Kranich-Beobachtung in Brandenburg: "Es ist ein schönes Spektakel"
Immer mehr Kraniche kommen auf der Durchreise nach Brandenburg, sagt Ornithologin Jana Albrecht. Aber darum bräuchte es auch noch mehr Feuchtgebiete.
taz: Frau Albrecht, letzte Woche haben Sie an einem einzigen Tag 21.100 Kraniche gezählt. Was machen die Kraniche alle in Brandenburg?
Jana Albrecht: Die sind hier auf dem Durchflug in Richtung Süden. Die meisten kommen aus Skandinavien, hauptsächlich aus Schweden. Sie übernachten hier und fressen sich Fettreserven an, machen also eine ganze Weile Pause, um weiterzufliegen, wenn das Wetter wieder günstig ist.
Die 37-jährige Diplombiologin ist im Vorstand des Nabu Brandenburg. Sie arbeitet beim Verein Kranichschutz Deutschland.
Brandenburg ist mit mehr als 1.600 Kranichpaaren, fast ein Drittel aller Brutpaare in Deutschland, nach Mecklenburg-Vorpommern das wichtigste Verbreitungsgebiet. Dazu kommen im Frühjahr und Herbst Zehntausende Kraniche auf der Durchreise von ihren Sommerbrutgebieten in Skandinavien und dem Baltikum nach Spanien, Portugal und Nordafrika (und umgekehrt).
Die meisten Kraniche auf einem Fleck kann man im Rhin-Havelluch (Ostprignitz-Ruppin) sehen: Jährlich sammeln sich dort zur Spitzenzeit Anfang Oktober bis zu 80.000 Vögel.
Ist es normal, dass es so viele sind?
Sowohl die hier lebenden Brutpaare als auch die Kraniche auf dem Durchflug sind mehr geworden. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl verdoppelt.
Was macht Brandenburg denn so attraktiv für sie?
Die Bedingungen waren in den letzten Jahren sehr gut, weil die Rastplätze geschützt werden und das Angebot an Schlafplätzen erweitert wurde. Die Brutpaare zum Beispiel haben sich jedes mögliche Biotop gesucht. Teilweise haben die sich neben den Bahnlinien eingerichtet. Hauptsache, es ist ein bisschen feucht und getarnt.
Warum muss es feucht sein?
Kraniche schlafen gern mit feuchten Füßen, stehen also in flachen Feuchtgebieten, wenn sie schlafen. Dazu ist die Niedermoorlandschaft Rhinluch in Ostprignitz-Ruppin ideal. Aber es wäre schön, wenn es im Umland mehr Feuchtgebiete gäbe, dann würde sich nicht alles auf die Gegend hier rund um Linum konzentrieren. So herrscht hier rund um Linum manchmal Chaos unter den Kranichen. Immerhin sind hier an Spitzentagen bis zu 80.000 Vögel. Und gerade jetzt, wo sie Kraft und Ruhe tanken sollten, ist das ein Nachteil.
Wie zählt man eigentlich 80.000 Kraniche?
Am einfachsten ist es, die Kraniche morgens beim Ausflug zu zählen. Noch vor Morgengrauen beziehen wir einzelne Positionen rund um das Schlafgewässer. Wir sind da inzwischen ein ziemlich eingespieltes Team. Alles, was über meinen Sektor, meinen Kopf sozusagen, hinwegfliegt, zähle ich. Das dauert in etwa zwei Stunden. Wir beginnen morgens um sechs.
Wird das nicht mal langweilig?
Nein, es ist immer wieder spannend. Schließlich verhalten sich die Kraniche jeden Morgen etwas anders. Außerdem gibt es ja auch immer die Spannung, wie viele es heute sind. Es ist schon fantastisch. Freiwillig stehe ich sonst nicht so früh auf.
Was ist das Faszinierende an Kranichen?
Es ist schon ein ganz schönes Spektakel. Die Kraniche rufen durch ihre lange Luftröhre einen wunderschönen Laut aus, der durch Mark und Bein geht.
Rufen sie was Bestimmtes?
Die rufen ihren lateinischen Namen. Sie heißen Grus grus. Für mich klingt es immer ein bisschen wie Fernweh. Manchmal denke ich, die Kraniche rufen so, als ob sie sich das ganze Jahr darauf gefreut haben, sich hier zu treffen. Das klingt dann nach Jubel im Fußballstadion.
Gibt es Leute, die sich gestört fühlen von den Kranichen?
Eigentlich nicht. Es kann Schwierigkeiten geben, wenn sich die Kraniche an die Winterernte der Bauern machen. Sie essen sehr gern Mais. Wir stehen dann zur Verfügung, um sie von den Feldern zu vergrämen.
Wie machen Sie das?
Wir stehen dann bestenfalls am Feld, bevor die Kraniche überhaupt landen können. Für einen Kranichschützer ist das keine schöne Arbeit. Kraniche sind sehr störungsempfindlich. Wenn ein Mensch auf dem Acker entlangspaziert, gehen sie dort nicht runter. Was wir auch machen, ist Mais streuen, damit die Kraniche, wenn sie verjagt werden, trotzdem noch Nahrung bekommen. Das machen wir aber nur zur Winterernte. Es soll keine Fütterung sein.
Wenn ich mir Kraniche ansehen will, wie mache ich das, ohne groß zu stören?
Man sollte sich einfach ein wenig zurücknehmen. Die meisten machen das ja auch ganz gut und bleiben auf den Wegen und an den Ausguckstellen, die es gibt. Wer im Auto unterwegs ist und Kraniche sieht, sollte nicht sofort aus dem Wagen springen, sondern sich das Spektakel vielleicht einfach vom Auto aus ansehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!