Krise in der Stahlindustrie: Weich wie ThyssenKrupp-Stahl
Nur von den Erfolgen der Vergangenheit kann man nicht leben: Deutschlands größtem Stahlkonzern droht die Zerschlagung.
![](https://taz.de/picture/148470/14/thyssenkrupp-8.jpg)
BOCHUM taz | Schlechter konnten die Zahlen, die Thyssen-Krupp-Chef Heinrich Hiesinger am späten Dienstag verkünden musste, kaum sein. Verluste von über 1,2 Milliarden Euro hat Deutschlands größter Stahlkonzern in den ersten neun Monaten des laufenden Geschäftsjahres gemacht. Die Eigenkapital der Essener sank auf miese 8 Prozent – kein anderes DAX-Unternehmen steht schlechter da. Insgesamt drücken Nettoschulden von über 5 Milliarden Euro.
Grund der Unternehmenskrise ist eine gigantische Fehlinvestition: 12 Milliarden Euro hat Thyssen-Krupp in zwei im Bereich „Steel Americas“ gebündelte Werke gesteckt. Doch der Plan, in Brasilien billig Stahl zu produzieren und dann im US-Bundesstaat Alabama weiterverarbeiten zu lassen, ging nicht auf.
Steigende Löhne und die Aufwertung des brasilianischen Real drückten die Rentabilität. Außerdem ist das nicht vom konzerneigenen Anlagenbauer Uhde gebaute Werk vor Rio de Janeiro extrem störanfällig: Im Mai stürzte ein tonnenschwerer Eisenbrocken in einen der beiden Hochöfen. Der erkaltete – in der Stahlproduktion ist das der Worst Case.
Jedes Quartal häuft „Steel Americas“ dreistellige Millionenverluste an. In den Büchern stehen die Werke nur noch mit 3,4 Milliarden Euro – die Amerika-Expedition hat Thyssen-Krupp 9 Milliarden Euro gekostet. Konzernchef Hiesinger will die Sparte deshalb um jeden Preis loswerden – doch der Hauptinteressent, der brasilianische Stahlkocher CSN, pokert. „Die Bieter“ würden „einen vollständigen Hochlauf des Hochofens 2“ erwarten, musste Hiesinger einräumen: Der Verkauf von Steel Americas dauere „länger als erwartet“.
Frisches Kapital gesucht
Für Thyssen-Krupp könnte das tragisch sein. Zwar läuft das Tagesgeschäft: Der Aufzugbau sorgte für einen Rekordgewinn von 487 Millionen, die europäische Stahlproduktion schaffte 101 Millionen heran.
Trotzdem brauchen die Essener schnellstens frisches Kapital: Das Verhältnis der Nettofinanzschulden zum Eigenkapital ist auf 185 Prozent gestiegen. Sollte dieses Verhältnis bis Ende des Geschäftsjahres am 30. September nicht auf 150 Prozent gesunken sein, können die Kreditgeber neu verhandeln: „Die Banken könnten die Kredite theoretisch kündigen“, so Thyssen-Krupp-Sprecher Kilian Rötzer zur taz.
Vorstandschef Hiesinger denkt deshalb über eine Kapitalerhöhung nach. Doch damit wäre die Krupp-Stiftung, die unter Führung von Firmenpatriarch Berthold Beitz vor einer feindlichen Übernahme Schutz bot, aus dem Rennen – ihr fehlt das nötige Geld. Mit dem Einstieg großer Finanzinvestoren aber droht Thyssen-Krupp die Zerschlagung: Aufzüge, Anlagenbau und die Werften könnten bei einem Einzelverkauf deutlich mehr bringen als den aktuelle Börsenwert von 9 Milliarden Euro.
NRW-Ministerpräsidentin bangt um Arbeitsplätze
Doch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft will eine Filetierung des Traditionskonzerns auf jeden Fall vermeiden. „Ich muss nur auf die Arbeitsplätze schauen“, sagte die Sozialdemokratin im Sender n-tv. Allein in Duisburg beschäftigt Thyssen-Krupp noch mehr als 14.000 seiner 150.000 Mitarbeiter – und Kraft kann eine weitere Krise wie bei Opel in Bochum nicht gebrauchen.
In NRW wird deshalb spekuliert, ob nicht die RAG-Stiftung, die eigentlich die Ewigkeitskosten des Steinkohlebergbaus absichern soll, der Krupp-Stiftung mit einem Kredit aushelfen kann. Eine Schlüsselrolle hätte dabei Kraft – sie sitzt in beiden Stiftungen im Kuratorium. Aber die Sozialdemokratin zögert: Bei der RAG-Stiftung hat der Bund, der den Hauptanteil der Kohlesubventionen getragen hat, wichtige Mitspracherechte – und Berlin könnte Kraft mitten im Bundestagswahlkampf hängen lassen.
Noch spielt die SPD-Hoffnungsträgerin deshalb auf Zeit: Thyssen-Krupp, verkündete Kraft am Anfang der Woche, sei „alles in allem ein guter, ein gesunder Konzern“.
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