Kultur-Event: So kommt die Lange Nacht auf Touren
Wieder stellt die Lange Nacht der Museen ihre Gäste vor eine übermenschliche Herausforderung: sich zurechtzufinden. Die taz zeigt, wie's gehen kann.
Rituale wurden erfunden, um Menschen dabei zu unterstützen, sich in einer Gesellschaft verankert zu fühlen. Volksfeste, öffentliche Feierlichkeiten, religiöse Initiationsriten - all solche Anlässe gehören dazu. Gerade sie aber haben in den vergangenen 50 Jahren viel von ihrer sinnstiftenden Bedeutung verloren. Wer glaubt, damit sei das Thema erledigt, irrt.
Zum zehnjährigen Jubiläum der Langen Nacht der Museen werfen sich über 100 Ausstellungsorte und Archive in Schale. Die einzelnen Häuser überbieten sich regelrecht mit ihren Programmen: schöner, besser, kreativer - wie es sich für ein Event, das mittlerweile Kult ist, gebührt.
Wann genau bei der Langen Nacht der Museen die Nacht beginnt, lässt sich nicht so genau sagen. Bei dem umfangreichen Programm, das man sich als pdf-Datei aus dem Internet herunterladen kann, fällt zwar bei vielen Einrichtungen um 18 Uhr
der Startschuss, aber beileibe nicht bei allen. Das Kombi-Ticket für alle Veranstaltungen sowie die Shuttlebusse sowie BVG und S-Bahn für 12 /8 gilt jedenfalls am Samstag ab 15 Uhr und bis Sonntag früh um 5 Uhr.
Denn Gott sei Dank gibt es neue Rituale. Kultevents heißen sie nun. Die Lange Nacht der Museen ist zu einem solchen geworden. Eigentlich gäbe es an rund 300 Tagen im Jahr Gelegenheit, ins Museum zu gehen, und nicht nur in einer Nacht. Aber die Langen Museumsnächte sind eben etwas anderes. Sie kommen wie Volksfeste daher. Ungefähr 100 Einrichtungen öffnen dafür ihre Türen, und Zehntausende rennen sie ihnen ein. Routen werden organisiert und Bustransfers bereitgestellt, damit man von einem Museum zum anderen kommt. Dabei strengt sich doch jede Institution an, ein derart ausgefeiltes Programm auf die Beine zu stellen, dass es die Gäste die ganze Nacht fesselt und sie gar nicht weiterzuziehen brauchen. Aber um Vollständigkeit geht es nicht, sondern darum, sich zu erschöpfen.
Die Fülle an Möglichkeiten, sich zu erbauen und zu vergnügen, die in dieser Nacht geboten wird, ist ohne Laisser-faire nicht zu bewältigen. Im Zuviel das Richtige zu finden überfordert alle. Man muss in die Möglichkeiten hineingreifen wie in eine Lostrommel. Und wenn man eine Niete zieht, wie, na vielleicht das S-Bahn-Museum, kann das als Herausforderung angenommen werden. Warum sollte die "Verkehrsgeschichte in Berlin und Brandenburg" von 1928 bis heute uninteressant sein? Man kann sich an der Mitmachaktion beteiligen. Man kann auf dem Sitz im Führerstand Platz nehmen und selbst den Fahrschalterschlüssel herumdrehen. Nur so zum Vergnügen.
Wem das zu wenig ist, dem sei geraten, sich ein Thema zu suchen. "Liebe" zum Beispiel bietet sich an. Weil es noch kein Liebesmuseum in Berlin gibt, ist Fantasie gefragt. Mag sein, dass man deshalb im Schwulen Museum am Mehringdamm landet - direkt bei der Drag King Show. Oder im DDR-Museum beim "Flirten an der Spree". Wenn es mit der Liebe nicht so gut läuft, findet man sich vielleicht auch im Museum für Kommunikation bei der Wahrsagerin wieder. Für alle aber, für die "Liebe" nicht das richtige Stichwort ist, folgen nun vier weitere, taz-exklusive Vorschläge.
Die Tour für Gelangweilte
Langeweile - gern flieht man diesen Gemütszustand. Einfach nur dasitzen. Nichts tun. Nicht wissen, was man tun könnte. Gar nichts tun wollen. Gar nicht wissen wollen, was man tun könnte. Nur sein. Und ganz allmählich die Luft wahrnehmen - sie flirrt. Und den Ton in der Luft hören - er sirrt. Und den Geruch der Luft schmecken. Sie schmeckt nach Feuchtigkeit, nach vermoderten Blättern, nach Herbst.
Aber ein solches Zurückfallen in sich selbst ist nicht vorgesehen. Warum nicht? Das kann man im wiedereröffneten Haus der Kulturen der Welt erfahren. Um 19 Uhr und 22 Uhr geht es in der Performance "Boredom" von Chase Granoff & Jon Moniacis um nichts als Langeweile.
Im Anschluss daran lohnt sich eine Fahrt zum ebenfalls wieder eröffneten Werkbund-Archiv. Dort werden sich Menschen gegenseitig die ganze Nacht lang Dinge erklären. Was ist wie? Was ist warum? Was ist was? Wer nach diesen Vorträgen noch nicht zum Nullpunkt in sich selbst gefunden hat, dem sei dort ab Mitternacht die Lesung von Glück- und Segenswünschen aus verschiedenen Zeiten empfohlen.
Zum Abschluss geht es ins Zeiss-Großplanetarium an der Prenzlauer Allee. Dort darf man ab 1 Uhr morgens mit dem Planetariumsleiter Hans-Friedger Lachmann in den aktuellen Sternenhimmel schauen. Weil der vermutlich grau sein wird, soll es ersatzweise eine Lasershow geben. Das ist der einzige Wermutstropfen bei dieser Tour.
Die Tour für Handlanger
Es gibt Leute, die werden nach einem Blick auf ihre Hände eingestellt. Kräftige Hände, elegante Hände, flinke Hände, schöne Hände - sie sind Entrees für ganz unterschiedliche Türen.
Wie bedeutend Hände sind, kann man in einer Fotoausstellung in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz sehen. "Macht und Ritual" nennt der Fotograf Bernd Arnold seine Zusammenstellung. Die Inszenierung der Hände von Politikern und Vertretern des Klerus, von Journalisten, Callgirls und Wachleuten, von Kindern und Trauernden spielen dabei eine nicht unwesentliche Rolle. Anschließend bietet sich ein Besuch im Kennedy-Museum am Pariser Platz an. Dort wird das Händegeschüttel mit realen Personen verknüpft. Gleichzeitig lässt sich erfahren, wie man den Mythos dieser Politikerfamilie durch die Auswahl der Fotos verstärkt. Die Kennedys kommen nur als Akteure vor. Kein Foto der Attentate, kein Foto des Schmerzes ist zu sehen. Hier gibt es nur Bilder, auf denen die Kennedys ihre Präsenz unter Kontrolle haben. Selbst das Beiläufige ist inszeniert.
Szenenwechsel nach so viel kritischer Einsicht ins Gehabe der Mächtigen. Im Museum für Asiatische Kunst in Dahlem kann man sich zwischen 18 und 22 Uhr die Hände von Nahid Mumtaz-Zahir nach traditionell indischen Mustern mit Henna tätowieren lassen. Mit etwas Glück kriegt man auch noch das Konzert der 17 Hippies dort mit. Da fliegen die Hände dann möglicherweise vor Freude.
Die Tour für Visionäre
Es gibt Leute, die können vorausdenken, die können aussprechen, was andere noch gar nicht gedacht haben, mitunter auch nicht denken mögen. Für diese Leute ist Wirklichkeit oft nur eine Möglichkeit von vielen. Ihr kleines Geheimnis: Sie wechseln ständig den Blick auf ein Geschehen. Von unten besehen, sieht die Welt anders aus. Das macht sie unberechenbar.
Ein Beispiel für eine solche Art des Sehens bietet sich bei der Installation von Phoebe Washburn in der Deutschen Guggenheim. Sie hat aus gefundenen Materialien eine Fabrik mit Förderband in die Ausstellungshalle gebaut. Produziert wird grüner Rasen.
Eine andere Art zukunftsorientierten Zeitvertreibs ist der Robocoaster im Museum für Kommunikation. Der bietet Fahrspaß für zwei Personen, die unbedingt von einem Roboterarm durch die Luft gewirbelt werden wollen. Nach dieser volksfestnahen Unterhaltung sollten sich Visionäre und VisionärsliebhaberInnen auf die Piazzetta des Kulturforums am Potsdamer Platz begeben. Dort treten die Leipziger Auto Symphoniker auf. Ihr Konzert mit fünf Kleinwagen, zwei Musikern und Dirigent besteht aus Türenschlagen, Hupen, Zünden, Gasgeben. Außerdem findet sich dort das Laptoporchester ein.
Die Tour für Selbermacher
Genug Wegwerfprodukte gekauft! Selbermachen ist der Trend! Man soll das nicht belächeln. Selbermachen ist die Revolution durch die Hintertür. Es ist der Einstieg in die Konsumverweigerungsgesellschaft. Wer heute, wo alles, was sich selber zu machen lohnt, billigst zu haben ist, auf seine eigenen Fähigkeiten zurückgreift, fördert die Wertedebatte auf vielerlei Art. Denn neben der Abkehr von der Massenware steht die Diskussion über den Wert der Arbeit und der Wiederaneignung von Fertigkeiten. Und neben dem Können steht die Frage der Individualität. Denn Selbstgefertigtes trägt die Signatur dessen, der es gemacht hat. Selbermachen ist toll. Das Selbstgemachte ist toll. Ich, der Selbermacher, bin toll.
Selbermacher müssen sich bei der Langen Nacht der Museen früh ins Getümmel begeben, um so viel Selbsterfahrung wie möglich zu machen. Sie müssen im Schoss Charlottenburg Porzellan bemalen, im Kunstgewerbemuseum restaurieren, im Verein Bildender Künstler am Aktzeichnen-Marathon mitmachen, im Hanfmuseum Seile flechten und in der Neuköllner Schmiede schmieden.
Unbedingt aber sollten sie sich zwischen 17 und 20 Uhr auch im Feuerwehrmuseum einfinden. Denn dort wird für den Notfall geübt, dass das Selbermachen schiefgegangen ist. Im Schutz von Fluchthauben bringen Feuerwehrmänner die Besucher sicher durch ein verqualmtes Treppenhaus.
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