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Archiv-Artikel

Krautgerockt

Jazzfaschisten und Indiespießer funkten beim Auftritt des Tied & Tickled Trios auf verschiedenen Frequenzen

Wie wichtig die richtige Hirnverdrahtung sein kann! Spazierte man am Mittwoch mit den Synapsenverbindungen eines Jazzfaschisten in die Volksbühne, erlebte man ein anderes Konzert, als wenn man sich mit dem Mindset eines Indie-Spießers zum Tied & Tickled Trio begab.

Das Tied & Tickled Trio ist einer der zahllosen Ausläufer des weltbekannten Musikeruniversums aus der bayrischen Postrock-Kleinstadt Weilheim. Es handelt sich jedoch mitnichten um ein Trio: In der Volksbühne umfasste die Gruppe elf Köpfe. Sechs Bläser, zwei Schlagzeuger, einen Bassisten, einen Elektroniker und einen Perkussionisten.

Nein, die Gruppe nennt sich nach einer japanischen Sexpraktik, bei der jemand gefesselt und so lange gekitzelt wird, bis der Spaß aufhört. Und um das komplizierte Referenzspektrum zu komplettieren: Eine Inspirationsquelle der Musiker sind die Schriften des Kybernetikers Heinz von Förster, der sich in den Siebzigern mit Rückkoppelungsphänomenen beschäftigt hatte. Deshalb heißt die letzte bei Morr Music erschienene Platte des Tied & Tickled Trios auch „Oberserving Systems“: weil man als Teil eines improvisierenden Ensembles immer gleichzeitig Beobachter und Teil des beobachteten Systems ist.

Wenn man dieses System nun in der Volksbühne in musikalischer Aktion beobachtete, musste man sich allerdings große Mühe geben, einigermaßen bei sich zu bleiben, so sehr wurde man hin- und hergerissen zwischen den eigenen Rezeptionsmodi.

Als Jazzfaschist freute man sich an den Gil-Evans-inspirierten Bläserarrangements, die sich wunderschön über die amtlich vor sich hin krautrockenden Groove der Rhythmusgruppe legten. Wenn einer der Bläser dann zum Solo ansetzte, wendete man seinen guten Willen an, um darüber wegzuhören, dass die Solisten den Anspüchen des Jazz einfach nicht genügten. Als ausgemachter Indiespießer dagegen mochte man gerade dieses nicht wirklich gekonnte Spielen auf einer Bassklarinette oder einem Tenorsaxofon, da ungebrochene Virtuosität auf ein perfektionistisches Ideal verweist, das man mit Nachdruck ablehnt.

Als Jazzfaschist wunderte man sich, was sich in den Sound des Tied & Tickled Trio alles inkorporieren ließ – Dub, Rock, Electronica. Als Indiespießer freute man sich an dieser allumfassenden Umarmungsgeste in sämtliche Richtungen des eigenen guten Geschmacks.

TOBIAS RAPP