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Kreuzberger ProjektKiezläufer können weitergehen

Das Prestigeprojekt des Senats soll um ein Jahr verlängert werden. Auch die Sozialarbeiter in Kreuzberg sind nun dafür - obwohl ihre Arbeit rund um das Kottbusser Tor darunter gelitten hat.

Das umstrittene Kiezläufer-Projekt in Kreuzberg soll um ein Jahr verlängert werden. Am Donnerstag trafen sich die zuständige Staatssekretärin für Stadtentwicklung, Hella Dunger-Löper (SPD), und die Stadträtinnen von Friedrichshain-Kreuzberg, Monika Herrmann (Grüne, Jugend) und Sigrid Klebba (SPD, Finanzen). Die Tendenz des Gesprächs: Es geht weiter. Die derzeit fünf Kiezläufer - zumeist junge Migranten mit kriminellen Vorleben - sind in den Abendstunden rund um das Kottbusser Tor unterwegs, um Kontakte zu Jugendlichen auf der Straße zu knüpfen. Das vom Senat bisher für drei Monate finanzierte Projekt läuft Mitte November aus.

Dunger-Löper bewertet das Projekt dem Vernehmen nach als großen Erfolg. Die Bilanz der Vertreterinnen des Bezirks fällt weniger positiv aus. Trotzdem haben aber auch sie sich für eine Verlängerung ausgesprochen. "Das Projekt jetzt zu beenden hätte im Kiez mehr Schaden produziert als Nutzen", so Herrmann zur taz. Die Kiezläufer müssten in Zukunft aber stärker mit den bestehenden Jugendeinrichtungen vernetzt und entsprechend geschult werden.

Das Prestigeprojekt des Senats ist umstritten, seit der Spiegel im September darüber berichtete. Das Problem: Weder im Bezirksamt noch in den Jugendeinrichtungen des Kiezes rund um die Naunynstraße hatte man von dem Vorhaben gewusst. Als großen Macher des Projekts feierte das Magazin den Mitarbeiter im Referat Soziale Stadt, Ralf Hirsch (SPD) - "die Feuerwehr des Senats". Auch die für das Quartiersmanagement am Kottbusser Tor damals zuständige Koordinatorin Silke Fischer hatte den Bezirk nicht von den Plänen in Kenntnis gesetzt. Fischer ist SPD-Kreisvorsitzende im Bezirk. Beobachter vermuten, dass sich die SPD im grün dominierten Kreuzberg profilieren will.

Es gibt aber noch andere Gründe, warum das Projekt kritisch gesehen wird. Die Mitarbeiter von Jugendeinrichtungen wie der Naunynritze hatten den Eindruck, dass mit Hilfe der Kiezläufer ihre Arbeit schlechtgemacht werden sollte. Motto: "Ihr Sozialarbeiter erreicht die Jugendlichen auf der Straße nicht mehr, ihr seid unfähig."

Dieter Booth, Streetworker beim Sportjugendclub und Kick-Projekt am Mariannenplatz, beschreibt die Stimmung im Kiez so: "Es gibt hier eine neue Qualität von latenter und direkter Bedrohung und Aggression gegen Kollegen." Ein Sozialarbeiter habe unlängst von Jugendlichen zu hören bekommen: "Du bist Deutscher. Du bist hier der Ausländer." Einem türkischen Streetworker seien auf der Straße von einer Gruppe junger Männer die Beine weggetreten worden. Ein anderer Sozialarbeiter berichtet, die Jugendlichen wirkten wie aufgehetzt. Das veränderte Selbstbewusstsein äußere sich in Feststellungen wie: "Du kriegst dein Geld doch nur, weil wir da sind." Er macht dafür nicht die Kiezläufer selbst verantwortlich, sondern die Art, wie das Projekt im Kiez umgesetzt worden ist.

Einer der sechs Kiezläufer ist inzwischen abgelöst worden, weil er ausfällig wurde, als ihm ein Mitarbeiter des Ordnungsamts wegen Falschparkens einen Strafzettel verpassen wollte. "Entweder der Mann geht oder wir steigen aus dem Schulungsprojekt für die Kiezläufer aus", soll die Polizei gedroht haben. Stefan Bonikowski, Präventionsbeauftragter der Polizei, will zu dem Vorfall keine Stellungnahme abgeben. Ganz allgemein kündigt er aber an: "Wenn die Kiezläufer sich nicht so verhalten, wie sie es dürfen, wird sich die Polizei aus dem Projekt rausziehen." Zu der Annahme habe er zurzeit aber keinen Anlass. Im Gegenteil: Es sei "sehr angenehm, mit den Kiezläufern zu arbeiten". Die Schulungen hätten schon einiges bewirkt.

Bonikowski ist dafür, dass das Projekt fortgesetzt wird. So sehen es mittlerweile auch die Mitarbeiter der Naunynritze. Allerdings dürfe es nicht mehr so konfrontativ ablaufen.

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4 Kommentare

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  • SS
    Sabiene Schwele

    Es ist durchaus bekannt das Plutonia Plarre in SO 36 keine Interviews mehr bekommt, weil alle wissen, das Plutonia Plarre keine Artikel schreibt ohne sie mit den Grünen abzustimmen.

    Aber weis Plutonia Plarre, das sie Staatsanwaltschaft gegen Monika Herrmann ermittelt.

  • O
    ohitika33

    gelegentliche Revision in der Naunynritze wäre

    wohl angebracht

  • B
    beobachterin

    Was für ein Artikel! Zu wenig Hintergrundinformation, zuviel Stimmungsmache. Viele Fragen bleiben offen.

    Warum können sich PolitikerInnen, ebenso wenig wie SozialarbeiterInnen nicht eingestehen, dass sie jahrelang die Zukunft der Kinder mit migrantischem Hintergrund, nicht genügend beachtet haben? Zu einer guten Sozialarbeit gehört eine große Portion Selbstkritik und Offenheit für neue Ideen und der damit verbundenen Chancen.

    Jeder der in Kreuzberg arbeitet und wohnt kennt die Probleme im Kiez. Diese zu kennen und nur zuzuschauen ist das Eine aber eine junge Generation im Stich zu lassen, eine ganz Andere.

    Es gibt in Berlin einige Kiezläufer- und Streetworkerprojekte, die sich seltsamerweise nicht ständig rechtfertigen müssen. Also warum sind alle bei diesem Projekt so aufgescheucht? Waren die Probleme etwa vor den Kiezläufern nicht da? In vielen Jugendprojekten setzt man auf die so genannten ?Schlüsselpersonen? aus dem Milieu, um tatsächlich die Zielgruppe zu erreichen. Nichts Neues in der Sozialarbeit. Also liegt es gerade in Kreuzberg etwa daran, dass ein migrantischer Verein das Projekt durchführt? Wie oft unterstellen die intellektuellen Kreise den MigrantInnen, nicht fachlich qualifiziert zu sein?

    Oder liegt es vielleicht daran, dass ein Quartiersrat, zusammengesetzt aus BewohnerInnen aus dem Kiez, der sich der Probleme annimmt und sich stark engagiert, das Projekt im Alleingang bewilligt hat? Ich kann nur hoffen, dass die Verantwortlichen ihre Machtfragen über Gelder und Entscheidungen nicht, über dieses Projekt austragen. Es geht um Kinder und Jugendliche, die ein Recht auf eine bessere Zukunft haben.

    Für alle, die sich mit dem Thema Quartiersmanagement und Quartiersrat beschäftigen, sei empfohlen das Konzept der Sozialen Stadt genauer durchzulesen.

    Frau Plarre, wie gesagt Sie lassen zu viele Fragen offen in Ihrem Artikel.

  • E
    eichborn

    Frau Hecker alias Plarre trägt nicht zur Meinungsbildung bei, sie macht Meinung.

    Das wirklich gravierende ist an dieser Form von Berichterstattung, das es ihr genauso wie Ihrer Busenfreundin Monika Herrmann nicht darum geht, die Situation der Jugendlichen zu beschreiben. Es geht ihr auch nicht darum, dass das Jugendamt ein großes Haus , die Naunynritze unterhält mit 9 bezahlten Mitarbeitern. Es hat kaum einer mehr Kontakt zu den Jugendlichen. Das Haus selber ist vergeben an Künstlergruppen aus ganz Berlin, den Jugendlichen steht der Hof, das Cafe und die Straße zur Verfügung. Hausverbote über 4 Jahreszeiten haben dazu geführt, das selbstverständlich die Brüder, Schwestern, Cousinnen und andere Verwandte das individuelle Hausverbot zu ihrem eigenen gemacht haben. Die Erzieher und Sozialarbeiter haben sich eingeigelt. Machen Reisen mit Jugendlichen aus anderen Bezirken, machen Filme was mehrmonatige Auslandsaufenthalte benötigt. Schmeißen die Jugendlichen aus Räumen raus, da für den Schnitt des eigenen Films und für Videoaufnahmen von professionellen Musikgruppen (natürlich gegen ordentlicher Bezahlung) Raum für den Filmemacher benötigt werden.

    Der Kontakt ist wirklich verloren, die Schulabschlüsse der männlichen Jugendliche wird immer erschreckender. Das Ergebnis: Da wagt ein Quartiersrat einen mutigen Schritt in die richtige Richtung und Frau Hecker mit Frau Herrmann kriminalisieren, verunklimpfen die Jugendlichen und Projektteilnehmer. Was ist aus den Grünen geworden???