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Krawalle in TunesienTote und Verletzte bei Unruhen

Die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen ist in dem nordafrikanischen Land extrem hoch. Proteste gegen ihre ausweglose Lage schlägt das Regime mit harter Hand nieder.

In den Urlaubsorten zeigt sich die Schere zwischen arm und reich besonders deutlich. Bild: imago/jochen tack

MADRID taz | Seit Tagen gehen in verschiedenen tunesischen Städten meist junge Menschen auf die Straße. Sie fordern "Arbeit und ein menschenwürdiges Leben". Die Protestwelle nahm ihren Ausgang in Menzel Bouzayane, einem 19.000-Einwohner-Ort in der Provinz Sidi Bouzid im Zentrum des Landes.

Am 17. Dezember beschlagnahmte die örtliche Polizei den Wagen und die Ware des fliegenden Händlers Mohamed Bouazizi. Der 26-jährige arbeitslose Hochschulabgänger versuchte mit dem Gemüsehandel seine Familie zu ernähren.

Die Region von Sidi Bouzid ist eine Landwirtschaftsregion. Die Jugendarbeitslosigkeit ist hier extrem hoch. Verzweifelt verlangte Bouazizi die Herausgabe seiner Habseligkeiten. Die Behörden weigerten sich. Bouazizi übergoss sich mit Benzin und zündete sich an. Dabei schrie er immer wieder: "Schluss mit der Armut! Schluss mit der Arbeitslosigkeit!"

Während Bouazizi mit schweren Brandverletzungen in ein Krankenhaus in der Hauptstadt Tunis überführt wurde, wo er später starb, kam es in seinem Heimatort zu einem spontanen und friedlichen Sit-in. Die Polizei löste die Versammlung gewaltsam auf. Am 22. Dezember folgte der zweite Selbstmord eines arbeitslosen Hochschulabgängers. Der Jugendliche bestieg unweit von Sidi Bouzid einen Hochspannungsmast. Auch er rief Parolen gegen Armut und Arbeitslosigkeit, bevor er an ein Kabel fasste und durch einen elektrischen Schlag zu Tode kam.

Den Höhepunkt der Proteste bildete eine Demonstration am vergangenen Freitag in Menzel Bouzayane. Mehrere tausend Menschen zogen durch die Straßen. Die Polizei umstellte den Ort und griff den Protestzug mit Tränengas an. Die Demonstranten antworteten mit Steinen. Als die Polizisten das Feuer mit Schusswaffen eröffneten, eskalierte die Situation.

Ein Demonstrant soll getötet, zehn zum Teil schwer verletzt worden sein. Auch zwei Polizisten sollen schwer verletzt worden sein. Die Staatsgewalt habe "in legitimer Selbstverteidigung" gehandelt, erklärte das Innenministerium.

Laut dem oppositionellen Radiosender Kalima haben die Proteste mittlerweile auf mindestens ein halbes Dutzend weitere Städte übergegriffen. In allen Fällen soll die Polizei mit Gewalt eingeschritten sein. Die legale, oppositionelle Demokratisch Fortschrittliche Partei (PDP) verurteilte in einen Kommuniqué den Polizeieinsatz und erklärte sich solidarisch mit "einer Jugend, für die Leben und Tod das Gleiche sind".

Selbst der Vorstand der systemtreuen tunesischen Gewerkschaft UGTT spricht sich gegen "den Einsatz der Sicherheitskräfte gegen spontane Ereignisse" aus und fordert "einen ernsthaften und konstruktiven Dialog".

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9 Kommentare

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  • M
    Mahmoud

    warum wird diese bürger bewegung vom Deutschen Regierung und Medien nicht wahrgenommen wird.

    Menschen werden geschlagen und hintergitter geschmissen nur weil sie gegen die diktatur des Presidenten demonstrieren.

  • HE
    Hans Eduard v. Lorenz

    As Salamu Aleikum leibe Leserinnen und Leser.

     

    Bekannt ist mir das erschreckende Ereignis von meinen Freunden geworden, die kürzlich in Tunesien waren. Auf Youtube kann man einige Videos sehen, aus denen man die Greueltaten sehen kann.

     

    Tunesien ist ein schöner Urlaubsort -so kennt man das Land. Nur was läuft denn eigentlich im Land ab?!

     

    Es ist einfach nur eine Sauerei, wie das Regime mit den Bürgern umgeht! Es darf und kann nicht sein, dass dort Diktatur herrscht. Von wegen Demokratie.....

     

    Ich fühle mit den Angehörigen der Opfer mit und hoffe, dass die Leute mehr und mehr gegen diese Teufels auf die Strasse gehen. Jedes weitere Opfer wird inshallah für seine guten Taten bei Allah belohnt!

  • F
    Faouzi

    Es handelt sich hier nicht um bloße "Unruhen", vielmehr geht es um einen Volksaufstand gegen ein diktatorisches Regime, das vom Westen kreiert und unterstützt ist trotz langjährigen Proteste und Bewegungen von tunesischen sowie ehrlichen westlichen Menschenrechtlern und freien Journalisten. Die zahl der politischen Gefangenen in Tunesien ist erschreckend hoch, viele Inhaftierten sind unter mysteriösen Umständen gestorben bzw. getötet, freie Meinungsausserung ist immer noch ein Fremdwort und wer sich was traut, muss mit polizeilicher Gewalt und Demütigungen rechnen. Die EU betrachtet Tunesien allerdings als Musterland für die Region. Man wollte die Demokratie per Gewalt globalisieren z.B im Falle Irak & Afghanistan aber treue Regime wie in Tunesien und Egypten werden verschont, sogar mit dem Schweigen unterstützt. Wie können wir dann diese Politik des Wegschauens ändern? Wie kann man z.B in Deutschland die Medien dazu bewegen solche Ereignisse auch im Vordergrund auszutragen statt erfundener Probleme wie Kopftuchstreit und Moscheenbau.

  • WB
    Walther Brooks

    Es ist schrecklich! Ich habe mir die Weihnachtstage den Bauch vollgeschlagen, und noch gedacht: "Komisch, seit Tagen nichts neues in den Nachrichten, außer Verkehrschaos".

    Das uns ein derartiges geschehen, wie es in Tunesien gerade stattfindet, entgeht! Und wir reden über das Wetter! In der Tat seltsam. Al-Gazira berichtet natürlich über das geschehen.

    Auch die Auswärtige Amt gibt keine warnung heraus. Nichts, als ob gar nichts geschehen wäre.

    Aber Tunesien ist nicht deutschland, oder? Aber, es gibt parallelen, auch im tunesischen Fernsehen kommt Tag ein Tag aus nur eines: Fussball.

  • MS
    Makram Sassi

    Danke Reiner Wandler!!!!

  • H
    hammouda

    Schade dass es dem Westen so ein Geschehen gleichgültig ist, natürlich bis auf ein paar ehrliche helle Köpfe. Tunesien ist glaube ich das 2. oder 3. Urlaubsziel der Europäer, das Land leidet immer noch unter den Folgen der Kolonialzeit (z.B. die Partei, die seit der schein Unabhängigkeit an der Regierung ist, ist erbe des französichen Regime)und trotzdem es ist merkwürdig ruhig, weit und breit keine Spur von einer anstängigen Aufklärung über das Geschehen.

    Tunesien ist in 2 bis 3 Stunden erreichbar, die rede ist von den fast Nachbarn neben an !!!!

    Als Vergleich, damals hat man wegen dem Geschehen im Tibet fast auf jeden Sender was zu sehen bekommen, nur weil China dem Westen nicht unbedingt der Beste freund ist.

    Das Regime in den meisten Diktaturstaaten werden vom Westen Direkt od. Indirekt unterstützt. Es sichert machtposition und vor allem Resource-quellen, es ist einfacher dreckige Geschäfte mit dreckige korrupte Verantwortliche zu machen.

  • K
    komor

    Danke Danke Herr Wandler,weiter so.

  • DH
    Doris Hornung

    Rainer Wandler!

    Ich danke Dir ganz herzlich für den ersten Bericht in der bundesdeutschen Presse!

    Im Laufe des heutigen Tages haben sich die Proteste auf zahlreiche tunesische Städte augeweitet: In ganz Tunesien haben Soldaritätskundgebungen für die Bevölkerung von Sidi Bouzid stattgefunden. Es waren aber auch sehr, sehr deutliche Stimmen gegen Ben Ali und seine "Familie" zu hören.

    Tunesien ist aufgewacht!

    Die tunesischen Aktivisten organisieren sich sehr stark über soziale Netzwerke. Die neuesten Nachrichten (leider nur sehr wenige auf Deutsch)gibt es auf Twitter hashtag #sidibouzid

    Die Bewegung hat jede Unterstützung verdient!

  • M
    Marion

    Ich bin entsetzt über die Ereignisse in Sidi Bouzid und das Vorgehen der Polizei!!!!

    Es gibt viele sehr gut ausgebildete junge Menschen in Tunesien aber leider finden sie keine Arbeit!

    Die Proteste sind deshalb mehr als verständlich....

    Ich bedaure sehr das diese Unruhen in Deutschland kaum wahrgenommen werden ude es keinerlei Unterstützung für die Menschen gibt