: Kroetz schaut ins Paradies
Franz Xaver Kroetz, der Brandner Kaspar und Günther Maria Halmer: Alle sind sie auf ihre Weise in Bayern Legende. Was passiert, wenn die drei aufeinanderstoßen

Von Dominik Baur
Der „Brandner Kaspar“ ist ein kitschiges und ausgesprochen dämliches Stück. Kann man doch mal sagen. Zumal wir uns diese in Bayern geradezu blasphemisch wirkende Aussage nur geliehen haben: Sie stammt von Franz Xaver Kroetz. 2008 hat er das mal gesagt. Mei, der Kroetz, der darf so was.
Wobei es ja nicht weiter interessant wär, was der Mann damals gesagt hat, wenn nicht eben dieser Kroetz jetzt nach 20 Jahren öffentlich zelebrierter Schreibblockade wieder ein Theaterstück geschrieben hätte. Vergangene Woche wurde es am Münchner Residenztheater uraufgeführt. Der Dichter selbst saß im Parkett, am Ende stand er auf, verteilte Luftküsse. Das Stück war – der „Brandner Kaspar“.
Weniger alt und bayerisch geratene Zeitgenossen mögen die Tragweite dieser besonderen Melange aus Kroetz und Brandner nicht umreißen können: Kroetz, das war in den Siebzigern und Achtzigern eine Ikone, einer der meistgespielten Dramatiker im deutschsprachigen Raum. Seine Werke waren sozialkritische Stücke in bairischer Mundart, er selbst ein Kommunist im fetten Mercedes.
Der Brandner Kaspar wiederum, das ist bayerisches Kulturgut erster Ordnung. Die Figur geht auf eine Erzählung des Münchner Schriftstellers Franz von Kobell aus dem 19. Jahrhundert zurück. Die Story in aller Kürze: Ein Büchsenmacher in seinen Siebzigern soll sterben, überlistet aber mithilfe von Kerschgeist und Falschspiel den Tod beim Karteln und erschleicht sich zusätzliche Lebensjahre. Während die himmlische Ordnung durcheinander gerät, verliert der Brandner seine geliebte Enkelin und damit die Freude am Leben; mithilfe des Boandlkramers schaut er ins Paradies – und bleibt dann doch gleich da.
Man könnte jetzt auf die Geschichte des Stücks eingehen und warum sich der Kroetz ausgerechnet auf den Kobell bezieht, den Tod etwa Boanl- und nicht Boandlkramer nennt. Feinheiten, klar, die den norddeutschen Betrachter so sehr interessieren wie ein Radl, das in Pasing umfällt.
Man könnte auch die legendären Inszenierungen aufzählen, allen voran natürlich die von Kurt Wilhelm, einem nachgeborenen entfernten Verwandten Kobells. Toni Berger, Fritz Straßner und Gustl Bayrhammer standen für sie auf der Bühne des Residenztheaters. Im neuen Jahrhundert knüpfte Christian Stückl am Volkstheater an den Erfolg an, hier spielt noch heute Maximilian Brückner den Boandlkramer. Und man könnte natürlich auch an die Verfilmung von Joseph Vilsmaier mit Michael „Bully“ Herbig als Boandlkramer und, ja, genau, Kroetz als Brandner erinnern.
Oder aber man schaut sich einfach nur an, was Kroetz aus dem Thema macht. Seine Interpretation kommt recht minimalistisch daher. Keine flankierende Wilderersaga, nur Brandner versus Boanl, eine Geschichte von Leben und Tod. Mit einem Tod freilich, den man, wie in allen anderen Brandner-Fassungen, nicht wirklich fürchten kann. Alles recht harmlos. A Gaudi halt.
„Wir sehen keine Stücke mehr, sondern Regisseure“, klagte Kroetz jüngst. Sein Alterswerk, auch wenn adaptiert und von ihm als „Auftragsarbeit“ abgetan, ist dagegen noch mal Stück durch und durch, „kein Kunst-Stück, sondern ein saftiges Volks-Stück aus der analogen, nicht digitalen Welt“ (Kroetz). Das barocke Bühnenbild und die Inszenierung von Philipp Stölzl werden dem weitgehend gerecht – obwohl dieser nicht durchgehend der Kroetz’schen Regieanweisung, „nur alte Theatermittel“ zu verwenden, folgt. Und klar, zu sehen, wie Günther Maria Halmer mit seinen 82 Jahren noch mal alles für die Rolle gibt, macht Freude.
Wirklich Originelles in der Story oder den Dialogen hat Kroetz jedoch nicht zu bieten. Nur eine Stelle gibt es in seinem „Brandner“, da weicht er völlig von den alten Vorlagen ab. Es ist das Ende, man kann es im Text nachlesen: Da sehen, so will es Kroetz, die Zuschauer den Brandner hinter einer Glasscheibe im Paradies umherirren. Nebel steigt auf, der alte Mann stößt gegen die Scheibe, fuchtelt mit den Armen. Bevor wir erfahren, ob er doch wieder heraus will, verschluckt ihn der Nebel, der Vorhang fällt.
Ein Brandner ohne Happy End, ein Paradies, das vielleicht doch keines ist? Ambivalenz statt Folklore? Wo gibt’s denn so was? Im Residenztheater jedenfalls nicht. In Stölzls Inszenierung wurde das Kroetz’sche Ende gestrichen. Der Brandner schreitet einfach nur ins Paradies. Keine Glasscheibe, kein Nebel, kein Blick zurück.
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