Kritik am neuen Integrationskonzept: Integration bleibt unverbindlich
Der Flüchtlingsrat kritisiert das neue Gesamtkonzept Integration des Senats. Das Meiste stehe unter Finanzierungsvorbehalt
Der Berliner Flüchtlingsrat übt scharfe Kritik am Konzept des Senats zur Integration und Partizipation von Geflüchteten, das Integrationssenatorin Elke Breitenbach (Linke) und der Integrationsbeauftragte Andreas Germershausen Mitte Dezember vorgelegt hatten.
Der Flüchtlingsrat spricht von „vielen Worten statt Taten“. „Zwei Jahre nach Aufnahme der Regierungsgeschäfte legt der Senat ein Gesamtkonzept vor, das an manchen Stellen die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag wortreich wiederholt und bei wichtigen Themen sogar hinter diesem zurückbleibt“, sagt Flüchtlingsratssprecherin Martina Mauer. „Das meiste bleibt unverbindlich oder steht unter Finanzierungsvorbehalt, zentrale Themen fehlen.“
So hapere es in Berlin weiterhin an der Ausstellung von Wohnberechtigungsscheinen (WBS) für Geflüchtete. Wer sich noch im Asylverfahren befindet oder nur eine Duldung hat, bekäme keinen WBS und damit faktisch nie eine Wohnung. Das hätten dem Flüchtlingsrat zufolge zivilgesellschaftliche Gruppen gegenüber der Landesregierung mehrfach problematisiert. Wer Asyl bekommen hat, erhält einen WBS nur, wenn die von der Ausländerbehörde ausgestellte befristete Aufenthaltserlaubnis noch mindestens elf Monate gelte.
Das führe laut Flüchtlingsrat aber in der Praxis dazu, dass Familien, deren Mitglieder zu unterschiedlichen Zeitpunkten befristete Aufenthaltserlaubnisse für ein oder zwei Jahre erhalten, praktisch nie in den Genuss eines gemeinsamen WBS kämen. Der Flüchtlingsrat vermisst zudem großzügige Bleiberechtsregelungen für gut integrierte abgelehnte Asylbewerber sowie ein Ende des „brutalen, rechtswidrigen Vorgehens bei Abschiebungen“.
„Integrationspolitisch kontraproduktiv“
Weiter schreibt der Flüchtlingsrat: „Ebenso fehlen Aussagen darüber, wie die gravierenden Organisationsmängel im LAF bei der Registrierung Geflüchteter behoben werden sollen.“ Wie die taz berichtet hatte, müssen Neuankömmlinge oft über Wochen auf die Registrierung warten. Schuld sind personelle Engpässe im LAF. Während der Wartezeit haben die Menschen weder Zugang zur notwendigen medizinischen Behandlungen, noch erhalten sie Bargeld. Das beträfe sogar Schwangere, die keinen Facharzt aufsuchen könnten.
Dem Flüchtlingsrat zufolge stehen zudem 1.000 Plätze in neu entstandenen Gemeinschaftsunterkünften leer, während unzumutbare Unterkünfte weiterhin in Betrieb seien. Grund des Leerstandes seien nicht funktionierende Ausschreibeverfahren an Betreiber.
Der Berliner Integrationsbeauftragte Andreas Germershausen sagt zu der Kritik, es handle sich um „ein Strategiepapier zu flüchtlings- und migrationspolitischen Schwerpunkten des Senats für die nächsten Jahre“. Da könne man nicht erwarten, „dass die akuten Probleme bei der Versorgung von Geflüchteten durch das Gesamtkonzept gelöst werden“.
Einige Vorhaben des Senats bezeichnet der Flüchtlingsrat zudem als integrationspolitisch kontraproduktiv. So hat der Senat beispielsweise vor, Sonderkitas auf dem Gelände von Sammelunterkünften zu bauen, in denen Flüchtlingskinder dann unter sich bleiben und, so der Flüchtlingsrat, „pädagogische Substandards“ herrschen würden.
Lob für zwei Punkte
Aber es gibt auch Lob vom Flüchtlingsrat. Beispielsweise für das Vorhaben des Senats, Deutschkursangebote zu erweitern sowie das großzügige Bekenntnis zur sogenannten Ausbildungsduldung. Diese bekommen Flüchtlinge während und nach einer beruflichen Ausbildung, auch wenn währenddessen ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Damit erhalten nicht nur die Flüchtlinge selbst, sondern auch Unternehmen, die sie ausbilden und damit auf neue Fachkräfte zählen, mehr Rechtssicherheit.
Dem Integrationsbeauftragten Andreas Germershausen zufolge wird der Senat sich auch weiterhin konstruktiv mit Stimmen aus der Zivilgesellschaft zu seinem Integrationskonzept auseinandersetzen. Auf einer Tagung Mitte Dezember sei „der Ansatz des Senats positiv angenommen, aber auch kontrovers diskutiert“ worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut