTURZWEI-Gespräch.
taz FUTURZWEI: Ist die sozialökologische Transformation überhaupt ein realistisches Projekt, Herr Pfaller?
Robert Pfaller: Ich fürchte, den sogenannten Realisten wird die Fantasie fehlen, die man braucht, um sich jene gewaltige Veränderung der Gesellschaft vorzustellen, die notwendig sein wird, um nachfolgenden Generationen ein erträgliches Leben auf diesem Planeten zu sichern, ohne dabei große Teile der Welt ins Elend zu stürzen. Wenn die gewaltigen Reichtumsunterschiede und Machtgefälle auf dieser Welt nicht angetastet werden, wird jede noch so gut gemeinte Veränderung lediglich dazu beitragen, dass die mächtigen Verursacher der ökologischen Schäden für sich selbst wenigstens noch für eine Weile ein Überleben sicherstellen, während diejenigen, die am wenigsten dafürkönnen, an den Folgen zugrunde gehen. Das ist eine Tendenz, die wir ja schon jetzt beobachten können. Die Sorge um die Natur vereint die Menschen nicht. Sie führt im Gegenteil zu immer offensichtlicheren Versuchen, partialökologische Enklaven für sich selbst zu gewinnen und die Nachteile auf andere abzuwälzen.
Der Mann: Professor für Philosophie. Lehrt an der Kunstuniversität Linz. Radikaler Gegner von Rauchverboten und Cancel Culture (»Sabotage-Akt an emanzipatorischer Politik«).
Geboren 1962 in Wien. Lebt in Wien.
Das Werk (u. a.): Zwei Enthüllungen über die Scham. S. Fischer 2022
Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur. S. Fischer 2017
Wofür es sich zu leben lohnt. Elemente materialistischer Philosophie. S. Fischer 2011
Was wären die kulturellen Voraussetzungen dafür, dass es realistisch wird?
Man muss zuallererst den Kampf für die Transformation als ein gemeinsames Anliegen all jener begreifen und kenntlich machen, die unter den Folgen des gefräßigen neoliberalen Kapitalismus leiden: an seinen Umweltzerstörungen genauso wie an seinen Beraubungen gegenüber wehrlosen Bevölkerungen im Globalen Süden; an seinem Raubbau an den Sozialsystemen und an der meist den Frauen überlassenen Sorgearbeit; an dem Gefälle zwischen Stadt einerseits und Vorstadt beziehungsweise Land andererseits. Auch an dem wachsenden Gefälle zwischen den reichen kapitalistischen Ländern, die einst vom Kolonialismus profitiert haben und nun vom Finanzkapitalismus profitieren, und jenen kapitalistischen Ländern, die keinen solchen Wohlstandsboost durchgemacht haben und darum nun regelmäßig in Demokratieverlust und Autoritarismus zu kippen drohen. Und an den unerträglichen Arbeitsbedingungen, die dieser Kapitalismus für viele geschaffen hat, an den sozialen Abstiegsängsten und an den Ängsten um die berufliche Zukunft.
Aber wie realistisch ist so ein Kampf?
Der ist im Moment natürlich noch utopisch, denn der neoliberale Kapitalismus dividiert ja alle geschickt auseinander: noch halbwegs gut bezahlte Industrie- oder Dienstleistungsbeschäftige von den Prekarisierten; jene, die um ihre Arbeit fürchten, von jenen, die stärker die Umweltschäden zu spüren bekommen oder sich um sie sorgen; diejenigen, die die Zerstörung der letzten Reste des Sozialstaats befürchten von denjenigen, die die humanitären Katastrophen im Mittelmeer vor Augen haben und so weiter.
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In welchem Verhältnis steht diese Transformation zur Kategorie der Freiheit?
Klarerweise kann eine solche gewaltige Veränderung der Gesellschaft nur gelingen, wenn staatliche und transnationale politische Institutionen massive Regelungen entwickeln und durchsetzen. Wenn dieser Zwang durch demokratisch kontrollierte Organe ausgeübt wird, dann ist er ein Akt der Freiheit. Jetzt dagegen können die mächtigsten Konzerne und Konsortien mehr und mehr agieren, wie sie wollen, und die Möglichkeiten demokratischer Entscheidung einschränken.
Wie könnte man kontraintuitiv an das Projekt gehen, also nicht Post-68er-Neo-Öko-protestantistisch?
Es wird nicht zielführend sein, die Bereitschaft von Oberlehrern zu Gemüseanbau und Fahrradfahren als allgemeines Leitbild zu propagieren. Vielmehr muss man – genau so, wie es in der Arbeiterbewegung und im Feminismus geschehen ist – den berechtigten Zorn der Leute als Ressource erkennen und nutzen. Zorn zum Beispiel darüber, dass man intakte Waschmaschinen oder Drucker in den Müll werfen soll, nur weil man irgendwelche Teile nicht mehr bekommt; dass man funktionierende Rechner weggeben muss, nur weil Computerfirmen ihre neuen Programme absichtlich so entwickeln, dass sie nicht mehr auf ihnen laufen. Zorn darüber, dass man plötzlich für jedes Gerät ein anderes Ladekabel braucht et cetera. Das sind ja alles Symptome von Staatsversagen im Kleinen.
»DIE KUNST ERREICHT NUR NOCH KOLLEGEN.«
Robert Pfaller
Die Designerin Julia Lohmann stellt immer die Frage: »Wollen Sie dieses Ding in ihr Leben lassen?«
Die Menschen werden derzeit doch zunehmend um ein sehr entscheidendes Glück im Umgang mit ihren Dingen gebracht – nämlich das Glück, sorgfältig gemachte Dinge zu bekommen, mit denen man sich vertraut machen und an denen man festhalten kann; etwa so wie an einer liebgewonnenen alten Füllfeder oder einem schlichten, aber sichtlich perfekt gestalteten Möbelstück. Jetzt ist es genau umgekehrt: Man bekommt lieblos und schlampig gemachte, hastig produzierte Objekte, deren Gebrauch sich nicht erschließt, bei deren Firmenhotline man niemanden fragen kann und die man auch nicht behalten kann, um mit ihnen immer vertrauter zu werden – weil man eben alles bald wieder wegwerfen muss. Genauso übrigens, wie man heute auch bei seiner Firma nicht mehr alt werden kann, weil sie einen bald wieder hinauswirft oder selbst bald aufhört zu existieren. Der verbreitete, zunehmende Zorn über die aktuellen Zustände erklärt sich mir aus vielen kleinen, frustrierenden Alltagserfahrungen dieser Art. Anstatt die Menschen zur postindustriellen Askese zu animieren, sollte man sie lieber an solche verlorengegangenen Glückserfahrungen erinnern, die manchen älteren Menschen ja durchaus noch in Erinnerung sind.
Was ist mit den handelsüblichen Kunstformen, Kunstausstellungen und Romanen zum Klimawandel?
Die Kunst hat leider seit etwa drei Jahrzehnten das Problem, dass sie fast nur noch Kollegen und Gleichgesinnte erreicht. Darum sind ihre Chancen, Gesinnungen zu verändern, recht bescheiden geworden. Dennoch gibt es hin und wieder kleine Lichtblicke. Mir hat zum Beispiel vor einigen Jahren das Projekt »über.morgen: Linz« der Gruppe theaternyx einiges zu denken gegeben: In einer Stadtführung durch das reale Linz, aber mit Kommentaren zum Linz des Jahres 2050, wurden die Folgen von zukünftiger sozialer Erosion, von Flucht aufgrund gestiegener Meeresspiegel et cetera sehr drastisch zur Darstellung gebracht.
Ist ein Kulturkampf von links sinnvoll?
Große Teile der Linken sind in den letzten Jahrzehnten leider in die neoliberale Falle getappt, die ökonomischen und sozialen Probleme zu kulturalisieren. Während brutale Privatisierungen im Gesundheits-, Bildungs- und Infrastrukturbereich durchgesetzt, Austeritätspolitik aufgezwungen und Banken gerettet wurden, beschäftigte sich die Linke mit großem Eifer mit Fragen der Darstellung der Welt in Sprache, Film und Fernsehen. In der Folge ging es bei diesen Engagements auch meist nicht mehr um eine Sache, sondern lediglich um den kulturellen Distinktionsgewinn, den man sich durch solches Engagement versprechen konnte. Man hat dieses Kulturprogramm in zahlreichen neugeschaffenen Gremien, Arbeitskreisen und Beobachtungsstellen verstetigt. Darum leben inzwischen ganze Scharen von Funktionären – lauter »Beauftragte« – von diesen Fehlern. Weil sie ihre Posten wohl kaum gerne werden räumen wollen, und weil an ihnen ja auch zahlreiche politische Entscheidungsträger hängen, denen sie Legitimation verschafft haben, wird sich das alles nicht so leicht ändern lassen.
Die Welt muss wieder schön werden
Wer Ernst machen will, muss verstehen, warum wir nicht gegen die Klimakrise handeln, obwohl wir alles wissen: Ohne Kulturwandel kein Weltretten.
Wir machen Ernst III, Schwerpunkt: Kultur
Mit Annahita Esmailzadeh, Arno Frank, Esra Küçük, Ricarda Lang, Wolf Lotter, Nils Minkmar, Luisa Neubauer, Robert Pfaller, Eva von Redecker, Claudia Roth, Ramin Seyed-Emami und Harald Welzer.
Also keine Chance für die Kunst?
Das Einzige, was nicht kulturalisiert wurde, war die Kunst. Aufgrund der allgemeinen Kulturalisierung sozialer Probleme – und der entsprechenden Richtlinien für die Kulturförderung – durfte die Kunst nicht mehr Kunst sein, sondern musste ständig für alles andere herhalten. Das hat die Kunst nicht nur um ihren Reiz gebracht, sondern auch ihre politische Wirksamkeit weitgehend zunichte gemacht.
Wie kann man es besser machen?
Ein linker Kulturkampf müsste darum zunächst auf die Entkulturalisierung der ökonomischen, ökologischen und sozialen Fragen zielen. Nur so kann man Solidarisierung und den Blick auf das Ganze der Verhältnisse erreichen. Das Prinzip muss immer lauten: »Niemals den Kampf verknappen.« Das bedeutet: Nicht nur die Aktivisten von Fridays for Future sind Kämpfer gegen den Klimawandel, sondern auch alle, die sich zum Beispiel gegen Freihandelsverträge oder gegen geplante Obsoleszenz in der Gebrauchtgüterindustrie einsetzen; sich gegen mangelnde Ersatzteilversorgung und Reparaturmöglichkeit, gegen fehlende Industriestandards für Produktkompatibilität wehren, und viele mehr. Also: Das Ganze im Auge behalten, und alle, die sich an irgendeiner seiner Fronten zu wehren beginnen, als Verbündete verstehen und willkommen heißen.
Betreiben Klimaaktivisten auch einen Kulturkampf, wenn sie die eingeübte Kultur stören, den Flug- oder Autoverkehr stören und unterbrechen? Was ist der Unterschied, wenn man das für »das Gute« macht, den kulturellen Wandel?
Ein wirklicher Kulturkampf – wie er vor etwa hundert Jahren von der Arbeiterbewegung für die Abschaffung der Religion geführt wurde – muss ein Ziel formulieren, das für alle von Interesse sein kann, und die Mittel des Kampfes müssen geeignet sein, andere von diesem Ziel zu überzeugen. Es kann dabei durchaus richtig sein, Straßen zu blockieren. Das haben zum Beispiel streikende Studierende in Österreich 1987 gemacht, als die Regierung das damalige Staatsfernsehen anleitete, nicht mehr über die Studentenstreiks zu berichten. So kam man wenigstens noch in den Verkehrsfunk, und große Teile der Bevölkerung, die das begriffen, solidarisierten sich mit dem Streik der Studierenden. Wenn man allerdings in der Frage des Klimawandels ein Umdenken in der Mehrheit der Gesellschaft herbeiführen will, scheint es mir wenig zielführend, Lohnabhängige auf dem Weg zur Arbeit zu behindern.
Warum sind Mobilitätsblockaden nicht zielführend?
Mein Eindruck ist, dass hier eine falsche Problemwahrnehmung in Taten umgesetzt wird. Das Problem besteht doch nicht im fehlenden Bewusstsein in der Gesellschaft. Und es ist auch nicht, wie diese Kinderkreuzzüge ständig suggerieren, ein Kampf von Jung gegen Alt. Es spüren doch inzwischen fast alle, dass mit dem Klima etwas nicht stimmt und dass da etwas im Großen im Argen liegt. Die Frage ist nur, wie das geändert werden kann – und vor allem: wer die Macht hat, die zugrunde liegenden Strukturen zu ändern.
Wir haben es in Deutschland mit einer Reaktion gegen eine Transformation zu tun, die noch gar nicht losgegangen ist. Kann man das mit der klassischen »Reaktion«, etwa gegen die Arbeiterbewegung, vergleichen?
Auf keinen Fall. Die Arbeiterbewegung hatte reale Klassenfeinde gegen sich, die durch nichts zu überzeugen gewesen wären. Die Ökologiebewegung dagegen erzeugt gegenwärtig am meisten Unmut gerade bei denjenigen, die eigentlich ihre Verbündeten sein könnten, es aber so lange nicht werden können, wie man die Natur für ein isolierbares, etwa durch neue Technik oder durch bloßen Verzicht lösbares Problem hält. Wenn man die Probleme des Klimawandels, wie die Philosophin Nancy Fraser sagt, nicht als Teil der »kannibalistischen« Gesellschaftsordnung des neoliberalen Kapitalismus begreift, sie also getrennt von den sozialen Problemen behandeln will, dann verlagert man das Problem nur und produziert dadurch viele neue Verlierer. Pendler in ländlichen Regionen zum Beispiel werden zu Recht das Gefühl haben, dass man ihnen das Auto wegnehmen will, das für sie aber lebensnotwendig ist.
»WENN ES DIESE RECHTSPOPULISTISCHEN PARTEIEN NICHT GÄBE, MÜSSTE DER NEOLIBERALISMUS SIE GLATT ERFINDEN. DENN SIE DISKREDITIEREN JEDE NOCH SO VERNÜNFTIGE POLITIK.«
Robert Pfaller
Ist der Rechtspopulismus Teil dieser Reaktion?
Rechtspopulistische Parteien hätten wohl keine Chance, wenn der Zorn der Leute über den Verlust von Zukunftsperspektiven, über den fortschreitenden Sozialabbau und Demokratieverlust eine ernstzunehmende politische Repräsentation besäße. Da sämtliche respektable demokratische Parteien aber weiterhin geschlossen neoliberale Politik betreiben und, wie wir seit einigen Jahren beobachten müssen, nicht einmal eine vernünftige Diskussion darüber zulassen, erhält die extreme Rechte Zulauf – und das, obwohl sie ja auch keine brauchbaren Lösungen anbietet.
Sie haben in Österreich schon seit Längerem eine starke rechtspopulistische Partei, die auch schon mehrfach in der Bundesregierung war. Wie hat das die gesellschaftliche Kultur verändert und die Transformationsbereitschaft – und wie den Kulturbetrieb?
Wenn es diese rechtspopulistischen Parteien nicht gäbe, müsste der Neoliberalismus sie glatt erfinden. Denn sie erfüllen eine für den herrschenden Konsens unverzichtbare Funktion: Sie diskreditieren jede noch so vernünftige Kritik.
Interview: HARALD WELZER
Dieser Beitrag ist im September 2023 im Magazin taz FUTURZWEI N°26 erschienen.