: Kriegsrecht schafft Ruhe in Lhasa
■ Proteste zum Jahrestag des tibetischen Aufstands erstmals nicht von buddhistischen Mönchen, sondern von Jugendlichen angeführt / Polizisten und Soldaten dominieren das Straßenbild
Peking/Neu Delhi (afp/ap/dpa) - In der tibetischen Hauptstadt Lhasa schien die Lage gestern, dem ersten Tag unter Kriegsrecht, ruhig. Nach Angaben von Touristen waren auf den Straßen fast nur Soldaten und Polizisten zu sehen. Uniformierte hätten Häuser durchsucht und Jugendliche festgenommen, die auf LKWs weggefahren worden seien.
Der unbefristete Ausnahmezustand war nach dreitägigen blutigen Unruhen und Protesten gegen die chinesische Herrschaft nach Mitternacht in Kraft getreten. Es ist das erste Mal seit dem Ende der Kulturrevolution 1976, daß die Regierung in Peking eine Stadt unter Kriegsrecht gestellt hat. Der im indischen Exil lebende Dalai Lama, geistiges Oberhaupt der Tibeter, erklärte, praktisch stehe Lhasa schon seit längerer Zeit unter Kriegsrecht, die Ausrufung habe diesen Zustand lediglich formal bestätigt. Die achtzig Touristen in der Stadt wurden aufgefordert, bis heute mittag abzureisen. Obwohl die Telefonverbindungen zu den Hotels seit gestern nicht mehr funktionieren, konnte ein Tourist noch mitteilen, in der Altstadt von Lhasa sei kein chinesisches Geschäft unversehrt geblieben.
Ein Amerikaner sagte, viele verwundete Tibeter versteckten sich zu Hause, weil die Polizei jeden Verletzten als Aufrührer verdächtige. Krankenhäuser weigerten sich anscheinend, verwundete Tibeter zu behandeln. Ein Australier beobachtete, wie Milizionäre neben jungen Männern auch Jugendliche im Alter von neun Jahren abführten.
Die Proteste kurz vor dem Jahrestag des gescheiterten tibetischen Aufstands vom 10.März 1959 wurden erstmals nicht überwiegend von buddhistischen Mönchen, sondern von Jugendlichen angeführt. Erwartungsgemäß kommentierte der chinesische Delegierte bei der in Genf tagenden UN -Menschenrechtskommission, Li Zuomin, für die Unruhen der letzten Tage seien „Seperatisten“ und „von außerhalb eingeschleuste Terroristen“ verantwortlich. Unterdessen drohte die tibetische Exilregierung in Nordindien mit „heftigen Reaktionen“ auf die Ausrufung des Kriegsrechts.
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