Kuba im Wandel: Endlich Shopping
Der Tod von Fidel Castro machte es besonders deutlich: Kuba wandelt sich. Der Kapitalismus pirscht sich an. Zeit für eine Einkaufstour.
Es gibt nur eines, was Ana Yero anzubieten hat. Das Nein. Ob sie Backpulver habe? Nein. Ein anderes Bilderrahmenmodell? Nein. Shampoo für Babys? Irgendetwas neues? Nein. Nein.
Ana Yero steht in einem Eckgeschäft in der kubanischen Stadt Santa Clara, die Haare zum strengen Zopf gebunden, die Augenlider mit einer akkuraten schwarzen Linie betont, die Unterarme auf eine Glasvitrine gestützt. Darunter: Servietten, weiß und mit Disney-Figuren und Tassen, weiß und mit roten Blumen, Plastikeimer und Plastikschüsseln. Ein DVD-Rohling, ein Portemonnaie aus Leder, ja, nur eines von jedem. Havanna Club, Wodka aus Russland und Verbindungsstücke für Wasserhähne. Das kubanische Standardsortiment. Whitney Houston singt zum Summen dreier Klimaanlagen und Yero bedient ihre Kunden nicht, sie gehorcht und reicht über den Tresen, worum sie bitten. Was soll sie auch beraten, empfehlen, wenn es nur gibt, was der Container aus Italien bringt?
Der Wandel erfasst Kuba, heißt es. Manchmal geht es um die Frage nach Pressefreiheit, manchmal um Gesellschaftskonzepte, meistens aber darum, wer zuerst da sein wird: ich, der Tourist oder McDonald’s? Reformiert Raúl Castro nach dem Tod seines Bruders das Land? Wenn Wandel also mit Ökonomie gleichgesetzt wird, Gesellschaftsideen darauf reduziert werden, was jemand kaufen darf, dann sollte man sich die Geschäfte ansehen, um etwas über die kubanische Gesellschaft zu lernen.
In Santa Clara reihen sie sich in einer Straße aneinander. Wer hier auf dem „Boulevard“ einkauft, kann sich entscheiden zwischen Staatsgeschäften der Planwirtschaft, zwischen zaghaften Versuchen der Selbstständigkeit und knallhartem Kapitalismus. Ein Spaziergang über Santa Claras Boulevard ist eine Reise durch die Epochen des nachrevolutionären Kubas. Santa Clara ist eine Stadt in der Mitte der Insel. Tagsüber geschäftig, nachts in Feierstimmung, immer spielt eine Band Salsa, ein Handy Rihanna, Studenten quetschen sich in Busse, um zu Partys zu fahren. Che Guevara liegt hier in einem Mausoleum begraben. Seine Waffen sind dort ausgestellt und Zahnarztinstrumente. Eine Ausgabe von Tom Sawyer. Besitztümer, frei von jeder Information. Auf großflächigen Werbetafeln, die die Regierung entlang der Autobahn und in Städten aufstellt, steht: „Nur im Sozialismus ist das Unmögliche möglich“.
Werbeflächen für Unternehmen gibt es nicht. „Die Farbe haben wir ja schon für die Revolutionspropaganda verbraucht“, lautet ein Scherz, den Kubaner erzählen. Es gebe aber auch nicht viele, die Werbeflächen brauchen könnten. Die meisten Unternehmen gehören dem Staat.
Was der Verkaufsschlager ist? „Bier.“
Kubas Wirtschaft basiert auf Import. Die Zeiten der Hungersnot sind vorbei, trotzdem fehlt Essenzielles. Achtzig Prozent der Lebensmittel kommen aus dem Ausland, und das, obwohl jeder fünfte Kubaner in der Landwirtschaft arbeitet. Saatgut und Dünger fehlen, Bauern arbeiten mit Ochsen und Pflügen, da hilft es auch nicht, dass sie ihre Ernte direkt verkaufen dürfen – ohne staatlichen Zwischenhändler.
Ana Yero steht also im Gemischtwarenladen ihrer Regierung. Ihr Name ist erfunden, so wie der anderer Menschen in diesem Artikel. Was der Verkaufsschlager ist? „Bier.“ Und Ladenhüter? „Früher oder später wird alles gekauft.“ Warum sie diese Arbeit macht? „Wegen der Menschen.“ Später sagt sie zu einer Kundin: „Sag deinen Kindern, sie sollen fleißig lernen und zur Uni gehen. Ich wünschte, ich hätte das gemacht.“ Ihr Laden ist immer voll, und das ist typisch für das alte Kuba.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Bekleidungsgeschäft in Staatshand. Verkauft wird, was Menschen in Kanada und Europa spenden. Die brauchbaren Sachen hat die Regierung kürzlich in den Osten der Insel geschickt, als Spende an die Hurrikanopfer. Zurück bleibt die Verkäuferin mit Jeanshemden und Mänteln, die niemand probieren möchte, weil draußen 30 Grad sind. Umgerechnet 10 Euro bekommt sie monatlich gezahlt und eine Provision, wenn sie gut verkauft. Diesen Monat also nicht.
In einem Atelier am Ende des Boulevards beugt sich Beatrize Carvajal über die Maschine und näht eine Turnhose – dehnbarer Stoff, drei Nähte, ein Gummibund. Später wird sie am Kleiderständer am Eingang hängen, dort, wo etwas Licht von draußen einfällt. „Für die Kinder von Arbeitern, die nicht so viel Geld haben“, sagt Carvajal. Das ist die halbe Wahrheit: Sie macht die Hosen auch für sich und gegen die Monotonie. „Die großen Fabriken bieten dir nicht genug für dein Talent“, sagt sie. Also der Staat. Die Höhe der Bezahlung, die immer gleichen Arbeitsschritte, darauf hatte sie keine Lust mehr. Deshalb näht sie mit zwei anderen Frauen in einer kleinen Kooperative.
Erst seit 2011 dürfen sich Kubaner selbstständig machen. Rund 450.000 Menschen arbeiten seither auf eigene Rechnung, als Restaurantbesitzer, Handyreparateur, im Nagelstudio im eigenen Wohnzimmer. Seither beginnt die neue Revolution in den Wohnhäusern. Oder zu Fuß: mit Verkäufern, die mit einer Stiege Eier durch die Straßen ziehen, einem Stapel Wischlappen oder einem Holzkarren, auf den sie Avocados, Ananas und Bananen laden.
Zwang zur lokalen Währung
Beatrize Carvajal ist klein und rund, das Grau ihrer kurzen Haare hat sie unter brauner Farbe verborgen. Sie strahlt die Ruhe einer Großmutter aus. Die braucht sie auch, um den Irrsinn zu ertragen, den die Regierung ihr auferlegt. Die schreibt ihr nämlich vor, die Turnhosen in Pesos zu verkaufen, der lokalen Währung. Den Stoff wiederum muss sie in den staatlichen Devisengeschäften kaufen und in Peso convertible, CUC, zahlen, die aber nur bekommt, wer mit Touristen arbeitet oder Familie im Ausland hat. Der Stoff ist teuer, meist von schlechter Qualität und immer nur das, was sich gerade importieren lässt.
Den besseren Stoff produzieren wir Kubaner selbst, sagt Carvajal. In Santa Clara steht eine Textilfabrik. Qualität, wie Carvajala sie bräuchte. Warum sie nicht dort einkauft? „Ich darf nicht.“ Das hat der Staat so festgelegt.
Ein Eisladen. 5 CUP kostet eine Kugel, 20 Cent. Für Kubaner. Ein Tourist soll 1 CUC bezahlen, also einen Euro. „Mein Chef beobachtet, ob ich den Touristenpreis nehme“, erklärt die Verkäuferin. So geht das auch in Restaurants, in Bars, sogar im Revolutionsmuseum in Havanna: 8 CUP, 32 Cent, kostet der Eintritt für Kubaner, 8 CUC, 8 Euro, für Ausländer. Sie dürfen sich für den 25-fachen Preis anschauen, dass in Castros Kuba alle gleich sind.
Der neue Liberalismus ist ein Vorraum in einer Nebenstraße des Boulevards, mit gemusterten Fliesen und vergitterten Fenstern. Dahinter sitzt Irina Diaz und starrt auf ihr Smartphone. Diaz verkauft Haushaltswaren, kubanische. Sie sind billig, sie sind grob hergestellt, sie halten ewig. Besen, Schüssel, Duschköpfe, Schrauben. Die Waren liegen auf dem Fußboden oder auf dem Gestell eines Klappbetts verteilt. Solche Geschäfte öffnen überall, in Wohnzimmern, Hauseingängen, hier in Santa Clara auch vor dem Fenster eines Schuldirektors. Solche Geschäfte sind neu.
Tigermuster auf den Nägeln
Irina Diaz erzählt, dass sie schon viele Jobs hatte. In einer Kantine, in einer Lebensmittelfabrik, als Sicherheitspersonal. Was sie so kriegen kann. Seit vier Monaten nun hier. Die Arbeit ist langweilig, nur dann nicht, wenn sie zu den Jungs im Nachbareingang geht, die Handys reparieren, zu den Sandwichverkäufern auf der anderen Straßenseite. Ihre Fingernägel mit dem Tigermuster klackern auf dem Display des Telefons, wenn sie Nachrichten schreibt und Spiele spielt, damit die Zeit vergeht. Diaz trägt eine goldene Uhr am rechten Arm. Am linken auch. Sie ist 32 Jahre alt.
Wenn du dir alles wünschen kannst, wo bist du in fünf Jahren?
Irina Diaz schüttelt den Kopf. Ihre Lippen presst sie zu einem dünnen Strich aufeinander.
Aber keine Arbeit? Noch undenkbarer. „Wenn ich Pesos habe, sind es meine eigenen.“ Es sind wenige Pesos, 10 Prozent der Einnahmen. Den Rest behält ihr Chef, der nicht mehr macht, als die Waren einzukaufen. Es ist Irina Diaz, die die Langeweile damit überbrückt, Früchte über ihren Smartphonebildschirm zu schieben und nicht daran zu denken, dass sie sich Unabhängigkeit von einer Arbeit verspricht, von der eigentlich nur ein anderer profitiert. Der Chef nämlich, der das ist, was die Revolution einst beseitigen wollte: Der Ungleiche im Staat, der Aufsteiger, der andere, wie Irina Diaz, zurücklässt. Und so ist es dieses kleine Geschäft in einer Nebenstraße, das offenbart, was in Kuba fehlt: kein Produkt, kein Regelwerk, sondern eine Idee, wie Gleichheit und Freiheit zusammenpassen. Es geht um die Frage, was ein Leben ausmacht, wenn endlich alle satt sind. Goldene Uhren und Smartphones sind es nicht.
Der Barmann sitzt vor der Tür, noch fehlen die Gäste, seine Nike-Schuhe kosten 80 Euro. Er verdient hier mehr in einer Woche, als er eines Tages als Arzt bekommen wird. Er ist Student und er weiß, wen er fragen muss, wenn er Markenwaren haben will. „Kuba ist wunderschön“, sagt er, „ein wunderschönes Gefängnis.“
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