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Kostenfaktor Argentinien

Wie der radikale Privatisierungskurs und die neue Stärke des Peso Argentinien in den wirtschaftlichen Abgrund drängen  ■ Aus Buenos Aires Astrid Prange

Argentiniens Wirtschaftsminister Domingo Cavallo wird von seinen eigenen Wirtschaftsreformen an die Wand gedrückt. Der radikale Privatisierungskurs hat das lateinamerikanische Land zwischen Pampa und Anden zu einem der teuersten Produktionsstandorte weltweit gemacht. „Wie kann man in einem Land mit so hohen Kosten für Telefon, Transport, Energie und Häfen konkurrenzfähig produzieren?“ ereifert sich Frederico Storani, Abgeordneter der Oppositionspartei UCR.

Damit nicht genug: Die durch den Verkauf von „Omas Juwelen“ vorangetriebene Massenarbeitslosigkeit von über 20 Prozent und die immer stärkere Konzentration von Vermögen haben innerhalb der argentinischen Regierung zu Auseinandersetzungen geführt. Der Streit zwischen Argentiniens Präsident Carlos Menem und seinem Wirtschaftsminister Cavallo um den künftigen Wirtschaftskurs, gepaart mit den Aufständen unzufriedener Beamter, die monatelang keine Gehälter bezogen, verscheucht potentielle ausländische Investoren.

Seit der Währungsreform vor fünf Jahren, die den argentinischen Peso dem US-Dollar gleichsetzte, schwoll das argentinische Bruttosozialprodukt um 35 Prozent auf rund 280 Milliarden Dollar an. Doch zugleich wuchs nach UN- Angaben die Zahl der Familien, die monatlich weniger als tausend Mark zur Verfügung haben, auf 1,5 Millionen an.

„Armut, Rekordarbeitslosigkeit und die Einkommenskonzentration bedrohen den bisherigen Wirtschaftskurs“, räumte Guillermo Mondino auf einem Wirtschaftsgipfel im argentinischen Wintersportparadies Bariloche ein. Doch der Direktor der regierungsnahen Stiftung „Fundación Mediterránea“ plädiert nicht für eine Kursänderung, sondern für ein „Weiter so“: mehr Privatisierungen und Kürzungen von Sozialausgaben, um Haushaltsdefizit und Auslandsschulden abzubauen. Die einzige Chance, den „Kostenfaktor Argentinien“ zu verringern, liegt seiner Ansicht nach in Lohnkürzungen und dem Abbau von Arbeitnehmerrechten. Fünf Jahre nach der sogenannten Dollarisierung des Peso, die die Hyperinflation bändigte und den Argentiniern nach langer Zeit das Gefühl einer stabilen Währung vermittelte, beginnen die Säulen des „Plano Cavallo“ zu wackeln. Die Begeisterung über den starken Peso, die zunächst einen die Konjunktur anregenden Konsumrausch auslöste, ist vorbei. Um begehrte Importgüter wie Fernseher, Computer und Autos zu erlangen, verschuldete sich Argentiniens Mittelschicht in Dollar. Der durch die Überbewertung des Peso und die abrupte Öffnung der Grenzen verursachte Wirtschaftsboom kam dabei in erster Linie ausländischen Konzernen zugute. Argentiniens eigene Industrie wurde durch die internationale Konkurrenz in die Knie gezwungen.

Cavallos Plan, durch den Abbau von Zollschranken und den massiven Ausverkauf von Staatsbetrieben die Wirtschaft anzukurbeln, schlug somit fehl. Ausländische Anleger interessierten sich ausschließlich für die Privatisierung gewinnträchtiger Staatsbetriebe wie der Telefongesellschaft Entel. „Die Konzentration ausländischen Geldes im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen geht zu Lasten von Investitionen im Bereich exportfähiger Güter“, erklärt Pablo Bustos von der Friedrich-Ebert- Stiftung in Buenos Aires.

„Jetzt fehlt nur noch, daß wir die Plaza del Mayo verkaufen“, spottet der argentinische Schriftsteller und Theaterregisseur David Viñas. Wie Tausende seiner Landsleute ist er überzeugt, daß Cavallos Modell der Dollarisierung an seine Grenzen gestoßen ist. „Wir müssen uns etwas Neues „ausdenken“, mahnt er. Aber was?

„Das Problem von Cavallo ist, daß er extrem abhängig von der internationalen Bankenwelt ist. Ohne seine Freunde bei der Citibank bricht alles zusammen“, analysiert Chacho Alvarez, Führer des Oppositionsbündnisses Frepaso. Besonders deutlich wurde das nach der Finanzkrise in Mexiko vor einem Jahr: Sie stürzte auch Argeninien in eine Rezession, weil ausländisches Kapital massenweise abgezogen wurde.

Wie lange die Regierung Menem sich mit Weltbank- und Währungsfondskrediten noch von einem Zahlungstermin zum nächsten hangelt – in diesem Jahr summieren sich die internationalen Verpflichtungen der argentinischen Regierung nach eigenen Angaben auf 5,24 Milliarden Dollar – wagt keiner vorherzusagen. „Wenn Menem nicht den Kurs ändert“, prophezeit Cesar Liquin, Wirtschaftsredakteur bei der Zeitung El Tribuno de Jujuy, „vollendet er nicht seine zweite Amtszeit.“

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