Krise in Ägypten: Schwieriger Weg aus der Eskalation
Opposition und Muslimbrüder versuchen, Möglichkeiten für eine Befriedung des Konflikts zu finden. Doch es sind auch weitere Demonstrationen angekündigt.
KAIRO/BERLIN taz | Nach den schwersten Auseinandersetzungen seit dem Amtsantritt von Präsident Mohammed Mursi haben in Kairo Versuche begonnen, Möglichkeiten für eine Beilegung der Krise auszuloten.
Vizepräsident Mahmud Mekki zeigt sich auf einer Pressekonferenz am Mittwoch optimistisch. Eine politische Lösung sei in Reichweite. Sein Vorschlag sieht vor, einige der umstrittenen Paragraphen im Verfassungsentwurf bei der ersten Sitzung des noch zu wählenden neuen Parlaments zu streichen. Die Volksvertretung soll zwei Monate nach dem Inkrafttreten der Verfassung gewählt werden.
„Es muss einen Konsens geben,“ sagte Mekki. Er erwarte, dass ein politischer Dialog mit der Opposition bevorstehe. „Die Forderungen der oppositionellen Protestierenden müssen respektiert werden,“ sagte er weiter und fügte hinzu: „Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir hinsichtlich der Krise einen Durchbruch und einen Konsens erreichen werden – wenn nicht in Stunden, so doch in den nächsten Tagen.“ Gleichzeitig betonte Mekki, das umstrittene Referendum werde wie geplant stattfinden.
Die Opposition hatte sich zuvor auf drei zentrale Forderungen geeinigt. Sie verlangt, dass Mursi seine Machtbefugnisse wieder beschränkt und der Verfassungsentwurf für ungültig erklärt wird. Stattdessen soll eine neue, repräsentativere verfassungsgebende Versammlung einen neuen Entwurf ausarbeiten.
Dialog ohne Vorbedingungen
Der Oppositionspolitiker Mohammed ElBaradei sagte am Mittwoch auf einer Pressekonferenz: „Die Bruderschaft sind diejenigen, die Gesetze und Verfassung missachten. „Wenn Mursi das Dekret nicht zurücknimmt, werden wir uns weder mit ihm zusammensetzen, noch werden wir irgend eine Initiative ergreifen. Das soll er selbst tun.“
Der Chef der einflussreichen islamischen Al-Azhar-Universität, Scheich Ahmad al-Tayyeb, forderte von dem Präsidenten, das Verfassungsdekret, das seine Entscheidungen nicht gerichtlich anfechtbar macht, einzufrieren. Es müsse ein Weg für einen Dialog ohne Vorbedingungen gefunden werden. Die Al-Azhar-Universität ist die höchste religiöse Instanz der Sunniten.
Rücktritt auf Rücktritt
Der Ausbruch der Gewalt vor dem Präsidentenpalast hat unterdessen zu einer Reihe von Rücktritten geführt. Gleich mehrere Präsidentenberater gaben noch in der Nacht zum Donnerstag auf. Auch der Chef des staatlichen Fernsehens, Essam al-Amir, warf aus Protest dagegen, wie das Land vom Präsidenten geführt wird, seinen Job hin. Auch Zaghloul al-Balshi – der Mann, der das Verfassungsreferendum organisieren sollte – trat in der Nacht zurück. „Ich werde nicht an einer Abstimmung teilnehmen, für die ägyptisches Blut vergossen wurde“, begründete er seinen Schritt in einem Fernsehinterview am Mittwochabend.
Über 200 ägyptische Diplomaten kündigten an, sie würden die Abstimmung über das Referendum von im Ausland lebenden Ägyptern nicht überwachen. Laut bisheriger Planung können sie sich an vier Tagen in 137 Botschaften und 11 Konsulaten an dem Referendum beteiligen.
Am Donnerstagnachmittag traf sich der Präsident, der seit Beginn der Krise geschwiegen hatte, mit seinem Kabinett und dem Armeechef, um Maßnahmen zur Stabilisierung des Landes zu erörtern, wie es in einer Erklärung des Präsidialamts hieß. Noch am Donnerstag soll es eine Erklärung geben.
Die Stabilität der Republik Ägypten könnte jedoch bereits am Freitag wieder gefährdet sein: Die Muslimbruderschaft hat die nächste Massendemonstration in Kairo angekündigt. Und die Opposition wird sich wohl wieder auf dem Tahrirplatz treffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!