Kritik an Arbeitsbedingungen bei Moia: Die Billig-Chauffeure von VW
Der Shuttleservice Moia will die Verkehrswende gestalten und wird dafür vom Bund gefördert. Die Fahrer:innen klagen über miese Arbeitsbedingungen.
Zuletzt hatten die Fahrer:innen im Herbst 2023 zweimal gestreikt, nachdem das Unternehmen Tarifverhandlungen abgebrochen hatte. Am Mittwoch hat das Unternehmen nun erneut die Forderungen abgelehnt.
Susanne Markgraf ist am Ende froh, da raus zu sein. „So kann ich noch in den Spiegel gucken“, sagt die ehemalige Moia-Mitarbeiterin. Markgraf, die eigentlich anders heißt, hat einige Jahre lang bei Moia gearbeitet. Erst als Fahrerin und später war sie als „Driver Manager“ die direkte Vorgesetzte für ein Team von Fahrer:innen.
Markgraf berichtet der taz von einem Klima der Einschüchterung bei Moia. Als Driver Manager sei sie dazu angehalten worden, dafür zu sorgen, dass die Fahrer:innen möglichst wenig wegen Krankheit ausfallen. „Hauptthema, wonach Driver Manager bewertet werden, ist: Kommen deren Leute zur Arbeit?“, sagt Markgraf. Dieser Druck werde an die Fahrer:innen weitergeben. Anrufe bei krank gemeldeten Fahrer:innen seien die Regel.
Fahrer:innen werden ständig wegen Kleinigkeiten zum Gespräch gebeten oder abgemahnt, täglich werde Fahrer:innen gekündigt, sagt Markgraf, meist noch in der Probezeit. Viele hätten deswegen Angst um ihre Jobs und kämen auch krank zur Arbeit.
Einmal habe Susanne Markgraf einen Fahrer nach Hause geschickt, der eindeutig nicht mehr habe arbeiten können. „Der war blass wie ’ne wandelnde Leiche und wär’ fast umgekippt“, sagt sie. „Das zu sehen tat schon weh.“
Die Arbeitsbedingungen bei Moia stehen schon länger in der Kritik. Unter anderem hatten Fahrer:innen kritisiert, dass sie Pinkelpausen erst in einer App beantragen müssen. Aktuell befindet sich die Gewerkschaft in Auseinandersetzung um eine bessere Bezahlung der Fahrer:innen. Die liegt mit 13 Euro pro Stunde zwar über dem Mindestlohn von derzeit 12,41 Euro, aber weit unter dem niedrigsten Haustarif von 17 Euro die Stunde beim Mutterkonzern VW.
Rund 30 Prozent der Fahrer:innen arbeiten in Teilzeit, die meisten von ihnen hätten noch andere Jobs, um über die Runden zu kommen. „Selbst viele Vollzeitfahrer haben Nebenjobs, weil das Geld am Ende des Monats nicht reicht“, sagt Peter Alexander, Betriebsrat bei Moia.
Moia wirbt offensiv um neue Fahrer:innen, online und mit Aufdrucken auf den Bussen selbst. „Gestalte die Mobilität der Zukunft“, schreibt das Unternehmen und verspricht Vollzeitfahrer:innen inklusive Zuschlägen für Wochenend-, Feiertags- und Nachtfahrten „monatlich durchschnittlich 2.700 Euro“.
In der Realität verdienten die meisten Fahrer:innen um einiges weniger, sagt Betriebsrat Alexander. „So ein Gehalt ist zwar möglich, aber man braucht viele Sonntags- und Nachtschichten.“ Besonders für Menschen mit Familie ist das schwer machbar. Viele Fahrer:innen habe die Werbung daher geärgert, sagt Alexander.
Die Stimmung zwischen Mitarbeitenden und Unternehmen war schon vor der Werbekampagne angespannt. Ende vergangenen Jahres wurde bekannt, dass Moia sich in zahlreichen Fällen mit Mitarbeitenden vor Gericht streitet. In über 130 arbeitsgerichtliche Prozesse ist Moia in Hamburg seit 2019 involviert gewesen, ein Großteil davon betreffen Kündigungen. Das hatte eine Kleine Anfrage der Linksfraktion in der Bürgerschaft ergeben.
„Es gibt eine sehr hohe Fluktuation“, bestätigt Peter Alexander. Diese betreffe nicht nur die 900 Fahrer:innen in Hamburg, sondern auch deren Vorgesetzten, die 30 Driver Manager. Nur die wenigsten von ihnen seien von Anfang an dabei.
„Moia“ ist eine 100-prozentige Tochter des VW-Konzerns.
Seit 2019 sind die Sammeltaxis in Hamburg, seit 2017 in Hannover unterwegs.
Buchen kann man sie über eine App, ein Algorithmus rechnet die beste Route aus, um unterwegs Menschen mit einem ähnlichen Ziel einzusammeln. Das Prinzip nennt sich „On-demand-Ridepooling“.
David Stoop, gewerkschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, wirft dem Konzern vor, aus strategischen Gründen Kündigungen auszusprechen – mit dem Ziel, „Unsicherheit bei den Beschäftigten zu schüren“, sagt Stoop. Moia weist die Vorwürfe als „haltlos“ von sich, man setze „bewusst auf eine langfristige Mitarbeiterbindung“.
Dass die Positionen der Fahrer:innen wie auch die der Driver Manager ohnehin ein Ablaufdatum haben, daraus macht Moia kein Geheimnis. In Zukunft sollen die schwarz-goldenen Kleinbusse nämlich autonom, also ohne menschliche Fahrer:innen auf den Straßen unterwegs sein. Bis 2030 will das Unternehmen nach eigenen Angaben an die 10.000 autonom fahrende Shuttles in Hamburg einsetzen. Gemeinsam mit VW, der Hamburger Hochbahn und dem Automobilzulieferer Benteler wird dieses Vorhaben im Forschungsprojekt „Alike“ entwickelt. Schon 2025 sollen die ersten Fahrgäste in Hamburg mitfahren können.
Das Projekt wird mit Geld vom Bund gefördert. Im Oktober 2023 hat Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) bei einem Besuch in Hamburg medienwirksam einen Scheck über rund 26 Millionen Euro übergeben. Die Stadt Hamburg ist Projektpartnerin. David Stoop sieht daher den Senat und den Bund in der Pflicht, sich bei Moia für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen.
Für Betriebsrat Peter Alexander ist es auch der Mutterkonzern VW, den er in der Verantwortung sieht. VW will zur Kritik an den Arbeitsbedingungen bei Moia nichts sagen. Auch auf Nachfrage verweist man an Moia.
Susanne Markgraf hat es in ihrer Zeit bei bei Moia so erlebt, dass die Menschen nur als Nummern auf Papier gesehen wurden. „Mir wurde von Kollegen und Chefs gesagt, dass ich zu nett war“.
In einer älteren Version dieses Textes war von dem Automobilhersteller Holon die Rede, gemeint war jedoch der Automobilizulieferer Benteler. Holon ist lediglich ein Markenname der Firma Benteler.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“