: Kritik an Teilhabegesetz
SOZIALES Arme Familien können rückwirkend zum 1. Januar Kosten für Mittagessen und Sportverein erstattet bekommen. Der evangelischen Kirche ist die Frist zu kurz
Heftige Kritik übt der Landesverband der evangelischen Kindertagesstätten an der Bremer Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets für arme Familien. Monatelang habe sich die Sozialbehörde nicht dazu geäußert, wie Familien rückwirkend bis zum 1. Januar dieses Jahres Kosten erstattet bekommen können für Mittagessen oder Ausflüge, ärgerte sich gestern der Leiter des Verbands, Carsten Schlepper. Am Donnerstag vergangener Woche habe es dann endlich eine Ansage gegeben: Eine Woche, bis zum 30. Juni, blieb danach Zeit für einen Antrag.
Diese Frist sei viel zu knapp, sagt Schlepper, ein Problem sowohl für die Familien als auch für die Kindertagesstätten, die "im Schweinsgalopp" die Nachweise ausstellen müssten, dass ein Kind ein Mittagessen bekommen oder an einem Ausflug teilgenommen hat. Wie viele der 4.400 Kinder, die eine evangelische Kita in Bremen besuchen, betroffen sind, kann er nur schätzen. "Einige hundert werden es sein." Laut Schlepper geht es durchschnittlich um einen Anspruch auf die Erstattung von 130 bis 150 Euro.
Die Sprecherin der Sozialsenatorin, Petra Kodré, relativiert diese Darstellung. Das Fristende sei spätestens seit Mai bekannt, die Mitteilung von vergangener Woche nur eine letzte Erinnerung gewesen. Außerdem sei das Mittagessen für den überwiegenden Teil der armen Familien in Bremen ohnehin kostenlos. Und: Einzelnachweise für Mittagessen müssten nicht erbracht werden, es reiche aus, wenn eine Schule oder Kita monatsweise die Teilnahme am gemeinsamen Essen bestätige.
Den Unmut über den bürokratischen Aufwand kann Kodré nachvollziehen. "Das haben wir nicht erfunden", sagt sie, schließlich habe die schwarz-gelbe Bundesregierung das Gesetz gemacht - als Antwort auf die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, die Hartz-IV-Sätze für Kinder seien zu niedrig. Bremen hatte sich im Bundesrat erfolglos dafür eingesetzt, diese pauschal zu erhöhen, um aufwändige Einzelabrechnungen von Sachleistungen zu vermeiden.
Vereinfachen soll dies die so genannte "blaue Karte", die Berechtigte beim Jobcenter und den Sozialzentren beantragen können. In Zukunft soll diese Kitas und Vereinen vorgelegt werden, die dann ihrerseits das Mittagessen beziehungsweise den Mitgliedsbeitrag von den Ämtern erstattet bekommen. Zehn Euro im Monat gibt es insgesamt für Sportverein, Musikunterricht und andere Jugend- und Kultureinrichtungen. Bisher ist allerdings unklar, welche der gemeinnützigen Anbieter dieses Verfahren überhaupt akzeptieren. Eine Liste soll im Laufe der nächsten Monate auf der Homepage der Sozialsenatorin veröffentlicht werden.
Dass es diese Möglichkeiten gibt, hat sich aber mittlerweile herum gesprochen. Gerade seien noch einmal 5.000 der blauen Berechtigungskarten nachgedruckt worden, sagt Petra Kodré. Susanne Kopp, Sozialberaterin bei der Solidarischen Hilfe bestätigt dies. "Viele, die zu uns kommen, wissen, dass es das gibt, aber wie genau es funktioniert, darüber herrscht Unklarheit."
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