: Krasse Kraftwerke
RADLERAPOTHEKE Bei der 100. Tour de France dürfte auch das Dopingmittel Epo zur Vergangenheit gehören. Die Profis nehmen nun das nicht nachweisbare Aicar, das Körperfette reduziert und Muskelkraft erhöht
Als Danilo Di Luca beim Giro d’Italia wegen einer positiven Epo-Probe aus dem Peloton gezogen wurde, ging ein Aufschrei der Entrüstung durch die Welt des Radsports. Der Italiener wurde von Berufskollegen als „Dummkopf“, „krank“ und „unverbesserlich“ bezeichnet. „Dumm“ war Di Luca vor allem deshalb, weil er es mit Betrugsmethoden versucht hatte, die Antidopingjäger mittlerweile recht einfach enttarnen können.
„Insgesamt sind die Verfahren weiter verbessert. Wir können jetzt auch kleinere Mengen noch besser nachweisen. Es kommt aber immer wieder auch auf den Zeitpunkt der Kontrolle an. Wenn der gut gewählt ist, dann haben wir deutlich mehr Chancen, in den Urinproben fündig zu werden“, zog der Kölner Antidopingexperte Mario Thevis gegenüber dieser Zeitung eine Zwischenbilanz in Sachen Epo.
Dass bessere Kontrollen für ein Präparat nicht unbedingt einen Mentalitätswechsel in Sachen Doping überhaupt herbeiführen, zeigt das Mittel GW1516. Obwohl die Weltantidopingagentur Wada im März dieses Jahres eindrücklich vor diesem Mittel warnte, weil es in klinischen Tests zu Tumorbildungen geführt hatte, und darauf hinwies, dass es einen erfolgreichen Test gebe, wurde danach ein halbes Dutzend Radprofis erwischt. Unter ihnen war mit dem Venezolaner Miguel Ubeto (Lampre) auch ein designierter Tourteilnehmer. GW1516 lässt nach Auskunft von Thevis „die Mitochondrienzahl, also die Anzahl der Kraftwerke der Muskelzellen, steigen. Sie nehmen nicht an Muskelmasse zu, aber Sie steigern die Effektivität der vorhandenen Muskulatur. Und es kommt zu einem geringeren Fettaufbau.“
GW1516 könnte erklären, warum in den letzten Jahren Radprofis, die den Körperfettgehalt extrem abgebaut hatten, um Gewichtsvorteile in den Bergen zu haben, dennoch eine Powermuskulatur für Bergsprints und sogar fürs Zeitfahren im Flachen hatten. Bemerkenswert dabei ist, dass die klinischen Forschungen zu GW1516 wegen der Krebsbildungen bereits 2006 eingestellt wurden. Thevis vermutet, dass die derzeit im Internet erhältlichen Packungen „in Untergrundlaboren extra für den Leistungssport hergestellt“ würden.
Eine ähnliche Wirkungsweise wie GW1516 hat Aicar. „Es greift über einen anderen Weg in die Produktion neuer Mitochondrien ein. Es ist ein erfolgversprechendes Medikament gegen Fettleibigkeit und hat ein Dopingpotential“, erklärt Thevis. Leere Aicar-Packungen wurden schon während der Tour de France 2009 von der französischen Polizei in einem Teamhotel des Astana-Rennstalls gefunden.
Der Nachweis einer Einnahme von Aicar ist nicht einfach, denn auch der menschliche Körper produziert es. „Es ist analog zu Testosteron. Wir müssen zeigen, dass es sich nicht oder nicht ausschließlich um körpereigenes Aicar handelt“, meint Thevis. Ein Test ist in Arbeit. Bis dahin sollen Thevis zufolge Urinproben mit einer verdächtig hohen Aicar-Konzentration zwischengelagert und später nachanalysiert werden.
Einen natürlichen Grenzwert für Aicar haben Thevis und seine Kollegen mittlerweile bestimmt. Warum die Antidopingagenturen mit diesem Grenzwert im Rahmen von individuellen Blut- und Urinprofilen nicht arbeiten, mochte die Wada auf Anfrage nicht beantworten.
Derzeit stellt sich für den Muskelaufbauturbo Aicar die Sachlage so dar, wie es bis 2002 mit dem Blutstimulator Epo der Fall war. Der Gebrauch ist strafbar. Weil man ihn noch nicht nachweisen kann, ist jedoch der Anreiz zu betrügen enorm hoch.
TOM MUSTROPH