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Krawalle im französischen NantesSchuss hat sich versehentlich gelöst

Der Polizist, der in Nantes einen 22-Jährigen erschossen hat, hat gelogen: Es sei keine Notwehr gewesen, sagt er nun. Die Ausschreitungen halten an.

Menschen protestieren in Nantes, nachdem ein 22-Jähriger durch die Waffe eines Polizisten starb Foto: ap

Paris taz | Vor dem Untersuchungsrichter hat ein französischer Polizeibeamter schliesslich gestanden, in seiner ersten Aussage zu dem tragischen Zwischenfall am Dienstag gelogen zu haben: Es sei keine Notwehr gewesen, wie der Angehörige der Ordnungstruppe CRS nun einräumte, als er bei einer Personenkontrolle im Quartier Le Breil von Nantes einen Schuss aus seiner Dienstwaffe abgab, die einen jungen Mann tödlich verletzte.

Es sei ein Versehen gewesen, das er zutiefst bedaure, teilte der Anwalt des Polizisten am Freitagnachmittag den Medien mit. Sein Mandant habe jetzt erklärt, dass er versucht habe, den am Steuer seines Fahrzeugs sitzenden 22-jährigen Abubakar Fofana am Arm festzuhalten, dabei sei der Schuss aus der Waffe in der anderen Hand losgegangen.

Der Tod des jungen Quartierbewohners löste in Nantes schwere Krawalle aus. In vier aufeinanderfolgenden Nächten kam es zu Straßenschlachten zwischen aufgebrachten Jugendlichen und der Polizei. Zahlreich Autos, Geschäfte sowie öffentliche Einrichtungen wie eine Schule und eine Bibliothek wurden in Brand gesteckt.

In der Nacht auf den Freitag dehnten sich diese gewaltsamen Proteste auf weitere Quartiere der westfranzösischen Stadt an der Atlantikküste aus. Auch in der Nacht zum Samstag brannten der Nachrichtenagentur AFP zufolge wieder Autos in verschiedenen Stadtvierteln. Die Polizei sei von aufgebrachten Randalierern mit Brandsätzen beworfen worden und habe im Gegenzug Tränengas eingesetzt.

„Die Polizei tötet“

Am Donnerstagabend war auf Wunsch der Familie des getöteten Abubakar Fofana ein Trauermarsch zunächst in Ruhe und Würde verlaufen. Doch am Ende des Umzugs forderten jugendliche Demonstranten lautstark „Wahrheit für Abubakar“.

Sie riefen Slogans wie „Police partout, justice nulle part“ (Polizei überall, Gerechtigkeit nirgendwo) gegen die Polizei, die sie für die Spannungen und ein Klima der Repression verantwortlich machen. Am Ort des Geschehens haben Unbekannte auf eine Mauer anklagend gesprayt: „La police tue“ (Die Polizei tötet).

In einer ersten Darstellung hatten die Beamten angegeben, der steckbrieflich wegen bandenmäßigen Diebstahls gesuchte junge Mann habe eine falsche Identität angegeben und zu flüchten versucht, sein Auto sei ebenfalls im Zusammenhang mit Drogendelikten zur Fahndung ausgeschrieben gewesen.

Als er sich dann im Rückwärtsgang habe der Festnahme entziehen wollen, habe er einen Polizeibeamten gerammt und leicht verletzt. In dieser Situation einer akuten Bedrohung habe ein Kollege aus „Notwehr“ einen einzigen Schuss abgegeben, der den Mann am Steuer unbeabsichtigt tödlich am Hals verletzt habe.

Definition von Notwehr

In verschiedenen Medien erklärten Zeugen, sie hätten keinen Polizisten hinter dem Auto gesehen, der bedroht oder angefahren worden sei. Auch sei der Schuss ohne jede erkennbare Vorwarnung gefallen. Damit stellte sich die Frage der „Verhältnismäßigkeit“ bei der Reaktion des Beamten.

Im letzten Jahr war die Definition der Notwehr im Dienst auf dringenden Wunsch der Polizisten erweitert worden. Anlass dafür waren nicht nur die terroristische Attentate, denen die Ordnungshüter speziell ausgesetzt sind, sondern auch gewaltsame Angriffe auf Beamte durch kriminelle Banden in bestimmten Quartieren, in denen so etwas wie ein Krieg mit den Gesetzeshütern um die Kontrolle des Reviers herrscht.

In der Folge der Änderung hat der Einsatz der Waffen 2017 im Vergleich zu 2016 um 54 Prozent zugenommen. Jeden einzelnen Fall prüft zuerst die zuständige Polizeiinspektion und gegebenenfalls die Justiz. Gegen den Beamten, der in Nantes den Tod eines flüchtenden 22-Jährigen zu verantworten hat, läuft eine gerichtliche Voruntersuchung.

Den unvermindert aufgebrachten Kameraden des Toten genügt die Zusicherung der Bürgermeisterin Johanna Rolland, sie werde für eine vollständige Aufklärung bemüht sein, nicht. Auch ihr privates Fahrzeug ging in der Nacht auf Freitag in Flammen auf. In Nantes befürchtet man weitere Krawalle, und in Frankreich erinnert man sich bange an die landesweiten Unruhen in Banlieue-Siedlungen von 2005.

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3 Kommentare

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  • Ich glaube dass der Polizist sich nur rausreden will. Für mich war es eiskalter Mord und der betreffende Beamte sollte dafür angeklagt werden. Ein Schuss löst sich nicht so einfach aus der Waffe, man muss schon ein klein wenig Kraft aufbringen und den Druckpunkt oder Widerstandspunkt der Waffe überwinden.



    Zeugen belegen dass sich kein Polizist hinter dem Auto befunden hätte.



    Also kann man annehmen daß die gesamte Polizei dort versucht sich da rauszureden.



    Es ist so wie in vielen Fällen. Unsachgemäßes Vorgehen der französischen Polizei.

  • 9G
    98589 (Profil gelöscht)

    Sind alle total verrückt? Sieht so aus.

  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Es handelt sich hier weder um eine revolutionäre Situation noch um einen Rassenaufstand, das sind nur Vorwände, um kriminelle Banden vor dem Polizeizugriff zu bewahren. Revolutionäre zünden keine Schulen an! Das sind alles Signale an den Staat:" Haltet euch hier raus, die Gesetze hier machen wir."



    Wenn Polizisten mit Steinen beworfen werden, wenn Notärzte zusammengeschlagen und beraubt werden, wenn Feuerwehrleute am Löschen gehindert werden und nur unter Polizeischutz, Menschen und Sachen aus den Flammen retten können, kann es schon mal passieren, dass ein Beamter überempfindlich reagiert.