: Kriegserklärung an die UNO
In Sierra Leone verschleppen und ermorden Rebellen Blauhelmsoldaten. Für die größte derzeitige Friedensmission könnte das den Anfang vom Ende bedeuten. Die internationale Truppe hat das Land nie unter Kontrolle bekommen
von DOMINIC JOHNSON
Die derzeit größte UN-Friedensmission der Welt ist im Begriff zu scheitern. Bei Auseinandersetzungen im westafrikanischen Sierra Leone zwischen UN-Blauhelmen und Kämpfern der ehemaligen Rebellenbewegung RUF (Revolutionäre Vereinigte Front) kamen bis Mittwochabend mindestens sieben UN-Soldaten ums Leben, „etwa 49“ sind nach UN-Angaben von den Rebellen gefangengenommen worden. UN-Generalsekretär Kofi Annan machte RUF-Führer Foday Sankoh für die Gewalt verantwortlich. In Paris sagte er gestern, er sei „empört über die fortgesetzten gezielten Angriffe“. RUF-Chef Sanko dementiert, dass seine Leute die UNler festhielten.
Am Mittwochabend umzingelten Soldaten der UN-Mission Unamsil Sankohs Haus in der Hauptstadt Freetown und stellten ihn faktisch unter Hausarrest. Gestern dauerten Verhandlungen um die Freilassung der Gefangenen an, doch zugleich droht Krieg zwischen UNO und RUF.
Erst im Juli 1999 hatte die RUF mit Sierra Leones Präsident Ahmed Tejan Kabbah ein Friedensabkommen zur Beendigung des seit 1991 dauernden Bürgerkrieges geschlossen. Kabbah war kurz nach seiner Wahl 1997 von einer Koalition zwischen RUF und unzufriedenen Soldaten gestürzt worden; im Februar 1998 hatte eine Militärintervention der von Nigeria geführten Eingreiftruppe Ecomog ihn wieder eingesetzt. Nachdem der Krieg damals nicht aufhörte, einigte sich Kabbah mit den Rebellen auf eine gemeinsame Regierung, den Rückzug der Ecomog und die Stationierung einer großen UN-Truppe zur Entwaffnung der unzähligen Milizen des bitterarmen Landes. Das Abkommen beendete einen der brutalsten Kriege der Welt, der in acht Jahren zehntausende Menschenleben gefordert und zeitweise die Hälfte der vier Millionen Einwohner Sierra Leones zu Flüchtlingen gemacht hatte.
Aber die Bildung der gemeinsamen Regierung zögerte sich monatelang hinaus, und bis heute klagt die einstige Guerilla über Benachteiligung und steht Gewehr bei Fuß. Zwar sind inzwischen 22.000 der geschätzten 43.000 Kämpfer verschiedener Armeen und Milizen in Sierra Leone in UN-Entwaffnungslager eingezogen, aber damit sind immer noch 21.000 aktiv, und ihnen stehen lediglich 8.300 Blauhelmsoldaten gegenüber, die nur in neun der zwölf Distrikte Sierra Leones präsent sind. Nicht einmal die einst doppelt so große Ecomog beherrschte das ganze Land – Unamsil ist erst recht nicht in der Lage, die Diamantenminen im Osten zu erobern oder die gesetzlosen Dschungelgebiete im Norden zu befrieden. So ist es denn auch eher die Regel, dass RUF-Truppen in diesen Regionen UN-Soldaten entwaffnen, als es umgekehrt der Fall ist.
Seit Wochen wächst die Sorge in UN-Kreisen, der Frieden in Sierra Leone könne ähnlich scheitern wie der in Angola, mit der RUF unter Foday Sankoh in der Rolle von Angolas Unita-Rebellen unter Jonas Savimbi als erfolgreiche Saboteure, die sich dank der Einkommen aus der Diamantenförderung alles erlauben können. Die ersten direkten Schusswechsel zwischen RUF und Unamsil gab es am 10. April. Am 25. April erzwangen die Rebellen die Schließung eines UN-Entwaffnungslagers iin der Stadt Mabguraka, drei Tage später gab es Schüsse in der Hauptstadt Freetown, als sierra-leonische Ex-Soldaten versuchten, abrückende nigerianische Ecomog-Einheiten an der Mitnahme von Autos zu hindern. Ab 1. Mai begann die RUF, UN-Einrichtungen in verschiedenen Orten anzugreifen.
Anscheinend hält die RUF nun den Zeitpunkt für günstig, die Autorität der UNO in großem Stil herauszufordern, denn drei Ereignisse haben die Regierung Kabbah geschwächt: Die Ecomog schloss Ende April ihren Rückzug aus Sierra Leone ab, sodass Präsident Kabbah nun ohne seine nigerianischen Beschützer dasteht. Sierra Leones Generalstabschef Maxwell Khobe, ein respektierter ehemaliger Ecomog-Kommandeur aus Nigeria, starb Mitte April. Und der mächtige britische Botschafter Peter Penfold, 1997 bis 1998 Meister obskurer Geheimdienstoperationen zur Rettung Kabbahs, wurde Ende April abberufen. Die sierra-leonische Zeitung Concord Times prognostizierte am 1. Mai einen Machtkampf um den Posten des Generalstabschefs und sprach düster von einer „führungslosen Armee, die Pfeffersuppe trinkt und Putsche ausheckt“.
Je schwächer die Zentralregierung wird, desto mehr ist die UNO gezwungen, in ihre Fußstapfen zu treten. Aber damit wird sie von einer Friedenstruppe zur Kriegspartei.
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