Kreuzberger Drogenszene: Das Kottbusser Tor unter Druck
Der Streit über die Junkies am Kotti spitzt sich zu. Im toleranten Kreuzberg will niemand einen Druckraum beherbergen. Auch die Hausgemeinschaft von Cem Özdemir lehnt ab. Anwohner laden zur Diskussion.
Die Bürgerinitiative für ein drogenfreies Kottbusser Tor lädt am Freitagabend zur Diskussion in den Festsaal Kreuzberg. Bezirksbürgermeister Franz Schulz hat bereits zugesagt. Auch die Direktkandidaten im Bezirk, Christian Ströbele (Grüne) und Björn Böhning (SPD), wollen nach Angaben der Veranstalter kommen. Die Moderation übernimmt der Grünen-Bundesvorsitzende und Anwohner
Cem Özdemir.
Ort: Skalitzer Straße 130,
Beginn: 27.2.2009, 19 Uhr
Cem Özdemirs Wohnhaus bleibt clean. In dem Gebäude in der Nähe des Kottbusser Tors, wo der Bundesvorsitzende der Grünen lebt, wird der Verein Fixpunkt keinen Druckraum einrichten. Die links-alternative Hausgemeinschaft lehnt das ab. "Ich habe mit den Mietern und Eigentümern geredet. Wir sind uns einig: In einem Wohnhaus ist so ein Druckraum fehl am Platz", erklärt ein Sprecher. "Man kann eine solche Einrichtung nur im Einvernehmen mit den Anwohnern etablieren", sagt Bezirksbürgermeister Franz Schulz, ebenfalls ein Grüner. Damit ist der Vorschlag vom Tisch. Und Schulz muss weitersuchen.
Wohin mit den Junkies? Ende März soll die Fixerstube, in der sich die Abhängigen unter hygienischen Bedingungen einen Schuss setzen können, aus der Dresdner Straße ausziehen. Der Vermieter hat gekündigt. "Wir schauen seit einem Jahr nach einem neuen Ort", berichtet Schulz. Selbst im toleranten Kreuzberg sind die Berührungsängste groß. Die Suche gestalte sich als extrem schwierig. "Sobald Vermieter hören, worum es geht, machen sie dicht."
Seit Jahrzehnten treffen sich Junkies und Dealer am Kottbusser Tor. Mehrere hundert Drogenkonsumenten kreuzen täglich hier auf, schätzt Astrid Leicht, Geschäftsführerin von Fixpunkt. Mitte der 90er-Jahre seien es noch mehr gewesen. Im vergangenen Jahr wurde das Parkhaus an der Skalitzer Straße, in das sich oft Junkies zurückzogen, verschlossen. Vor einigen Hauseingängen schieben inzwischen Security-Leute Wache. Beides führt dazu, dass die Junkies stärker auf die Straße drängen.
Lange arrangierten sich die Menschen am Kotti mit der Szene. Inzwischen beschweren sie sich lauthals. Ende 2008 schrieben die Gewerbetreibenden einen offenen Brief an den Bezirksbürgermeister. Anwohner gründeten eine Bürgerinitiative für ein drogenfreies Kottbusser Tor. "Die Eltern sorgen sich um ihre Kinder. Sie haben eine große Wut", erzählt der Sozialarbeiter Ercan Yasaroglu, der die Aktionen von Anfang an begleitete. Er warnt: "Wenn die Politik nicht bald etwas unternimmt, üben die Anwohner Selbstjustiz."
Blutspritzer
Das quer über die Adalbertstraße gebaute "Neue Kreuzberger Zentrum" ist mit seinen verwinkelten Gängen wie geschaffen für den Drogenkonsum. Im ersten Stock hängt beißender Uringeruch in der Luft. Hinter einer Betonsäule leuchtet ein weißes Taschentuch auf dem Boden. Frische rote Blutspuren sind darauf. Daneben liegt eine Spritze.
"Einmal habe ich einen Toten gefunden, gleich hier bei unserem Eingang", erzählt Renée Abul-Ella von der Beratungsstelle für arabische Familien im ersten Stock. Vor zwei Wochen habe ein Bewusstloser auf der Treppe gelegen. Die kleine Frau winkt genervt ab. "Die Belastung ist zu groß. Wir ziehen bald weg."
Vor einem Treppenaufgang stehen breitbeinig zwei junge Migranten, sie reden halblaut mit einem blonden Mädchen. Einer zückt seinen Geldbeutel. "Dealer, die sieht man hier ständig", sagt Erdem Yilmaz*. Seit drei Wochen engagiert er sich in der Bürgerinitiative. Schon jetzt liegen seine Nerven blank. Wenn er durch das Neue Kreuzberger Zentrum läuft, zieht er die Kapuze tief in die Stirn. "Letztens habe ich Flugblätter verteilt. Ein Dealer hat mir gedroht, ich soll das lassen." Dann kochte auch noch die Geschichte mit seinem Haus hoch. Yilmaz ist ein Nachbar von Cem Özdemir. Beide leben in dem einst von Einwanderinnen besetzten Gebäude. Im Erdgeschoss ist derzeit ein Café untergebracht, es gehört zur kurdischsprachigen Moschee im ersten Stock. Die wird bald ausziehen: Die Hausgemeinschaft hat die Moschee rausgeklagt, auch wegen der lauten Gebetsrufe.
"Das Haus wäre gut geeignet für den Drogenkonsumraum, es liegt auch nah genug am Kottbusser Tor", befand Schulz - zum Ärger der Bewohner. So wurde der Streit über die Junkies zum Streit zwischen Grünen. "Es muss eine Lösung unter Einbeziehung der Anwohner gesucht werden", entgegnete Özdemir. "Wie kann Herr Schulz unsere Adresse öffentlich machen?", regt sich Yilmaz auf. Er sorgt sich um die Sicherheit seiner Familie. Jemand habe die Scheibe an der Eingangstür eingeschlagen.
Schulz hatte schon im Dezember zum runden Tisch geladen. Am 4. März will er sich wieder mit Gewerbetreibenden, Anwohnern und anderen treffen. Geht es nach ihm, soll der Druckraum vergrößert werden und längere Öffnungszeiten bekommen. Zurzeit können die Junkies zwischen 13 und 17 Uhr konsumieren. "Es wäre auch sinnvoll, einen Treff für die Trinkerszene anzubieten, um den öffentlichen Raum zu entlasten", sagt Schulz.
Er glaubt zudem, dass man mit den Junkies Regeln verabreden kann. "Sie sollen ihre Spritzen nicht irgendwohin werfen und die U-Bahn-Zugänge zustellen." Den Vorschlag des Quartiersrats, Container für die Fixer auf der Verkehrsinsel aufzustellen, weist Schulz zurück.
Könnte der Bezirksbürgermeister seine Ideen umsetzen, würde das die Lage möglicherweise entspannen. Doch noch gibt es keinen Ort für einen neuen Trinkertreff - geschweige denn für den Druckraum. Muss die Fixerstube schließen, halten sich bald noch mehr Junkies auf der Straße auf.
"Wenn der Laden hier dichtmacht, muss ich in die City-Toilette ausweichen", sagt ein junger Mann mit ordentlich zurückgegeltem Haar. Er hat gerade den Druckraum verlassen. Fast täglich komme er aus Ahrensfelde an den Kotti, um Opiate oder Kokain zu nehmen. "Der Druckraum ist für mich ein Schutz. Falls ich mal umkippe, ist jemand da." Er verstehe, dass die Anwohner genervt seien. "Aber dass die uns als Abschaum darstellen, finde ich nicht in Ordnung. Die sind doch selbst sozial ganz unten, zu 80 Prozent Alkoholiker." Er ist überzeugt: "Die Szene am Kotti werden sie nicht kaputt machen können."
Die Bürgerinitiative würde den Druckraum am liebsten an den Ostbahnhof oder an das Gleisdreieck verlegen. "Da leben nicht so viele Kinder und Jugendliche", erklärt Yilmaz. Viele Anwohner kritisieren, dass die Fixerstube Junkies erst anziehe. Astrid Leicht vom Fixpunkt sieht das anders. "Die Konsumenten sind mehrheitlich aus Kreuzberg und Neukölln. Die wollen im Kiez bleiben." Leicht hat Sorge, dass die Situation eskaliert. "Ich hoffe, dass die Initiative nicht von Kräften überrollt wird, die uns hier nur weghaben wollen."
Bereits jetzt schlagen die Wogen hoch. Etwa beim Treffen der Bürgerinitiative am Dienstag im Neuen Kreuzberger Zentrum. Als mehrere Männer bemerken, dass auch zwei Vertreter von Fixpunkt erschienen sind, verlassen sie aufgeregt den Raum.
Junkies und Yuppies
Eine unübersichtliche Gemengelage, doch das Treffen wird fortgesetzt. Ercan Yasaroglu und seine Mitstreiter wollen sich an diesem Abend mit linken Aktivisten verständigen. Einige hatten bei einer Demonstration der Initiative am vergangenen Samstag gegen deren Forderungen protestiert. Sie befürchten eine Verdrängung der Ärmeren aus dem Kiez. "Junkies bleiben, Yuppies vertreiben", so ein Slogan.
Ein Mädchen mit blonden Rastahaaren und ein Bärtiger in schwarzer Latzhose sitzen mit am Tisch. Der Mann sagt, er spreche nicht für die linken Aktivisten. Eine Botschaft hat er aber doch: "Es gibt eine breite Solidarität mit den Drogenkonsumenten am Kottbusser Tor. Wenn ein paar Hitzköpfe die vertreiben wollen, wird hier was passieren."
Er schlägt vor, das Kottbusser Tor autofrei zu machen. "Es werden schließlich mehr Kinder von Autos angefahren als von Spritzen verletzt", polemisiert er. Einen kleinen Migranten mit Glatzenansatz hält es kaum auf dem Stuhl. "Müssen sich erst Kinder verletzen?" Ercan Yasaroglu hebt beschwichtigend die Hände. "Wir wollen uns nicht anschreien."
An diesem Abend wird keine Lösung gefunden. Aber man hört sich zu, immerhin. Später treten sie hinaus auf den dunklen Gang. Vor der Tür liegt in einem Blumenbeet ohne Blumen wie hindrapiert eine frische Spritze.
*Name geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Auf dem Rücken der Beschäftigten