Künftiger HU-Präsident Jan-Hendrik Olbertz: Der umhängbare Dreitagebart
Er sieht aus wie ein Liberaler und tut auch so. Aber Jan-Hendrik Olbertz ist das nicht. Der künftige Präsident der Humboldt-Universität ist ein Konservativer, der sich anzupassen weiß.
Wir schreiben das Jahr 2005. Im Roten Rathaus verkünden die Kultusminister gerade die neuen Pisa-Ergebnisse. Sachsen-Anhalt hat dabei einen völlig unerwarteten und schwer zu erklärenden Sprung nach vorne gemacht. Jan-Hendrik Olbertz wird gefragt, woran das liegen könnte. "An unserer Politik jedenfalls nicht", sagt der Kultusminister spontan - und den Journalisten um ihn herum fallen beinahe die Stifte aus der Hand.
Sollte da etwa ein Kultusminister mal Klartext reden? Würde nach dem bleiernen Leugnen, Ignorieren und Herunterspielen der Pisa-Katastrophe nun endlich ein Ruck durch die Konferenz der Schildkröten gehen? Olbertz witzige Antwort wird seitdem als ein lichter Moment gefeiert - und hat dazu beigetragen, Jan-Hendrik Olbertz liberales Image zu stärken.
Allein dieses Image ist falsch. Jan-Hendrik Olbertz, Pädagoge und Minister, geboren in Berlin als eines von sechs Kindern einer Ärztin und eines Professors, ist nicht liberal, sondern konservativ. Der Mann, der am heutigen Dienstag zum Präsidenten der Humboldt-Uni gewählt wird, sieht nur aus wie ein Liberaler. Und er spricht - manchmal - wie einer. Aber wenn er handelt, dann stets konservativ.
Sein Image ist Teil einer Camouflage, mit der er es fertiggebracht hat, sich in der DDR als gelernter Lehrer relativ nahe an eine Professur heranzupirschen - ohne je in der SED gewesen zu sein. Ja, er verbreitete dabei sogar den Anschein des Oppositionellen, eine, wie immer wieder kolportiert wird, "kritische Haltung zur DDR". Aber ein wirkungsvoller Regimekritiker war er sicherlich nicht, sonst hätte man ihn nicht 1978 zur Promotion in Erziehungswissenschaften zugelassen. Und schon gar nicht 1983/84 zu einem Forschungsaufenthalt nach Leningrad entsandt. Das macht man nicht mit einem Oppositionellen, nicht im bestbehüteten Beruf des Sozialismus: dem des Pädagogen.
Hintergrundgespräch mit Jan-Hendrik Olbertz. Man befindet sich in einem der berühtem Nebenzimmer eines der Mitte-Lokale, wo sich Journalisten und Politiker nahekommen, um sich Interna zu erzählen und Spuren zu legen. Wer von dort das Falsche ausplaudert, darf nie wieder kommen. In keinen Hintergrundkreis. Olbertz rechtfertigt langatmig, dass Sachsen-Anhalt wie kaum ein zweites Bundesland Kinder direkt vom Kindergarten weg in Sonderschulen verfrachtet. Plötzlich stoppt Olbertz. "Sagen Sie, ist das ein Aufnahmegerät, was Sie da mitlaufen lassen", fragt er, "nehmen Sie unser Gespräch etwa auf?" Und deutet auf eines der vielen Mobiltelefone, das achtlos auf den Tisch gelegt wurde.
Das ist Jan-Hendrik Olbertz. Erweckt mit seiner oft krawattelosen und stets jovialen Art den Eindruck, er sei ein cooler Zeitgenosse. Dabei ist er misstrauisch bis in die Haarspitzen. Und glaubt allen Ernstes, dass einer der Berliner Korrespondenten seine Elogen auf das Schulsystem Sachsen-Anhalts mitschneiden könnte - heimlich, vor seinen Kollegen. Wohlgemerkt die Worte des Kultusministers aus einem Mikro-Bundesland, das auf Werbeplakaten seine Existenz damit rechtfertigt, dass seine Bürger früher aufstehen.
Olbertz trägt etwas, das es eigentlich gar nicht gibt: einen umhängbaren Dreitagebart. Nach außen signalisiert Olbertz damit so etwas wie Offenheit, Liberalität und so fort. Beinahe alle Menschen, die ihn kennen lernen, fragen zunächst: "Was, dieser unrasierte Herr ist Kultusminister?" Nach einem Jahr fragen dieselben Leute genervt, wofür diese stoppelige Fassade eigentlich stehen soll.
In seinem Herzen ist Olbertz ein großer Junge. Er steuert zum Beispiel seinen Dienstwagen gerne mal selbst. Und dann führt er enthusiastisch vor, wie die Wärmebildkameras des Wagens Lebewesen als amorphe rötliche Flecken inmitten eines grünen Nebels wahrnehmen. "Eigentlich nur im Winter sinnvoll", verrät er, "weil nur dann der Kontrast zwischen Umwelttemperatur und Wärmeabstrahlung halbwegs klare Bilder liefert." Stolz wie Oskar lenkt der Kultusminister die vollkommen überdimensionierte Limousine durch die Stadt. Aber auch dieses Spiel ist im Grunde ein PR-Gag. "Wollen Sie mitfahren, ich habe meinem Fahrer frei gegeben." Der lässige Machthaber.
Der Witz ist, dass Olbertz kaum Macht hat. Dafür ist Sachsen-Anhalt einfach ein bisschen zu klein geraten. Der ganze Olbertzsche Glanz entsteht durch seine pseudolässige Art und die Koordinationsfunktionen, die sich der Mann in der Kultusministerkonferenz ergattert hat. Wenn der Pädagoge Olbertz zur Bologna-Nachfolge-Konferenz fährt, dann zählt er allein als Vertreter der Länder der Bundesrepublik Deutschland. Hätte er einem der Minister in Budapest oder Wien erklären müssen, dass Sachsen-Anhalt im Grunde ein etwas größerer Landkreis ist, wäre es schlagartig vorbei mit seiner Bedeutung.
So ist es, dass die Ämter, die der habiliterte Andragoge (Erwachsenenbildner) einnahm, stets ihm etwas gebracht haben. Aber was hat der weltgewandte Grenzgänger dem jeweiligen Amt genützt: Haben die Franckeschen Stiftungen in Halle erkennbaren Aufschung unter ihm genommen? Ist nicht verbürgt. Kennt irgendjemand, außer Connaisseuren, das Institut für Hochschulforschung Wittenberg, das er gründete? Es gibt von dort spannende Arbeiten - aber die tragen den Namen Olbertz allenfalls als Herausgeber.
Hat schließlich das Land Sachsen-Anhalt von Olbertz profitiert? Wohl kaum. Es gab jenen mirakulösen Sprung bei Pisa 2003. Ansonsten aber hat Olbertz in dem kleinen Bundesland alle Weichen konsequent Richtung 19. Jahrhundert gestellt. Der Liebhaber von 50er-Jahre-Oldtimern hätte aus dem Bonsai-Land ein Lernlabor machen können. Mit seinem tatkräftigen Staatssekretär Winfried Willems hatte er einen echten Macher an seiner Seite. Tatsächlich hat Olbertz aber sofort alles zurückgenommen, was unter seinem grünen Vorgänger nach vorne wies. Unter anderem knipste er die Orientierungsstufe in der fünften und sechsten Klasse Sachsen-Anhalts aus, anstatt sie konsequent zu einer sechsjährigen Grundschule weiterzuentwickeln. Und er führte Kopfnoten für Benehmen und Arbeitsverhalten ein. Und ließ sich dafür als Reformer feiern.
Olbertz hat beharrlich wie kein anderer konservativer Kultusminister die essenzielle Frage der Schulstruktur für Bildungsarmut geleugnet. "Die wichtigste Konsequenz ist für mich", sagte Olbertz 2004, "dass wir nicht in den Grabenkämpfen über die Schulstrukturen, die sich viele wünschen, fortfahren". Daran hielt er beharrlich Interview für Interview fest - bis nun in allen Bundesländern die Schulstruktur ins Rutschen gekommen ist. Und siehe da, sofort schaltet Olbertz um und geriert sich in der Süddeutschen Zeitung plötzlich als eine Art Vorreiter beim Umbau der Schulformen.
Woher rührt diese Eigenschaft, irgendwie nicht dazuzugehören, aber dennoch dabei zu sein, wenns drauf ankommt? Womöglich aus der DDR, wo Olbertz nie auf Seiten der Macht stand, aber stets in Hab-Acht-Stellung auf Größeres lauerte. Wie kaum ein Zweiter hat der große schlanke Mann diese Chamäleonhaftigkeit auch im Westen perfektioniert. Olbertz leitete eine Bildungsreformkommission der Bundes-CDU - ohne CDU-Mitglied zu sein. Das ist beachtlich. Freilich gilt auch hier: Man hat von dieser Kommission im Grunde nie etwas über den ungewöhnlichen Umstand hinaus erfahren, dass Olbertz ihr präsidierte. Und so ähnlich ist es nun auch wieder der Fall, wenn Jan-Hendrik Olbertz Präsident der Humboldt-Uni wird.
Für die Humboldt-Uni ist Olbertz genau der Richtige. Dort herrscht ein Amalgam aus Ost und West, das nie wirklich zueinandergefunden hat. Olbertz ist jemand, der die Seele der Ostler genau versteht, ihr untertäniges Sehnen genau wie ihre Momente bürgerlichen Aufbegehrens. Und zugleich weiß, worauf die Wessi-Profs Wert legen. Insofern ist er ein idealer Therapeut für das verwundete Herz der einst wichtigsten deutschen Universität, die es nicht in die Reihe der Elite-Unis geschafft hat.
Ob Olbertz es gelingen wird, die Universität Unter den Linden auf den Thron zu hieven, von wo man die lebenswichtigen Elite-Zuschüsse einsacken kann? Darauf sollte man keine Wetten abschließen. Denn die Gemengelage ist für Olbertz kompliziert, wie die Ostler zu sagen pflegen, wenn etwas eigentlich nicht mehr zu erreichen ist. Ist Olbertz denn nun ein Aufsteiger ins Amt des Humboldt-Präsidenten? Oder ein Absteiger aus dem Amt des Kultusministers, wie die Wochenzeitung Die Zeit vergangene Woche lästerte?
Möglicherweise ist es ja gar kein Vorteil, einen Exminister als Uni-Präsidenten zu haben. Die tiefe Anerkennung der Westmänner genießt Olbertz nicht - die aber ist ausschlaggebend. Denn sowohl die Humboldt-Professoren als auch seine ehemaligen Kultusminister sehen Olbertz anders als das Publikum - für sie ist er, aus ihrer jeweiligen Perspektive: ein Absteiger.
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