Kritik an Bosnien-Repräsentant: Auf die Straße gegen Schmidt
3.000 Menschen demonstrieren in Bosnien gegen UN-Repräsentant Christian Schmidt. Intellektuelle kritisieren Unterstützung von Nationalisten.
Unter den blaugelben Nationalfahnen des Landes kritisierten die Demonstranten am Freitag die faktische Unterstützung Schmidts von den rechtsradikalen nationalistischen Parteien der bosnischen Kroaten und Serben. Sie forderten, Bosnien und Herzegowina solle ein europäischer demokratischer Rechtsstaat werden, in dem jeder Mensch die gleichen Rechte habe. Die Teilung des Landes in zwei „Entitäten“ müsse überwunden werden.
Viele der Kritiker Schmidts sind müde und von der internationalen Gemeinschaft insgesamt enttäuscht. 30 Jahre nach dem Krieg könne diese immer noch die Politik in Bosnien und Herzegowina entscheidend beeinflussen, kritisieren sie. Bis heute neigten ausländische Diplomaten, Politiker und auch Journalisten dazu, die bosnische Gesellschaft unter die einfachen und wenig komplexen Kategorien „Serben, Kroaten und Bosniaken“ zu packen und mit diesem „analytischen“ Gerüst Politik zugunsten der nationalistischen Extremisten und deren Hintermänner in Serbien und Kroatien zu machen.
„Sie verstehen einfach die Komplexität einer in sich verwobenen und über 400 Jahre historisch gewachsenen multireligiösen Gesellschaft nicht“, sagt der Philosophieprofessor Sulejman Bosto. Ihnen reiche die schlichte Definition „Serben, Kroaten und Bosniaken“.
Auf der Kundgebung in Sarajevo erhielt die ehemalige Soziologin und Rechtsexpertin Azra Zvornić, die vor dem Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg gegen die ethno-nationalistische Aufteilung des Landes geklagt hatte und 2014 Recht bekam, begeisterten Applaus.
Brief an Michael Roth
Die internationalen Diplomaten und Politiker hätten das Land auf einen kaum zu reparierenden Irrweg geführt, der die Trennung der Gesellschaft und die territoriale Aufteilung des Landes ermöglicht und sogar beflügelt, erklären auch andere prominente bosnische Intellektuelle wie der Rechtsanwalt Senad Pečanin. Sie kritisieren Christian Schmidt in einem Brief an den Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschusses des deutschen Bundestags, Michael Roth.
Das Amt, das beim Friedensabkommen von Dayton 1995 eigentlich geschaffen wurde, um eine friedliche Entwicklung des Landes zu garantieren, sei jetzt entwertet. Schmidt habe zudem den Beschluss des Bundestags zu Bosnien und Herzegowina vom 8. Juli 2022, in dem mit der Stimme Michael Roths eine demokratische Weiterentwicklung des Landes gefordert wurde, einfach ignoriert.
Der jüngste Angriff auf LGBTQ+-Aktivisten in Zusammenarbeit mit der Polizei und rechten Gruppen sowie die Unterdrückung der Medienfreiheit durch die Annahme eines Gesetzentwurfs zur Kriminalisierung von ‚Verleumdung‘ seien nur Bausteine einer Verfestigung autokratischer Strukturen in der Republika Srpska, dem serbisch dominierten Teilstaat des Landes, beklagen die Autoren in dem Brief.
Schmidt habe zudem das dubiose Ergebnis für den serbischen Nationalisten Milorad Dodik bei den Wahlen im Oktober weder kritisiert noch untersuchen lassen, monieren die Demonstranten. Zudem habe Schmidt Entscheidungen getroffen, die allein der Führung der kroatischen Extremisten unter Dragan Čović zugutekamen. Mit einer Änderung des Wahlgesetzes in der bosniakisch-kroatischen Föderation, dem zweiten Teilstaat, versuchte er noch am Wahltag im vergangenen Herbst, diese Position zu stärken, kritisieren die Autoren.
„In Übereinstimmung mit dem Geist und dem Inhalt Ihrer Entschließung ist es notwendig, die Vision von Bosnien und Herzegowina als Staat, in dem alle Bürger völlig gleichberechtigt sind zu betonen“, fordern sie. Mit der aktuellen Verfassung könne Bosnien und Herzegowina niemals in die EU eintreten, „weil diese Verfassung ihre eigenen Bürger diskriminiert, komplexe Identitäten politisch bestraft und die ethno-territoriale Spaltungspolitik nicht nur belohnt, sondern auch anordnet“, heißt es in dem Brief.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren