■ Italiens Politiker nutzen Andreottis Freispruch auf ihre Art: Kronzeugenregelung ade?
Italiens Justiz hat es wahrlich nicht leicht: Einerseits verlangen alle, sie solle Mafiosi und Killer auf Dauer aus dem Verkehr ziehen; andererseits steht sie immer dann unter bösem Beschuss, wenn sie Ernst macht und ohne Rücksicht auf die Stellung Verdächtiger ermittelt. Gegen den siebenmaligen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti und seine Mitangeklagten etwa gab es nicht eine, sondern ein halbes Dutzend voneinander unabhängiger Anschuldigungen ehemaliger Mafiosi. Es geht um die Ermordung des Journalisten Mino Pecorelli, der für Andreotti und seine Partei hochgefährlich geworden war. Eine Anklage war da nach dem Legalitätsprinzip unumgänglich. Aber das Gericht beschloss einen Freispruch.
Was sich nun entwickelt, ist eine geradezu erbärmliche Hexenjagd. Zahlreiche Politiker verlangen eine Bestrafung der Staatsanwälte, die Presse listet die Prozesskosten auf und fragt, ob man die Ermittler nicht dafür haftbar machen könne. Und lautstark tönt die Forderung nach der Abschaffung der „Kronzeugengesetze“, die geständigen Mafiosi je nach Wichtigkeit ihrer Aussage Strafminderung zugestehen. Statt sich zu freuen, dass die Gewaltenteilung der Justiz – hier Anklage, da unabhängig Urteilende – offenbar funktioniert (selbst wenn man die Entscheidung des Gerichts für falsch hält), nehmen die Politiker und ihre Handlanger in den Medien die Gelegenheit wahr, das gesamte System auszuhebeln.
Tatsächlich hatten sich in den letzten zehn Jahren allerlei neue Verhaltensweisen der Justiz entwickelt, die die altgewohnte Straflosigkeit der Politiker erstmals in Frage stellten. Ein Teil beruhte darauf, dass Personen aus bestimmten, traditionell durch eine eiserne Verschwiegenheit geschützten Bereichen wie Wirtschaft, Unterwelt oder Politik zur Aussage bewogen und danach entsprechend vor Rache geschützt werden konnten. Solange man damit nur Schutzgelderpresser und Autohehlerbanden fing, waren die Politiker einverstanden – doch nun, wo immer häufiger Politiker in Verdacht geraten, suchten die Mächtigen immer eifriger danach, die Justizmaschinerie zu bremsen und sich selbst wieder in den Bereich der Straffreiheit zu versetzen.
Das Andreotti-Urteil scheint ihnen nun endlich die goldene Gelegenheit, alles abzuschaffen, was sie selbst gefährden könnte. Die Mafia wird zufrieden sein: Sind die Politiker wieder immun, haben auch die Bosse wieder Aussicht, ihre Leute in den Machtapparaten zu platzieren und sich von diesen schützen zu lassen. Werner Raith
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen