Kürzungen bei Resozialisierung in Berlin: Aufbruch vor Abbruch
Dem Gefangenentheater aufBruch werden massiv die Mittel gestrichen. Statt vier Produktionen ist demnächst allenfalls noch eine pro Jahr drin.
Im Jahr erarbeitet aufBruch vier Aufführungen mit Gefangenen der drei Berliner Justizvollzugsanstalten Tegel, Plötzensee und Moabit. Noch. Denn statt wie bisher geplant 202.000 Euro sind im Rahmen der Sparmaßnahmen der schwarz-roten Koalition im Etat der Senatsjustizverwaltung für 2025 nur noch 60.000 Euro für das Projekt vorgesehen – eine Kürzung um 70 Prozent.
„Wie sollen wir damit die Kontinuität unserer Arbeit gewährleisten?“, fragt Atanassow. „Über lange Jahre haben wir intern Vertrauen gewonnen und Strukturen aufgebaut. Bisher hat man uns immer gespiegelt, wie wichtig unsere Arbeit für die Resozialisierung ist.“ Die Leidtragenden seien die Gefangenen – und die Menschen draußen. „Es geht auf Kosten des Austauschs und der Sichtbarkeit“, sagt Atanassow.
Keine Hose mehr an
In der vergangenen Woche hatten es die Theaterleute dann schwarz auf weiß: 142.000 Euro sollen laut Vorlage der Senatsverwaltung bei aufBruch tatsächlich eingespart werden. „Dass man bei einem Milliardendefizit im Haushalt den Gürtel wird enger schnallen müssen, war uns allen klar“, sagt Produktionsleiterin Sibylle Arndt. „Aber dass sie es so machen“, ergänzt Atanassow, „dass wir am Ende keine Hose mehr anhaben, das war für uns nicht absehbar.“
Erst 2018 hatte aufBruch, das seit mehr als 20 Jahren mit Gefangenen Stücke erarbeitet, einen festen Haushaltstitel im Etat der Senatsjustizverwaltung der damals rot-rot-grünen Landesregierung bekommen. Seit April 2023 führt Felor Badenberg (CDU) das Justizressort – und scheint andere Schwerpunkte setzen zu wollen.
In einem Bericht ihrer Verwaltung an den Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses vom 6. Dezember heißt es, es gehe um „eine deutliche Schwerpunktsetzung zugunsten des Opferschutzes“. Die Resozialisierung sei „Aufgabe des Justizvollzugs und der Sozialen Dienste der Justiz“.
Wichtiger Beitrag zur Resozialisierung
Sibylle Arndt hält dagegen: „Wir leisten einen wichtigen Beitrag zur Resozialisierung und damit auch zum Opferschutz.“ Ihren Job könnten die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in den JVAs, „die ihrerseits eine tolle Arbeit machen“, gar nicht zusätzlich übernehmen, da sie überhaupt keine freien Kapazitäten hätten. Die Gefängnisleitung der JVA Tegel hat sich auch auf Nachfrage der taz zu den angekündigten Sparmaßnahmen bisher nicht geäußert.
Man sei sich der „schmerzhaften Kürzungen“ bewusst, teilt die Justizverwaltung auf taz-Anfrage mit. Zugleich gehe man aber auch davon aus, dass nach der Kürzung „noch eine Theaterproduktion pro Jahr umsetzbar“ sei. Wie soll das gehen?, fragen Atanassow und Arndt. „Vielleicht reicht der Justiz ein Projekt im Jahr“, sagt Regisseur Atanassow: „Aber die gesellschaftliche Wirksamkeit ginge verloren.“
Außerdem: Nach welchen Kriterien soll er entscheiden? In welcher der drei Haftanstalten soll diese eine Produktion stattfinden? Wer von den Gefangenen darf weiterspielen? Und was passiert mit den eigenen Leuten in den übrigen neun Monate im Jahr?
Atanassow sagt: „Wenn wir unser Mitarbeiterteam entlassen, dann suchen die sich einen neuen Job. Und wenn wir in einer Anstalt ein, zwei oder drei Jahre nicht arbeiten können, wird unsere Struktur verloren gehen, weil der Apparat weitermacht. Und zwar ohne uns.“
Mittel aus der Kulturverwaltung
Neben den Geldern aus dem Etat der Justizverwaltung erhält aufBruch eine jährliche Förderung in Höhe von 110.000 Euro aus dem Topf der Senatskulturverwaltung. Auch dieser Bereich ist mit drastischen Kürzungsvorgaben konfrontiert.
„Wir hoffen natürlich, dass wir zumindest hier ungeschoren davonkommen“, sagt Sibylle Arndt. Die Ungewissheit ist gleichwohl groß. „Wir haben keinen Wasserkopf“, erklärt die Produktionsleiterin, die seit 24 Jahren dabei ist.
Wer einmal Theaterproben des Teams besucht hat, weiß, dass die beiden eine 60-Stunden-Woche bewältigen. Drei Festangestellte beschäftigt beziehungsweise bezahlt aufBruch in Teilzeit, darüber hinaus sieben feste Honorarkräfte.
Hinzu kommen Aufwandsentschädigungen bei den Außenprojekten, Gagen für Musiker oder das Einstudieren einer Choreografie, je nach Stück und Aufwand der Inszenierung. Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“ braucht mehr und anderes als ein Kammerspiel wie „Die Gerechten“ von Albert Camus.
„Ich wusste nicht, was in mir steckt“
Welcher Stellenwert der Theatererfahrung in der Haft zukommt, weiß Maximilian Sonnenberg aus eigener Erfahrung. Er hat bei den „Gerechten“ und zwei weiteren Produktionen mitgespielt, zuletzt eine Hauptrolle im „Faust“.
„Ich wusste vorher gar nicht, was alles in mir steckt“, sagt der 31-jährige Ex-Häftling. Am Telefon zählt er auf: Texte auswendig lernen, sich artikulieren, in sein Gegenüber einfühlen. Sich öffnen. Man gewinnt Selbstvertrauen. „Es war hart am Anfang“, sagt Sonnenberg. „Ich musste lernen, Kritik einzustecken. Du wirst als Erwachsener behandelt.“
Seit November 2023 ist Sonnenberg draußen, hat eine Wohnung gefunden und viele Amtstermine zu erledigen. Gerade hatte er einen Termin beim Jobcenter. „Ich weiß jetzt, wie ich meinem Gegenüber auf Augenhöhe begegne. Bürokratie macht mir keine Angst mehr. Ich übernehme Verantwortung“, sagt er.
„Die Arbeit von aufBruch ist für einen begrenzten Teilnehmerkreis von Inhaftierten resozialisierungsfördernd“, heißt es von der Justizverwaltung. Wobei im Wörtchen „begrenzt“ eine begrenzte Wertschätzung durchscheint.
Unterstützung von Ex-Justizsenatoren
Tatsächlich wirkten 2023 insgesamt 69 Inhaftierte bei Produktionen mit, 186 Inhaftierte konnten als Zuschauer die stets ausverkauften 29 Aufführungen besuchen. Doch die nackten Zahlen sagen wenig über die integrative, aber auch künstlerische Qualität der Arbeit von aufBruch aus.
Derzeit probt aufBruch George Orwells „1984“ mit jugendlichen Straftätern der JVA Plötzensee. Im Januar ist Premiere. Der inhaftierte Steven Mädel spielt mit, er hat der taz einen Appell geschickt. „aufBruch ist für mich mehr als ein Theaterprojekt“, schreibt er. „Für mich ist es Familie, Halt und Hoffnung. Das Theater gibt mir die Möglichkeit, über meine Fehler hinauszuwachsen.“ Mit Emphase schreibt er: „Hier bin ich nicht die ‚Vergangenheit‘, sondern die ‚Zukunft‘.“
Fünf Ex-Justizsenatoren und -senatorinnen haben ebenfalls einen Aufruf gegen die Mittelstreichungen veröffentlicht, mit denen ein erfolgreiches Projekt plattgemacht würde, „welches wir parteiübergreifend während unserer jeweiligen Amtszeit aus Überzeugung unterstützt haben“.
Die Senatsverwaltung für Justiz beeindruckt das wenig. „Wie bereits erwähnt, ist es in Anbetracht der zu erbringenden Einsparungen leider nicht möglich, den Kürzungsvorschlägen entgegenzuwirken“, schreibt sie auf Anfrage. Außerdem könnte es sonst andere Projekte treffen.
„Wir kapitulieren nicht“
Folgt nun für aufBruch der Abbruch? „Wir kapitulieren nicht“, sagt Sibylle Arndt. „Wir heulen nicht zu Hause in die Kopfkissen“, sagt ihr Kollege Atanassow, „aber sprachlos macht uns die Sache schon.“ Die Theaterleute haben 20 Jahre Lebensenergie in das einzigartige Theaterprojekt gesteckt, andere Arbeitsmöglichkeiten nicht weiter verfolgt. Und sie glauben an das, was sie tun.
Die taz hatte im Sommer 2023 einige Wochen die Proben zu Brechts „Arturo Ui“ in der JVA Tegel begleitet. „Für mich ist das hier der Anfang“, hatte Maximilian Sonnenberg damals gesagt. „Wenn ich rauskomme, will ich weiter Theater machen.“
Für ihn hat sich aufBruch ausgezahlt. An der Universität besucht er, vermittelt durch eine ehemalige Regieassistentin von aufBruch, Theaterworkshops. Zuletzt war er mit dem Seminar in der Schaubühne, sich den „Hamlet“ anschauen.
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