Krieg im Iran: Auf Israel verlassen oder Teheran verlassen?
Immer mehr Teheraner flüchten vor israelischen Raketen, Chaos und Unsicherheit. Andere vertrauen darauf, dass sie nicht zum Ziel werden.
„Ich versuche nicht an diesen Moment zu denken, als ich meine Pflanzen gegossen habe, mit zu viel Wasser. Dann habe ich mich ein letztes Mal im Haus umgesehen, die Tür abgeschlossen und bin in ein Taxi gestiegen“. Während Maral erzählt, steigen ihr Tränen in die Augen, sie blinzelt. Wir sprechen über Google Meet: Sie ist im Iran, ich in Deutschland. Maral ist 40 Jahre alt. Am zweiten Tag des Krieges zwischen der Islamischen Republik und Israel hat sie die Hauptstadt auf unbestimmte Zeit in Richtung Norden verlassen. Jetzt teilt sie sich ein Haus mit entfernten Verwandten, verfolgt in den Nachrichten die Zerstörung ihrer Stadt.
Unzählige Einwohner sind in den vergangenen Stunden aus der 15-Millionenmetropole mit ihrer Fläche von 615 Quadratkilometern geflohen. Andere haben sich bewusst dafür entschieden, zu bleiben. Wieder andere verfügen nicht über die finanziellen Mittel oder Zweitwohnsitze, um zu fliehen. Viele ältere Einwohner sind zu gebrechlich, um eine endlose und strapaziöse Reise mit unklarem Ziel auf sich zu nehmen.
Noch am Freitag, dem ersten Tag des israelischen Militärangriffs auf Iran, waren viele in Teheran davon ausgegangen, dass Israel keine zivilen Gebiete angreifen würde. Die iranische Regierung gab keine Warnung heraus. Es ertönten keine Sirenen. Es gab keine offiziellen Anweisungen, keine Schutzräume für die Menschen.
Die Islamische Republik folgte dem üblichen Muster: Sie weigerte sich, Verantwortung zu übernehmen, und schien bereit, erneut das Blut von Zivilistinnen und Zivilisten für ihre Propagandamaschinerie zu opfern. So versucht das Regime, die internationale Berichterstattung zu kontrollieren. Trotz der beunruhigenden Geräusche von Bomben, Kampfflugzeugen und Abwehrfeuer und trotz des dichten Rauchs über der Stadt ging das tägliche Leben zunächst weiter, wie gewohnt. Geschäfte, Cafés und Restaurants blieben geöffnet, die Menschen spazierten in den Straßen.
Mahtab Gholizadeh ist ehemalige Stipendiatin des Refugium-Programms der taz Panter Stiftung. In Iran wurde sie für ihre Berichterstattung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Sie lebt nun im Exil in Deutschland.
Knappes Benzin, knappe Lebensmittel
Doch am Montag änderte eine direkte Warnung der israelischen Regierung die Lage. Plötzlich bildeten sich an den Tankstellen kilometerlange Schlangen, die Kraftstoffverteilung kam fast zum Erliegen. Viele Tankstellen gaben an, ihnen sei der Kraftstoff ausgegangen. Innerhalb weniger Stunden wurde das Benzin rationiert: nur noch 15 Liter pro Fahrzeug.
Hintergrund der Engpässe dürften die Angriffe auf das Öllager im Teheraner Stadtteil Schahran und Ölraffinerie in Schahr-e Rey gewesen sein. Durch Israels gezielte Angriffe auf die Energieinfrastruktur drohten weitreichende Stromausfälle und Probleme bei der Lebensmittelversorgung des Landes.
Bald darauf kam der Verkehr in der Hauptstadt zum Erliegen. Wer sich innerhalb der Stadt fortbewegen wollte, stand selbst für kurze Strecken drei bis vier Stunden lang im Stau. Alle Ausfahrten zu den nahe gelegenen Autobahnen waren verstopft. Auch der öffentliche Nahverkehr bietet keine Alternative: In Iran ist er notorisch unterentwickelt und verfügt nicht über die moderne Infrastruktur anderer Hauptstädte. Die meisten Menschen sind auf private Fahrzeuge und informelle Taxinetze angewiesen.
Einige Stunden nach der Warnung Israels, Teheran zu evakuieren, erfasste eine weitere Panikwelle die Stadt – diesmal ausgelöst durch inoffizielle Meldungen aus den USA, in denen die Zivilbevölkerung implizit zur Flucht aufgefordert wurde. Viele Einwohner, die bislang gezögert hatten, beeilten sich nun, leichte Taschen zu packen und zu fliehen. In vielen Haushalten drängten jüngere Familienmitglieder ihre älteren Verwandten – oft die am schwierigsten zu evakuierenden Personen – ebenfalls, die Stadt zu verlassen.
Hoffnung auf Israel
So wie die 70-jährige Homa. Trotz körperlicher Schmerzen und eingeschränkter Mobilität wurde sie von ihren Kindern genötigt, ihr Zuhause zu verlassen. Im Gespräch mit der taz sagt sie: „Dies ist der zweite Krieg, den ich in meinem Leben miterlebe – zuerst der achtjährige Iran-Irak-Krieg und jetzt der Krieg mit Israel.“ Sie fügt hinzu: „Ich glaube nicht, dass Israel unsere Häuser bombardieren wird. Warum sollte ich aus meinem Leben vertrieben werden? Ich habe nur zugestimmt, um die Ängste meiner Kinder zu lindern.“
Homa, 70 Jahre, aus Teheran
Homa gehört auch zu den vielen Iranern, die in die aktuelle Militäraktion einen Anflug von Hoffnung setzen – dass sie zum Sturz der Islamischen Republik führen könnte. „Ich glaube, wenn die Islamische Republik fällt, können wir unsere Städte und Infrastruktur wieder aufbauen. Aber wenn sie an der Macht bleibt, wird der Iran noch weiter zurückfallen.“ Homa ist optimistisch, dass der Krieg schnell, möglicherweise innerhalb von zwei Wochen, beendet sein wird. Mit fester, ruhiger Stimme erklärt sie: „Ich hoffe, dass sich die USA mit Israel verbünden, damit sie endlich Ali Chamenei ins Visier nehmen und uns aus diesem Albtraum befreien können.“
Maziar hingegen weigert sich noch immer, die Stadt zu verlassen. Der taz sagt der junge Mann: „Ich bin fest davon überzeugt, dass die Angriffe Israels gezielt und absichtlich erfolgen. Es gibt keinen Grund, Zivilisten anzugreifen – das würde nur noch mehr Probleme für sie schaffen. Die wahre Gefahr geht von den Führern der Islamischen Republik aus, die sich oft in der Bevölkerung verstecken, um sie als menschliche Schutzschilde zu benutzen und die Kosten der Militäraktion in die Höhe zu treiben. Dennoch halte ich die Wahrscheinlichkeit, getroffen zu werden, für gering.“
Vier Tage nach Beginn der israelischen Militäroperation ist Teheran gespalten: Ein Teil der Bevölkerung hat aufgrund ausländischer Warnungen und des Versagens der offiziellen Systeme die Stadt verlassen. Unter oft schwierigen Bedingungen verstreut suchen sie nun im ganzen Land Schutz. Der andere Teil – darunter politisch bewusste Jugendliche wie Maziar – vertraut auf die Präzision der israelischen Angriffe.
Dennoch ist die Stadt derzeit fast menschenleer. Nur vereinzelt sind Explosionen zu hören, zusammen mit dem Summen der Drohnen. Sonst ist es still.
Aus dem Englischen: Lisa Schneider
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