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Krieg der Widersprüche

Wer hat sich zurückgezogen? Wer hat angegriffen? Sicher ist man in dieser Region nur der Leichenberge und Ruinen

aus Barentu PETER BÖHM

Verrenkte Glieder, verdrehte Hälse. Kopfüber in einen Graben gestürzt. Friedlich, wie zum Ausruhen hingelegt. Oder mit ausgebreiteten Armen auf den Rücken geworfen. Sie liegen schon über eine Woche hier – und sind mittlerweile aufgebläht wie Hefeteig.

„Sie“ – das sind die Soldaten der 22. Brigade der äthiopischen Armee. Besser gesagt, was davon übrig blieb. Ende Mai sollten sie versuchen, das eritreische Städtchen Adi Quala einzunehmen, knapp 100 Kilometer südlich der Landeshauptstadt Asmara. Hier steigt das Land in mehreren steilen Stufen zur zentraleritreischen Hochebene an. Sie hätten mit dem Anstieg ein entscheidendes Hindernis auf ihrem Weg nach Asmara überwunden. Aber die Armee, sagt Hauptmann Tetrie Mehari von Eritreas militärischem Geheimdienst, hat hier den äthiopischen Vormarsch gestoppt.

Ihre eigenen Toten haben die Eritreer natürlich begraben. An dieser Stelle, zu der die eritreische Armee die Journalisten führt, sind nur mehrere Dutzend Leichen zu sehen. Aber über dem gesamten zwei, drei Kilometer langen Weg den Berghang hinab hängt der Gestank der Verwesung. Das zumindest gibt der Behauptung, man habe hier der Hälfte der über 5.000 Soldaten zählenden äthiopischen Brigade den Garaus gemacht, eine gewisse Glaubwürdigkeit.

Eritrea nach dem großen Angriff der Äthiopier: Aufräumen und Aufatmen nach dem Schock, dass die äthiopische Armee an mehreren Stellen die Front durchbrechen konnte. Und vor allem jener Geruch, der zum Himmel stinkt.

Das ist auch nicht anders um Barentu, die Hauptstadt der Provinz Gash-Barka im westlichen Tiefland Eritreas. Die Stadt war vom 12. bis 31. Mai in äthiopischer Hand. Die eritreische Armee behauptet, sie habe sich zunächst etappenweise nördlich von Barentu zurückgezogen, um Verluste zu vermeiden – nicht, weil sie überrannt wurde. „Wir waren sicher, dass wir die Gebiete wieder zurückbekommen“, sagt Brigadechef Oberst Idriss Ahmed. Nördlich von Barentu habe die entscheidende Schlacht stattgefunden. Und weil danach die eritreische Armee die strategischen Punkte außerhalb der Stadt beherrschte, habe Äthiopien – entgegen der Behauptung von dem freiwilligen Rückzug – am 31. Mai aus Barentu abziehen müssen.

Es fehlte die Munition, alle zu töten

Oberst Ahmed war einer der leitenden Offiziere, deren Truppen am 12. Mai überrannt wurden. Jetzt ist er zurück in Barentu. „Sicher hat Äthiopien Territorium gewonnen, aber mit welchen Verlusten!“, sagt er. „Wir haben nicht gegen Waffen gekämpft, sondern gegen Menschen.“ Überrascht habe ihn weniger der Angriff im Westen, als die Tatsache, „wie egal“ es der äthiopischen Führung gewesen sei, wie viele ihrer Soldaten starben. „Es waren so viele“, sagt er, „dass es logistisch schwierig war, genügend Munition zu haben, um sie alle zu töten.“

Sich widersprechende Behauptungen der beiden Seiten sind typisch für diesen Krieg, der nun seit zwei Jahren schwelt. Nie hat einer angegriffen, nie hat einer verloren. Immerhin, eritreische Zivilisten in Barentu bestätigen die Version von Oberst Ahmed, und es erscheint unwahrscheinlich, dass die eritreische Armee so viele Menschen in eine Verschwörung mit einbeziehen konnte. Dennoch beherrscht Äthiopien noch die gesamte Südwestecke Eritreas südlich des Gash-Flussbettes.

Zweieinhalb Wochen äthiopische Besetzung waren für Barentu, was in der Antike ein Besuch der Vandalen gewesen sein muss. Telefon-, Strom- und Wasserversorgung der früher 30.000 Einwohner zählenden Stadt sind zerstört. Vorsätzlich, so scheint es. Die Tankstelle, die Verwaltungsgebäude, die Brücke – gesprengt. Die Gash-Barka-Region ist Eritreas Kornkammer, dennoch war Barentu nicht gerade das Zentrum des Landes. Da war es schon ein Ereignis, als im vergangenen Jahr ein Bauunternehmer hier ein modernes Hotel eröffnete. Heute ist das ein wackliges Gerippe. Es wurde mit mehreren Granaten aus nächster Nähe aus einem Panzer heraus beschossen, heißt es bei der Armee.

Saleh Idriss Mohammed ist einer der wenigen Händler, die noch unter den Arkaden der Hauptstraße herumlungern. Alle Geschäfte sind aufgebrochen, Kleider, Papier und Müll davor verstreut. Nachdem die äthiopische Armee die Stadt aus der Luft und mit Artillerie beschossen hatte, floh Mohammed in die umliegenden Berge. Dort lebte er von wilden Früchten und dem, was andere Flüchtlinge mitgebracht hatten. Wo seine Frau und seine Kinder sind, weiß er bis heute nicht – wie viele in Barentu. Sein Laden, in dem er Gewänder und Tücher verkaufte, ist säuberlich ausgeräumt. Sein Haus durchwühlt und verwüstet. Alles von Wert weggeschleppt.

Verantwortlich für diese Plünderungen, sagt Meleake Gebre Michael, waren äthiopische Zivilisten. Michael ist Bauer und kam zwei Tage vor dem äthiopischen Abzug nach Barentu zurück – „weil ich hier ein Haus habe“, sagt er. Er berichtet – und seine Version der Ereignisse wird von anderen bestätigt, die während der Besatzung geblieben waren –, die äthiopische Armee habe zwanzig Busse mit Frauen, Mädchen und Studenten aus Äthiopien hierher gebracht. Andere seien auf Eseln und Pferden gekommen. „Mit fünf oder sechs Zivilisten kamen jeweils ein paar Soldaten. Ich konnte nichts in meinem Haus retten. Sie haben alles säckeweise weggeschleppt.“

Der Hirte Tesfai Salomon kam schon vier Tage nach Beginn der äthiopischen Besetzung zurück, weil er seine Rinderherde tränken musste. Er ist so wütend, dass er nicht weiß, ob er weinen oder schreien soll. Er berichtet, die äthiopische Armee habe Versammlungen abgehalten, um die zurückgebliebenen Eritreer auf ihre Seite zu bringen. „Sie sagten: Wir werden eine neue Regierung einrichten.“ Mit eritreischen Oppositionellen, die ihr Quartier in Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba aufgeschlagen haben. „Meine persönliche Einschätzung ist, dass das mit der neuen Regierung nur ein Trick war“, sagt Salomon. „Die hatten doch gar nicht den Mut, hierzubleiben. Die Soldaten haben von Anfang an geplündert. Nur darum ging es ihnen doch.“

Nicht viele kehren zurück

Es sind nicht viele, die jetzt nach Barentu zurückkehren. Sie gehen zu den Resten ihrer Häuser, sammeln persönliche Sachen zusammen, ein paar Kleider, Erinnerungsfotos, zumeist eine Plastiktüte voll. Dann machen sie sich wieder auf den Weg dorthin, wo sie als Flüchtlinge untergekommen sind. Leben könnten sie in Barentu sowieso kaum mehr. Die Sorghum- und Hirsevorräte der Bauern wurden von den Äthiopiern auch weggeschleppt.

750.000 Menschen, über ein Fünftel der eritreischen Bevölkerung, sind nach Angaben der UNO durch den Krieg heimatlos geworden. Die meisten von ihnen kommen aus der Gash-Barka-Provinz. Nur rund 120.000 leben in den drei Lagern. Der große Rest kauert an Straßen, Flüssen, unter Bäumen. Dort werden sie von der Regierung und inzwischen auch einigen Hilfsorganisationen notdürftig versorgt. Wenn die Menschen nicht bis zum Beginn der Regenzeit im Juni/Juli nach Hause zurückkehren und ihre Felder bestellen, droht das Land für Monate auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen zu sein.

Und das ist, was man hier am wenigsten will. Schon vor dem Krieg haben bürokratische Gängeleien Nichtregierungsorganisationen aus dem Land vergrault. In Kenia und Uganda, in Äthiopien und Sudan gibt es schon seit Jahrzehnten Flüchtlingslager. In Eritrea jedoch sind Lager auf Dauer, und ausländischer Einfluss ist unerwünscht.

Diese Regierungspolitik scheint auf die Menschen abgefärbt zu haben. Von Dubarwa, einem Vertriebenenlager 30 Kilometer südlich von Asmara, sind am Sonntag schon wieder zwei Busse in Richtung Süden abgefahren. Nach Mai Dima wollen sie, sagen die Frauen darin, jenem kleinen Ort, wo der Vormarsch der Äthiopier im Mai endete. Doch, sie hätten schon gehört, dass alle Häuser geplündert wurden. Trotzdem hätten sie die Verwaltung gedrängt, ihnen Busse zur Verfügung zu stellen – sie würden im Lager verrückt. Nun beschweren sie sich, dass sie für die Fahrt nach Hause bezahlen müssen.

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