Krise der Deutschen Bank: Ledersohlen auf Holzdielen
Der alte Chef der Deutschen Bank, Jürgen Fitschen, muss gehen. Eine neue Strategie des Geldinstituts ist aber noch nicht sichtbar.
Es knarzt vor Gediegenheit. Im großen Saal des Alten Rathauses in Hannover stehen rund 300 Männer und wenige Frauen und hören Jürgen Fitschen zu, einem der mächtigsten Manager Europas. Während der Ko-Chef der Deutschen Bank am vergangenen Montag auf der Bühne über China, den Ölpreis und die Finanzmärkte spricht, wippen sie mit ihren Schuhen auf dem abgelaufenen Parkett hin und her. Das geduldige Knarzen von Ledersohlen auf Holzdielen untermalt seine Rede leise. Es ist das einzige Nebengeräusch. Alle lauschen ehrfürchtig.
Jürgen Fitschen ist auf Abschiedstournee. Bei etlichen der insgesamt 17 Neujahrsempfänge zwischen Hamburg und München, zu denen die Deutsche Bank Geschäftspartner, Lokalgrößen und Investoren lädt, tritt der 67-Jährige auf. In Hannover steht auf der Bühne neben rosa Tulpen ein blaues, einen Quadratmeter großes Quadrat mit einem diagonalen Strich – das Logo der Deutschen Bank. Neben der Bühne hängt ein Banner mit dem Werbeslogan der Bank „Leistung aus Leidenschaft“.
Fitschen ist zum 14. Mal beim Neujahrsempfang in Hannover, es ist seine letzte Rede als Bankchef hier. Ab Mai wird sein jetziger Kovorstandsvorsitzender John Cryan die Bank allein führen. Die Lage ist ernst. Die Bank ist in der schwersten Krise ihrer Geschichte. Niemand klatscht während Fitschens Rede.
Mit sparsamen Gesten untermalt er seinen Vortrag, redet von Chancen in China, Herausforderungen im Mittleren Osten, warnt vor nationalen Lösungen in Europa. Er spricht frei, aber ohne Leidenschaft. Wenige Tage vor dem Empfang hat die Bank den Rekordverlust von fast 7 Milliarden Euro für 2015 bekannt gegeben. Bei ihrem Amtsantritt 2012 hatten Fitschen und sein damaliger Chefkollege Anshu Jain für 2015 einen Gewinn von 8 Milliarden Euro versprochen.
„Was Sie über unser Haus in der Zeitung lesen können, macht mich nicht froh“, sagt Fitschen gegen Ende seiner Rede mit etwas heiserer Stimme. In diesem Moment hört das Knarzen auf. Darauf haben die Zuhörer offenbar gewartet: dass Fitschen etwas zum katastrophalen Zustand der Deutschen Bank sagt.
Weltweit 6.000 Verfahren
Aber viel mehr hören sie da nicht. Immer wieder gerät die Deutsche Bank wegen ihrer Skandale in die Schlagzeilen. Manipulation wichtiger Referenzzinssätze für Banken wie Libor und Euribor, Beihilfe zur Geldwäsche und zur Steuerhinterziehung, Verstöße gegen Sanktionen gegen den Iran, fragwürdige Hypothekengeschäfte in den USA, Tricksereien bei Währungsgeschäften – weltweit sind 6.000 Rechtsstreitigkeiten aufgelaufen.
Auch Fitschen hat es erwischt. In München steht er seit Monaten neben seinen Vorgängern Josef Ackermann und Rolf E. Breuer vor Gericht. Ihnen wird Prozessbetrug vorgeworfen, weil sie im Verfahren um die Pleite des einstigen Medienmoguls Leo Kirch laut Staatsanwaltschaft falsch ausgesagt haben sollen. Immerhin: Einen Tag nach dem Hannoveraner Neujahrsempfang hat der Richter ziemlich deutlich gemacht, dass er die Anklage für Quatsch hält. Es sieht nach Freispruch aus.
Für die Bank dagegen sind die Aussichten keineswegs gut. Sie hat allein 2015 mehr als 5 Milliarden Euro für Strafen und andere Kosten für ihre juristischen Scharmützel zurückgestellt. Kein schöner Zeitpunkt für den Abgang des Ko-Chefs, der 2012 gemeinsam mit Jain an die Spitze der Bank gerückt war. Jain musste im Sommer gehen. „Ich werde mich aus einer gewissen Distanz über die Ergebnisse der Strategie 2020 freuen“, sagt Fitschen.
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„Strategie 2020“ – so nennen sie bei der Deutschen Bank die Maßnahmen, mit denen das Finanzhaus wieder in die Gewinnzone kommen will. Konzentration auf sehr reiche Kunden, Trennung von der Tochter Postbank und dramatische Kürzung von Stellen sowie Filialschließungen sollen die Trendwende bringen. Am Investmentgeschäft, das für die meisten Skandale verantwortlich ist, will die Bank dagegen festhalten.
1.500 Entwickler für mobile Anwendungen
So wird die Trendwende sicher nicht gelingen, sagen Analysten wie Dieter Hein vom Institut Fairesearch. Ginge es nach ihm, müsste nicht nur Fitschen das Unternehmen verlassen, sondern der gesamte Vorstand und der Aufsichtsrat dazu – im Vorstand sitzen neun Männer und eine Frau, der Aufsichtsrat hat dreizehn männliche und sieben weibliche Mitglieder. Die Manager stärken das Investmentgeschäft, bei dem die Bank etwa mit Aktienhandel und Spekulationen auf das schnelle große Geld hofft – und ihre Händler noch immer mit großzügigen Bonuszahlungen zu riskanten Geschäften antreibt.
Auch der neue Ko-Chef John Cryan wird daran nichts ändern, ist Hein überzeugt. Denn Cryan ist im Investmentbanking groß geworden. „Die Deutsche Bank ist nicht gut aufgestellt für das 21. Jahrhundert. Allein im Investmentbereich arbeitet sie mit 50 bis 60 verschiedenen Abrechnungssystemen“, die nicht kompatibel sind, schätzt Hein. Die Bank hat ihre EDV und die Entwicklung von Onlineangeboten lange externen Dienstleistern überlassen. Das war ein Fehler, meint das Management jetzt. Und es stellt 1.500 Entwickler an, die mobile Anwendungen für Kunden austüfteln sollen. Doch die müssen erst mal einsatzfähig werden. Die Bank hinkt der Konkurrenz hinterher, vor allem den preisgünstigen Direktbanken.
Kritische Töne sind in Hannover nicht zu hören. Fitschen hat ein Heimspiel. Er kommt aus der Nähe von Stade, was auch sein leichter norddeutschen Akzent verrät. Unter den Gästen beim Neujahrsempfang sind vor allem Vertreter klassischer Unternehmen, von Versicherern, Maschinenbauern oder großen Dienstleistern wie dem TÜV. Die Anzüge sitzen gut, die Männer tragen Krawatte.
Old Economy
Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, der gern unkonventionell auftritt, würde hier wie ein Fremdkörper wirken. Dabei gehört er als Superreicher durchaus zur Zielgruppe der Bank. Kleine Start-ups, die eine Finanzierung brauchen, um groß werden zu können, haben es dagegen schwer. Die Bank ist im 19. Jahrhundert mit der Industriellen Revolution groß geworden, sie interessiert sich noch immer vor allem für die Old Economy.
„Ich bedanke mich für Ihr Vertrauen“, sagt Fitschen zum Abschied in Hannover. Der Applaus ist höflich, mehr nicht. Fitschen ist nicht besonders groß. Das graue Haar ist penibel gekämmt, der Händedruck nicht sehr kräftig. Journalisten dürfen mit ihm sprechen – aber kein Zitat verwenden. Das würden die Börsenregeln vor der Präsentation der Geschäftszahlen in wenigen Tagen nicht erlauben, sagt der aus Berlin angereiste Pressesprecher, der aufpasst.
Bei Garnelen im Kartoffelbällchen, Lachs im grünen Crêpe und Hähnchenspießen unterhalten sich die Damen und Herren. Fitschen ist hier hoch angesehen, aber das Vertrauen haben viele verloren. Einige glauben nicht, dass die Skandalserie der Bank abgeschlossen ist. „Da wird noch mehr kommen“, sagt ein Mann Ende 40, Führungskraft einer Versicherung. „Die Deutsche Bank wird die Krise überleben“, sagt der Manager einer Pensionskasse, einer der wenigen Bartträger hier. „Die exportorientierte deutsche Wirtschaft braucht eine international tätige Bank.“ Namentlich zitieren lassen will sich von den Geschäftskunden keiner. Sie fürchten, dass das ihrem Unternehmen schaden könnte. Die Deutsche Bank setzt vor allem auf Geschäftskunden. Je größer, desto besser.
Zu den wenigen anwesenden Privatkunden gehört das Ehepaar Ernst und Rita Goebel. Fitschen hatte einen „würdevollen Auftritt“, finden die beiden. Der Mann hat es schließlich schwer, sagen sie. Ernst Goebel war früher Jurist bei der Deutschen Rentenversicherung. Auch der 77-Jährige fragt sich, ob noch mehr Skandale ans Tageslicht kommen werden. Trotzdem will er der Bank treu bleiben. Er schätzt die Bankangestellten sehr. „Ich weiß, dass ich mich auf sie verlassen kann, wenn ich einen Schlagfall bekommen sollte und meine Frau allein zurechtkommen muss“, sagt er.
Verunsicherte Beschäftigte
Aber er weiß nicht, ob diese Angestellten und seine Filiale auch in Zukunft noch da sein werden. Denn Fitschen und Cryan wollen die Bank umbauen, und das bedeutet für viele: Abbau. Allein in Deutschland sollen 200 von 700 Filialen geschlossen, mehr als 4.000 der hierzulande noch 45.000 Stellen gestrichen werden. Noch ist unklar, wen es wann treffen wird.
Die Angestellten, die ins Alte Rathaus in Hannover gekommen sind, dürfen und wollen nicht mit Journalisten sprechen. Der Pressesprecher macht darauf mit Nachdruck aufmerksam. Der Unternehmensführung ist genauso wie den Arbeitnehmervertretern klar, dass die Stimmung unter den Mitarbeitern sehr schlecht ist. „Die Beschäftigten sind hochgradig verunsichert“, sagt Oliver Popp, Sprecher des Deutschen Bankangestellten Verbandes. Ursprünglich hatte das Management angekündigt, dem Konzernbetriebsrat im vergangenen November detaillierte Pläne zu den anstehenden Streichungen vorzulegen. Doch stattdessen wurden nur Gesamtzahlen zum Stellenabbau genannt. Die Beschäftigten wissen nicht, ob sie besser in einen anderen Bereich wechseln, ob sie bleiben oder ob sie sich vielleicht am besten weiterbilden sollen.
„Unrentable Filialen sind längst geschlossen worden“, sagt Popp. Jede Filialleitung bekommt Ertragsziele gesetzt. „Die werden erfüllt oder übererfüllt“, sagt er. „Wir haben keine gescheite Begründung für die Filialschließungen gehört außer dem Kostenargument.“ Denn das Management will die Kosten für den Geschäftsbetrieb drastisch senken. Dabei liegt gerade in den Filialen und dem Privat- und Firmenkundengschäft die Zukunft der Bank, sind sich Gewerkschafter Popp und Analyst Hein sicher. „Die Bank sägt an dem Ast, auf dem sie sitzt“, sagt Popp. „Das Management gibt das funktionierende Geschäft auf, ohne ein Modell zu haben, das in die Zukunft führt.“
Ein Brite ist jetzt zuständig für Deutschlands Nummer 1
Zwei Stunden dauert Fitschens Termin in Hannover, etwas weniger als die Pressekonferenz zu den aktuellen Geschäftszahlen drei Tage später in Frankfurt mit ihm und seinem Ko-Chef John Cryan. Für die großen Linien ist jetzt der Brite zuständig.
Cryan spricht demütig über schlechte Zahlen, die teuren Altlasten aus den Rechtsstreitigkeiten. Fitschen wird wenig gefragt, und wenn doch, dann antwortet er höflich. Er demonstriert in aller hanseatischen Vornehmheit das Selbstbewusstsein der einst so stolzen Deutschen Bank. Er lobt das Asiengeschäft, die gute Aufstellung in Deutschland.
Hierzulande ist sein Haus die Bank für Unternehmen und Unternehmer, betont er. „Wir sehen uns als absoluter Marktführer.“ Aber es klingt wie Selbstbeschwörung, als er sagt: „Wir sehen die Digitalisierung nicht als Gefahr, im Gegenteil, sie ist ein Chance.“ Chancen kann man verspielen.
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