Krisen am Horn von Afrika: Kann Äthiopien überleben?
Krieg in Sudan, Konflikte in Somalia, Streit um den Nil: Für Äthiopien wird das regionale Umfeld immer schwieriger.
U nter den gut 50 Ländern Afrikas sticht Äthiopien seit jeher selbstbewusst hervor. Es widersetzte sich erfolgreich der fremden Eroberung und wurde nie kolonisiert, seine Hauptstadt Addis Abeba wurde 1963 Sitz der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU), heute die Afrikanische Union (AU). Äthiopien war Gründungsmitglied der Vereinten Nationen nach dem Zweiten Weltkrieg und nutzte seine Präsenz in New York zum Aufbau der erfolgreichen nationalen Fluglinie „Ethiopian Airlines“.
Das andere beneidenswerte äthiopische Erfolgssymbol ist der Riesenstaudamm GERD (Grand Ethiopian Renaissance Dam) am Blauen Nil, der nach dem Baubeginn 2011 jetzt kurz vor der Fertigstellung steht – fast ausschließlich eigenfinanziert, auf einem Kontinent, in dem jedes Großprojekt ansonsten auf ausländischen Krediten fußt. Als der junge äthiopische Premierminister Abiy Ahmed 2019 den Friedensnobelpreis für seine Lösung des Konfliktes mit Eritrea erhielt, schien Äthiopiens Platz als Afrikas stolze Bastion von Hoffnung, Inspiration und Resilienz gesichert.
Aber es kam anders. Während die Welt 2020 bis 2022 die Covid-19-Pandemie bekämpfte, kämpfte Äthiopien gegen sich selbst: die Zentralregierung gegen das rebellische Volk der Region Tigray, in einem brutalen, verlustreichen Bürgerkrieg. Und seitdem wird es nicht besser.
Sechs Monate, bevor Abiy seinen Nobelpreis zugesprochen bekam, wurde im Nachbarland Sudan Militärherrscher Omar Bashir gestürzt – am 11. April 2019, genau vierzig Jahre nach dem Sturz des Militärdiktators Idi Amin in Uganda am 11. April 1979 – und Äthiopien bekam ein neues Sicherheitsproblem direkt nebenan. Der Nachbar versinkt heute in Konflikten. Sudans Staat ist zerfallen, zwei gleich starke Fraktionen kämpfen um die Macht und die Bevölkerung ist auf der Flucht.
lebt als unabhängiger Publizist in Ugandas Hauptstadt Kampala. Er ist ehemaliger Chefredakteur der Zeitungen Sunday Vision und Daily Monitor in Uganda und Mitgründer der Zeitung The Citizen in Tansania.
Islamisten „made in Sudan“
Im abgespaltenen Südsudan ist die Situation ähnlich, wenn nicht schlechter. Sudans Kollaps ist ein Problem für Äthiopien, für Afrika, für die ganze Welt. Der internationale Islamismus hat nun ein großes, fruchtbares Gebiet, in dem er sich frei organisieren und konsolidieren kann – ähnlich wie schon seit Langem in Äthiopiens östlichem Nachbarland Somalia, wo die islamistischen Shabaab-Rebellen sich darauf einstellen, ihre Macht auszubauen, wenn die Eingreiftruppe der Afrikanischen Union Ende des Jahres abzieht, nach fast zwei Jahrzehnten fragiler Friedenssicherung.
In einem Umfeld zerfallender Staaten ist Äthiopiens Suche nach ökonomischer Emanzipation – die mit dem GERD-Staudamm generierte Wasserkraft soll auf absehbare Zeit Äthiopiens Bedarf übersteigen und daher in die Nachbarländer exportiert werden können, was Geld und Einfluss sichert – nicht mehr ganz so einfach. Der Staudammbau hat Äthiopien in Konflikt mit dem militärisch und ökonomisch stärkeren Ägypten gebracht.
Ägypten sieht in dem Staudamm eine Bedrohung seiner jahrtausendealten Vorrechte auf das Wasser des Nils als Quelle seiner Zivilisation. Bisher konnte Sudan, das zwischen beiden Ländern liegt, eine friedliche Konfliktlösung zwischen diesen Giganten mit 129 Millionen (Äthiopien) und 110 Millionen (Ägypten) Einwohnern fördern: Es ist ebenso wie Ägypten abhängig vom Nilwasser, soll aber auch vom Strom aus Äthiopien profitieren. Mit dem Chaos in Khartum fällt Sudan als Partner aus.
Sudan zerfällt, Somalia steht vor einem Rückfall in Anarchie, die eigenen inneren Spannungen sind noch nicht überwunden – Äthiopien wird viel Glück brauchen, um aus dieser multiplen Krise herauszufinden und auch in Zukunft einen Leuchtturm ökonomischer und ideologischer Inspiration für Afrika darstellen zu können. Vielleicht sogar ein Wunder.
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