Krawalle auf der Hamburger "Schanze": Jagen und Prügeln als Ausnahme
Sogar Autonome hatten an die Szene appelliert: Bitte diesmal keine militanten Auseinandersetzungen! Trotzdem kam es nach dem Straßenfest im Hamburger Schanzenviertel wieder zu Krawallen.
![](https://taz.de/picture/298488/14/schanze2_f.20100905-13.jpg)
HAMBURG taz | Die Bewohner des Hamburger Schanzenviertels hatten sich sehr gewünscht, dass es im Anschluss an das diesjährige Schanzenfest zu keinen Ausschreitungen wie in den Vorjahren kommt. Sogar Autonome hatten in Anrufen an Akteure aus der Szene appelliert, das Fest für keine "militanten Auseinandersetzungen" zu nutzen, da dies "ein falsches politische Signal" sei. Dennoch ist es aufgrund von überwiegend Krawalltouristen - jugendliches Partyvolk mit Spaß an Gewalt - am Samstag zur Randale gekommen. Dabei ging die Polizei mit Wasserwerfern gegen Randalierer vor. Insgesamt 42 Personen wurden festgenommen, vier Beamte seien leicht verletzt worden, sagte eine Polizeisprecherin.
Zuvor hatten den Tag über nahezu 10.000 Menschen vor einer Bühne des autonomen Stadteilzentrums Rote Flora gefeiert, auf der der Spruch "Schwarz-kotz-grün, die Flora bleibt rot" zu lesen war oder waren entlang von Essens-, Getränke- und Flohmarkt-Ständen durch die Straßen des Viertels flaniert. Dort hingen Transparente aus den Fenstern wegen der Vorjahreskrawalle: "Geht woanders spielen" und "Hab ihr kein eigenes Viertel". In den Abendstunden endete das Szene-Event mit einer Kissenschlacht.
Etwas später entzündete eine Gruppe Berliner Autonomer nahe der Roten Flora einen Müllberg. Hamburger Autonome griffen ein - Vermummte löschten den Müll, was die Berliner empörte: "Wieso mischt Ihr euch ein?", entrüstete sich der Sprecher der Gruppe: "Was soll der Scheiß, hier Polizeirandale zu provozieren, das ist im Viertel nicht gewollt", bekam er zur Antwort. "Ihr habt doch keine Ahnung von den politische Verhältnissen in Hamburg". Der Berliner erwiderte: "Wir sind deswegen 500 Kilometer gefahren - zu welchen Block gehört ihr denn eigentlich". Antwort: "Wir machen autonome Politik für den Stadtteil."
Auch andernorts steckten Leute einen Müllcontainer in Brand - auch dort griffen Anwohner sofort ein, attackierten die Zündler und sorgten für ein kontrolliertes Ausbrennen. "Kein Feuer in meinem Viertel". Bis dato griff die Polizei - anders als früher - nicht ein.
Aber dann kam es doch noch zur Eskalation: Eine Gruppe von 300 Jugendlichen bewarf Polizisten mit Steinen und Flaschen "Wir hofften lange, dass es den Anwohnern gelingt, Krawall-Aktionen zu verhindern. Von den gelöschten Bränden wussten wir", sagt später ein Polizeiführer der taz. "Aber nun mussten wir einschreiten."
Mit sieben Wasserwerfern und starken Kräften ging die Polizei nun gegen Jugendlichen vor und räumte nun infolgedessen die gentrifizierte Piazza gegenüber der Roten Flora - auch "Ballermann-Boulevard" genannt - trieb die Pistengänger mit Wasserwerfern in die Seitenstraßen ab. Mehrere Stunden standen sich Polizei und Randalierer an mehreren Punkten gegenüber, Flaschenwürfe wurden mit Wasserfontänen beantwortet. Mehrere Stunden musste der S-Bahn-Verkehr eingestellt werden, aus Sorge, Menschen könnten über die Gleise laufen. Insgesamt waren 2.000 Polizisten im Einsatz.
Währenddessen zogen kleine Trupps durch das Viertel, warfen Scheiben eines Modegeschäftes, von zwei Supermärkten und zwei Polizeifahrzeugen ein. Die Scheibe einer Bank hielt einer Steinwurf-Attacke stand. Auch ein ausgebranntes Auto soll auf das Konto der Randalierer gehen, was im benachbarten Karolinenviertel geparkt war.
Dennoch war die Intensität dieser Krawalle, was Dauer und Härte angeht, geringer als die der Vorjahre, als Barrikaden errichtet, mehrere Auto angezündet oder demoliert worden waren und es viele Verletzte gegeben hat. Und auch die Polizei ging deutlich behutsamer vor - Jagd- und Prügelszenen waren die Ausnahme.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Trump und Putin
Bei Anruf Frieden