Krankenkassen im Milliarden-Plus: 1,91 oder ein paar Mal 10 Euro?
Weil die Krankenkassen Überschuss erwirtschaftet haben, will die FDP die Praxisgebühr abschaffen. Die CDU will Beitragssenkung. Ein Kassensprecher nannte die Politker-Ideen allesamt „unseriös“.
BERLIN dpa | Die Koalition streitet weiter über die Verwendung des 20-Milliarden-Überschusses bei den gesetzlichen Krankenkassen. Die FDP pochte laut Medienberichten zufolge am Wochenende erneut und massiv auf Abschaffung der Praxisgebühr.
Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) stellte dagegen den Versicherten eine Beitragssenkung von 0,1 Prozentpunkten in Aussicht. Für den Einzelnen bedeutet das eine Entlastung von maximal 1,91 Euro pro Monat.
Unionsfraktionsvize Johannes Singhammer (CSU) mahnte zu „Vorsicht, Achtsamkeit und Zurückhaltung“. Würden alle derzeit kursierenden Vorschläge umgesetzt, wäre von dem Geld bald gar nichts mehr da, sagte Singhammer. Angesichts möglicher Zukunftsbelastungen müsse man es aushalten können, auch mal eine Weile mit Überschüssen zu leben.
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte, die Abschaffung der Praxisgebühr „würde den Versicherten direkt zugutekommen“. Zudem habe die Gebühr nicht die erhoffte Steuerungswirkung erbracht. „Wir liegen nach wie vor mit durchschnittlich 18 Arztbesuchen pro Kopf im Jahr im europäischen Spitzenbereich.“
FDP-Generalsekretär Patrick Döring verwies auf die Abmachung im Koalitionsvertrag, die Praxisgebühr zu entbürokratisieren. Döring sagte: „Ich kann mir keine schönere Entbürokratisierung vorstellen als die Komplettabschaffung.“ Die Praxisgebühr sei auch bei den Ärzten unbeliebt.
SPD bezeichnet Beitragssenkung als „Witz“
Einige Zeitungen hatten zuvor berichtet, in der Koalition zeichne sich eine Einigung ab, wonach ein kleinerer Teil des Überschusses von fast 20 Milliarden Euro an den Bundeshaushalt abgetreten werden solle. Zugleich solle der Beitragssatz spätestens zum 1. Januar 2013 um 0,1 Punkte auf dann 15,4 Prozent sinken. Die Höhe der in Aussicht gestellten Beitragssenkung bezeichnete SPD-Fraktionsvize Elke Ferner als „Witz“. Schwarz-Gelb hatte erst Anfang 2011 den Krankenkassenbeitragssatz von 14,9 auf 15,5 Prozent erhöht.
Ein Sprecher der Barmer-Ersatzkasse kritisierte Überlegungen zur Senkung der Beiträge wie der Steuerzuschüsse. „Angesichts steigender Ausgaben und dem baldigen Auslaufen wichtiger Spargesetze sind die Planspiele der Politik unseriös.“ Die Pläne brächten den Versicherten fast nichts, gefährdeten aber gleichzeitig den Finanzhaushalt der Krankenkassen.
Eine Senkung der Beiträge um 0,1 Prozentpunkte würde Arbeitgeber und Versicherte um insgesamt 1 Milliarde Euro entlasten. Die Praxisgebühr bringt jährlich 2 Milliarden Euro ein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich