: Kritiker bringen KGB-Chef zu Fall
Weißrusslands Leiter des Geheimdienstes nach Kontakt mit Oppositionellen entlassen. US-Präsident unterzeichnet Gesetz zur Demokratieförderung in Weißrussland. EU denkt über Sanktionen nach
VON MARINA SINALEEWA
„Macht euch keine Hoffnungen auf eine samtene Revolution. Die Temperatur in unserer Gesellschaft beträgt 36,6 Grad“, hatte Weißrusslands KGB-Chef Leonid Jerin nach dem so genannten Referendum über eine Verlängerung der Amtszeit von Staatschef Alexander Lukaschenko vom vergangenen Sonntag vor ausgewählten Journalisten noch großspurig verkündigt. Am Dienstag endete Jerins Karriere abrupt: Er wurde gefeuert – mit der Begründung, sich zuvor mit Oppositionellen getroffen zu haben.
Unterdessen steigt die Temperatur auf Fieberniveau. Auch am Mittwoch wurden bei Protesten gegen Lukaschenko wieder mehrere Demonstranten in Gewahrsam genommen. Am Mittwoch abend wurde die Journalistin Weronika Tscherkasowa tot in ihrer Minsker Wohnung aufgefunden. Die Leiche wies 20 Messerstiche auf. Offiziellen Angaben zufolge soll Tscherkasowa von ihrem Sohn getötet worden sein. Zweifel an dieser Version sind angebracht. Die 44-Jährige arbeitete seit 15 Jahren für unabhängige Medien, zuletzt für die oppositionelle Gewerkschaftszeitung Solidarnost. Nach Angaben von Kollegen arbeitete Tscherkasowa in der letzten Zeit jedoch vor allem zu sozialen Themen.
Die weißrussische Menschenrechtlerin Ljudmila Grjasnowa fühlt sich durch die jüngsten Ereignisse an 1999 erinnert. In diesem Jahr waren mehrere regimekritische Journalisten und oppositionelle Politiker verschwunden oder ermordet aufgefunden worden. „Viele wurden massiv bedroht, auch Anatoli Lebedko“, sagt Grjasnowa. Lebedko, Chef der oppositionellen Bürgerpartei, befindet sich noch im Krankenhaus, nachdem er am Dienstag bei einer Demonstration von Polizisten zusammengeschlagen wurde. „Wir hoffen aber, dass sich diese harten Repressionen nicht wiederholen werden“, sagt Grjasnowa. Denn jetzt richte sich auch die Aufmerksamkeit des Auslandes auf Weißrussland.
Und das mehr, als Autokrat Lukaschenko lieb ist. So kritisierte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) das brutale Vorgehen der Polizei während der Demonstrationen am Dienstag und Mittwoch. Das russische Außenministerium forderte von Weißrussland eine Erklärung für die Misshandlung von zwei russischen Fernsehteams.
US-Präsident George W. Bush unterzeichnete gestern ein Gesetz zur Förderung der Demokratie in Weißrussland und kritisierte scharf die politische Entwicklung in dem Land. Bereits Anfang Oktober hatte der US-Kongress das Gesetz verabschiedet, das unter anderem finanzielle Hilfe für Nichtregierungsorganisationen und Demokratieprojekte sowie Rundfunk- und Fernsehausstrahlungen für Weißrussland vorsieht.
Derweil denkt die Europäische Union über die Verschärfung von Sanktionen nach. Bereits jetzt sind einige hochrangige Amtsträger mit einem Einreiseverbot belegt. Nach Meinung Lebedkos sollte dieser Kreis erweitert werden. Zudem warte die Opposition auf westliche Hilfe bei „der Entwicklung von unabhängigen Medien und der Arbeit mit weißrussischen Jugendlichen“. Vor allem dort sieht auch die grüne Europa-Abgeordnete und Berichterstatterin für Weißrussland, Elisabeth Schroedter, Handlungsbedarf. Verschärfte Sanktionen seien jetzt zwar notwendig, doch mittelfristig käme man damit nicht weiter.
Unterdessen treffen Oppositionelle schon erste Reisevorbereitungen. Nach Informationen der russischen Tageszeitung Nowije Iswestija planen einige Gegner Lukaschenkos, in Russland politisches Asyl zu beantragen. So wollen sich die Mitglieder der oppositionellen parlamentarischen Gruppe „Respublika“ mit einem entsprechenden Gesuch an Russlands Präsident Wladimir Putin wenden. Sie haben Angst vor Repressionen, spätestens dann, wenn das neu „gewählte“ Parlament in einigen Wochen seine Arbeit aufnimmt. Ob eine kollektive Auswanderung der Oppositon eine gute Idee ist, wird sich noch zeigen. Ihre Siegchancen bei den Präsidentenwahlen 2006 dürfte das sicher nicht erhöhen.