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Krieger im Minirock

Seit 150 Jahren reckt das Hermannsdenkmal bei Detmold sein Schwert nach Westen. Während Deutschlands größte Statue dereinst vor allem ein Booster für regionales Selbstbewusstsein und Tourismus war, ist sie über die bewegten Jahrzehnte immer wieder auch politisch in Stellung gebracht worden – vor allem von rechts

Die Aussicht hat sich ein bisschen verändert, aber Hermann ist auch nach 150 Jahren noch da Foto: Hans Blossey/imago

Aus Detmold Jan-Paul Koopmann

Allein schon dieser Name: Hermann. So heißt der berühmte cheruskische Kriegsherr, seit er als erster Deutscher herhalten muss, als germanischer Stammvater und Identitätsstifter der großen Nation und als Befreier vom römischen Imperialismus. Natürlich kann so einer nicht römisch Arminius heißen, sondern eben Heer-Mann, sozusagen als Berufsbezeichnung. Angeblich hat Martin Luther sich das ausgedacht, aber wer weiß das schon? Heute ist Hermann vor allem für zwei Dinge bekannt. Für eben die gewonnene Varusschlacht gegen die Römer und für sein kolossales Denkmal bei Detmold in Nordrhein-Westfalen. Und das ist gerade 150 Jahre alt geworden.

Bei dieser Zahl muss man allerdings direkt wieder innehalten. Denn klar: Das ist zwar ein recht stattliches Alter, aber doch irgendwie auch nicht. Immerhin ist das Bauwerk einer Schlacht im Jahre 9 nach Christus gewidmet und umgeben von so einem Nimbus sonderbarer Zeitlosigkeit. Es wirkt, als hätte der Hermann einfach schon immer hier gestanden, in heroischer Pose, mit Asterix-Helm – und dem gen Westen zum Himmel gereckten Schwert.

Tatsächlich ist auch am Feierwochenende auf dem Berg mindestens so viel von Germanen die Rede wie vom 19. Jahrhundert, Nationalstaat und Kaiserreich. Zu einem Familienfest hatte man geladen mit Tanz, Musik, Fernsehmoderator Uwe Hübner, einer Nachtwanderung und reichlich „Detmolder Thusnelda“ – einem lokalen, nach Hermanns Frau benanntem Bier. Das Wetter war gut, die Stimmung auch. Nur der eigens aufgestockte Shuttleverkehr kam zwischendurch an seine Grenzen, weil es eben doch sehr voll war.

Germanen sind interessanter als das Kaiserreich, lässt diese Stichprobe zumindest vermuten. Dabei ist die kolossale Statue selbstverständlich ein Kind ihrer Zeit. Eben zumindest auch im Bedürfnis geschaffen, die deutsche Kleinstaaterei abzuwickeln und eine gesamtdeutsche Identität zu begründen. Auch sonst steckt sehr viel Zukunftsgewandtheit in dem Projekt. Denn zumindest das lässt sich zweifelsfrei festhalten: Ernst von Bandel, der 1800 in Ansbach geborene Bauherr, hat ein technisches Meisterwerk vollbracht. Für volle zehn Jahre galt die Statue als höchste der westlichen Welt, bis ihr die Freiheitsstatue in New York über den Kopf wuchs. Die größte in Deutschland ist sie auch heute noch. Zum Vergleich: Die etwa zur gleichen Zeit entstandene „Goldelse“ auf der Berliner Siegessäule misst 8,32 Meter. Die Hermann-Figur ist ohne Sockel 26,57 Meter hoch, allein das Schwert etwa 7.

Dass Bandel über der 40-jährigen Arbeit an seinem Lebenswerk finanziell und kräftemäßig fast zugrunde ging, wird in Detmold auch heute noch honoriert. Auch wenn seine bis dahin konservierte Hütte Ende 2021 abgebrannt ist, gibt es doch einen Gedenkstein für ihn und auch einen würdigen Auftritt in der begleitenden Ausstellung am Besucherzentrum.

Das Schwert gen Westen

Aber zurück zum Hermann nach Detmold. Vom Parkplatz aus steigt man ein paar Meter auf den Berg und guckt dem germanischen Krieger erst mal eine Weile auf den im kurzen Rock verpackten Hintern. Denn der kupferne Hermann interessiert sich weniger für das von hinten annahende Publikum, als für das umliegende Bergland. Und für Frankreich, das irgendwo weit dahinter liegt. „Deutsche Einigkeit, meine Stärke – meine Stärke, Deutschlands Macht“, steht auf dem Schwert. Was Hermann-Fans bis heute als Ausdruck von Freiheitswillen verstanden wissen wollen.

Doch Zeitgeschichte hin oder her: Es ist ein monumentaler Eindruck, dem man sich tatsächlich nur schwer entziehen kann. Kein Wunder, dass bis heute immer mal wieder auch Rechtsextreme hier oben aufmarschieren, um mit leuchtenden Bengalos vor Hermann zu posieren und sich schnell wieder zu verkrümeln. Wie man weiter unten auf den Zufahrtsstraßen sehen kann, hat sich die AfD für die anstehenden Kommunalwahlen in NRW sogar gleich den ganzen Hermann aufs Plakat gedruckt mit der Botschaft „Ich würde AfD wählen“.

Man kann sich die Mühe wohl sparen, die historischen Ereignisse um das Jahr Null unserer Zeitrechnung im Detail mit den Träumen, Wünschen und Blödheiten irgendwelche Rechter zu vergleichen. Vielleicht hat die Vorgeschichte des Denkmals ohnehin die Sphäre der Relevanz hinter sich gelassen. Und ist ins Reich der Mythen auf- und übergegangen. Wer genauer wissen will, was damals los war, kann das im Original beim römischen Geschichtsschreiber Tacitus nachlesen – oder halt in der Wikipedia. Für das Denkmal allerdings ist das aber ehrlich gesagt wurscht.

Und das Interesse lässt auch wirklich nach: Selbst der Schauplatz der Varusschlacht, über den vor wenigen Jahren noch erbittert gestritten wurde, interessiert heute vor allem nur noch das regionale Tourismusmanagement in eben Detmold oder halt Kalkriese bei Osnabrück.

Und darin liegt auch das eigentlich Interessante dieses Denkmals. Weil es trotz seiner vorsätzlichen Bedeutung für deutsche Einigkeit und 2.000 Jahre Geschichte schon zur Eröffnung als Booster für Tourismus und ideelle Bedeutung der Region galt. Den „klassischen Morast“, wie Heine in seinem Wintermärchen spöttisch schreibt, „wo Varus stecken geblieben“.

Am Eröffnungstag 1875 war der Kaiser da mit Tausenden Schaulustigen und einem Anhang aus Promis und Presse. Man hatte die Stadt geschmückt und Souvenirnippes hergestellt und kurz war Detmold so richtig wichtig. Zweifellos ist die Region bis heute vor allem für das Denkmal bekannt, um das nahezu immer irgendwelche Kinder auf Klassenfahrt herumschleichen. 500.000 Be­su­che­r:in­nen pro Jahr zählt man, mit gerade sogar leicht steigender Tendenz dank aufgewerteter Begleitausstellung.

Auch am Montag nach der großen Feier sind längst wieder welche auf dem Berg. Sehr zur Freude der Arbeiter:innen, die hier mit schwerem Gerät noch beschäftigt sind, die Bierbuden vom Wochenende abzubauen. Es geht aber trotzdem gut voran: Nur noch ein kleiner Berg zusammengekarrter Müllsäcke wartet noch auf Abholung und dann wird’s das gewesen sein mit dem Jubiläum.

Man guckt dem germanischen Krieger erst mal eine Weile auf den Hintern. Denn Hermann interessiert sich weniger für das Publikum, als für die Berge. Und für Frankreich, das irgendwo weit dahinter liegt

Feste feiern, wie sie fallen

So wie mit all den mehr oder weniger runden Jubiläen davor. Wobei es sich durchaus lohnt, die früheren Feste nochmal etwas genauer in den Blick zu nehmen. Im Detmolder Rathaus, ein paar Kilometer vom Denkmal entfernt, gibt es eine gute Gelegenheit dazu. Das Stadtarchiv hat hier eine kleine Ausstellung auf die Beine gestellt: „Die Stadt und ihr Denkmal – 150 Jahre Hermannsdenkmal“. Und da ist etwa zu lesen, dass man – von wegen Zeitgeist – zwei Tage vor der Eröffnung des Denkmals schnell noch ein zweites präsentiert: Ein Kriegerdenkmal für den Sieg über Frankreich. Das 50. Jubiläum etwa, im Jahr 1925, stand dann bereits vollständig im Zeichen des aufziehenden Faschismus. Stahlhelm und Jungdeutscher Orden dominierten die Feierlichkeiten und agitierten hier gegen den Friedensvertrag von Versailles.

Noch 25 Jahre später zog gleich wieder ein anderer Revanchismus um den Hermann: Anlässlich des 75. Jubiläums soll Detmolds Bürgermeister Richard Moes (CDU) versucht haben, das Denkmal im Kontext Deutscher Einheit zu präsentieren. Was letztlich daran gescheitert sei, dass die Sause dem Bundespräsidenten und anderen Promis zu heikel war – gerade mal fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs.

Vielleicht kann man sagen, dass der Kult ums Denkmal sich ungefähr hier von der Tagespolitik gelöst hat und in die geschichtswissenschaftliche und eine alltägliche Phase eintrat. Größter Aufreger in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Zum Aufstieg Arminia Bielefelds in die 1. Bundesliga wird dem Hermann (mit einigem Aufwand) ein Trikot des Vereins übergezogen.

Es wird also ruhiger um den Hermann, den bereits erwähnten Ausreißern nach rechts zum Trotz. Und einen gab es auch links: Denn während das Denkmal insgesamt betont unpolitisch verhandelt wurde, erreichte die Junge Linke zum 125. noch einmal bundesweite Szeneaufmerksamkeit. Unter der antinationalen Parole „Den Mythos angreifen – die Sache treffen“ postulierte das Bündnis: „Das Hermannsdenkmal kann, muss und wird gesprengt werden.“ Tatsächlich dürfte es damals zur Jahrtausendwende einige gegeben haben, denen das nationalistische Programm des vermeintlich zeitlosen Klassenfahrtziels plötzlich wieder in den Sinn kam.

Der Kopf hinter dem Kopf: Bildhauer Ernst von Bandel hat das Hermanns denkmal entworfen. Eine Lebensaufgabe Foto: ullstein bild

Zeitalter der Verortung

Heute, ein weiteres Vierteljahrhundert später, gehört die Politik von einst ganz selbstverständlich zum Begleitprogramm der Sehenswürdigkeit. Das gerade erst eingeweihte „Hermanneum“ am Parkplatz etwa macht die konkurrierenden Deutungsversuche sogar zu seinem Kernprogramm: Auf der Leinwand eines 180-Grad-Kinos sitzt hier etwa ein animierter Arminius und kommentiert kopfschüttelnd in traurigen Ton, was man so alles über ihn sagte und schrieb. Eine Postkarte mit der Aufschrift „Wir kämpfen unter Hermanns Zeichen bis alle unsere Feinde bleichen!“ ist dort zu sehen, wie auch die NS-Parole „Macht frei das Hermannsland“.

Und vielleicht sind das sogar die spannendsten Fragen zum 150. Geburtstag Deutschlands größten Denkmals: Wie wirkmächtig sind die behutsam von Ge­schichts­wis­sen­schaft­le­r:in­nen aufbereiteten Fakten in der Masse? Lässt die kritische Verortung im Besucherzentrum irgendwann die martialischen Fußballsticker mit Hermann-Aufdruck vom Klo nebenan verschwinden? Und: Verträgt sich auf Heimatgefühl und Idyll setzendes Regionalmarketing auf Dauer mit dem kritischen Anspruch wissenschaftlicher Begleitung?

Vielleicht muss man nicht bis zum 175. warten, um hier weiterzukommen. Denn bereits im November eröffnet das Lippische Landesmuseum Detmold die Ausstellung „Denk:Mal! 150 Jahre Hermannsdenkmal“, die explizit fragen wird nach Erinnerungskultur, politischen Deutungen und dem internationalen Blick aufs Regionale. Und wenn man schon in der Gegend ist, lässt sich natürlich auch das Monument selbst (neu) anschauen.

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