Korruption in der Slowakei: Wildwest im Osten
Die SlowakInnen haben genug von dem mordenden Klüngel aus Politik, Wirtschaft und Politik. Die neue Matovič-Regierung verspricht Anstand.
D ie Rasanz, mit der die slowakische Polizei am frühen Mittwochmorgen zur Tat schritt, hatte einen Hauch von jakobinischem Eifer: Bei wohl orchestrierten Hausdurchsuchungen wurden zwölf hohe Justizbeamte einschließlich einer Staatssekretärin festgenommen. Noch ist die designierte Regierungskoalition um Igor Matovič, Überraschungssieger der Nationalratswahlen Ende Februar, nicht im Amt. Die morgendlichen Razzien bei den Richtern werden in der Slowakei als erster Vorbote ihres Wirkens gesehen.
Matovič gewann die Wahlen, weil seine Wähler ihm glauben, dass er es ernst meint, wenn er verspricht, dass er die korrupten Strukturen aus Politik, Wirtschaft, Justiz und organisiertem Verbrechen, die sich wie ein Netz um den Staat gesponnen haben, zerschlagen wird. Sie wollen es ihm glauben, denn irgendjemand muss ja das Land aus dem Morast führen, der in den vergangenen 25 Jahren immer tiefer geworden ist. Da wird selbst die Polizei, die maskiert und bewaffnet Vertreter der dritten Gewalt in Handschellen abführt, zum Hoffnungsträger einer „anständigen“ Slowakei.
„Anständig“ ist das Zauberwort, mit dem die Slowaken das Land beschreiben, in dem sie in Zukunft gerne leben möchten. Was an der Slowakei unanständig ist, hatte der Mord an Ján Kuciak brutal offengelegt. Innerhalb der mafiösen Strukturen des Landes wird seit jeher vor sich hin gemordet, mal mehr, mal weniger öffentlich. Aber Kuciak war ein junger Journalist und seine Verlobte Martina Kušnírová nur zur falschen Zeit am falschen Ort. In dem Moment, als man ihre Leichen fand, wurde den Slowaken schlagartig klar, dass es jede und jeden treffen könnte. Dass der mafiöse Klüngel aus Politik, Wirtschaft und Justiz nach Belieben über Leben und Tod richten kann. Da reichen schon ein paar Chat-Nachrichten und 50.000 Euro. Zwei Jahre später ist klar: Die Schüsse waren der Startschuss für eine neue Etappe in der Landesgeschichte.
Bislang gleicht diese einer Endlos-Fernsehserie um Macht und Geld. Die erste Folge nennen wir einfach „Mečiar“, nach dem ersten Ministerpräsidenten der unabhängigen Slowakei, von 1993 bis 1998 im Amt. Sie nahm ihren spektakulären Auftakt am 29. April 1996 an der Kreuzung einer Ausfallstraße am westlichen Stadtrand von Bratislava, als dort um 22.15 Uhr ein BMW in die Luft flog. Sein Fahrer, der 25-jährige Richard Remiáš, war sofort tot. Der Ex-Polizist musste sterben, weil er zu viel über die Rolle des slowakischen Nachrichtendienstes SIS bei der Entführung des Sohnes des damals amtierenden Präsidenten drei Jahre zuvor wusste.
Die erste Staffel dieser Serie endete im Frühjahr 2018 genauso brutal, wie sie 22 Jahre zuvor begonnen hatte: mit dem jungen Journalisten Ján Kuciak und seiner Freundin Martina Kušnírová werden die mafiösen Strukturen offengelegt, die sich im Lauf der 15 Jahre langen, dreiteiligen Folge „Fico“ wie ein Netz um den Staat gelegt hatten.
Geld und Morde
Die Zeit zwischen den Auftragsmorden birgt alles, was so eine Serie bietet: Geld und Macht, Glanz und Schönheit, Intrige und Verrat, Betrug und Korruption, Bandenkriege, mehr Entführungen, mehr Auftragsmorde. Und zwischendurch wird mal ein Ex-Minister erschossen. Oder ein ehemaliger Verfassungsrichter. Es ist ein wilder Osten, verborgen hinter der westlichen Fassade des mitteleuropäischen Wirtschaftstigers.
Wenn die Slowakei eine Fernsehserie wäre, könnte man die erste Staffel „Wilder Osten West“ nennen: Dallas an der Donau, nur sind es nicht Ölbarone, sondern Finanzfürsten, die morgens mit dem Hubschrauber von ihrem Anwesen in den Weißen Karpaten zur Arbeit in den eigenen Bürotürmen gleich neben der Altstadt von Bratislava fliegen. Ein House of Cards, in dem sich das Spiel weniger um Politik als um Profit dreht. Aber immer um Macht. Die Hauptrolle müsste dabei einfach den Werdegang des Marián Kočner darstellen. Der war immer dabei in den letzten 25 Jahren, mal im Vordergrund, wie im Streit um den Fernsehsender Markíza oder als Bürgermeisterkandidat in Bratislava 2006, mal im Hintergrund. Als Auftraggeber ließ Kočner erst beschatten, und irgendwann, als er jeden kannte und viele in der Tasche hatte, fühlte er sich unverwundbar und ließ zwei junge Menschen erschießen.
Damit hat Kočner eine Grenze überschritten und eine Entwicklung in Gang gesetzt, die in den Nationalratswahlen einen vorläufigen Höhepunkt fand. Wahlsieger Igor Matovič ist seit zehn Jahren in der Politik und gilt als Entertainer und Enfant terrible zugleich. Und vor allem als eins: unberechenbar. Der 46-Jährige ist die slowakische Version des unpolitischen Politik-Quereinsteigers, dessen Erfolg beim Wähler wächst, je mehr die Legitimität der traditionellen Parteipolitik schwindet. Matovič gibt sich streng konservativ, weil zwei Drittel der Slowaken sich als konservativ bezeichnen. Mit seinen Happenings hat er sich das Image eines neuzeitlichen Janošík gegeben. Der slowakische Nationalheld nahm den Reichen, gab den Armen und trotzte der Obrigkeit: Drei Tage soll Janošík an dem Haken, an dem er der Legende nach an der Rippe aufgehängt wurde, noch frech Pfeife geraucht haben.
Nicht ausgeschlossen, dass Igor Matovič anfangen würde, Pfeife zu rauchen, um sein Image als moderner Janošík zu unterfüttern. Er ist ein Marketingprodukt, das gezielt die derzeitige Nachfrage in der Slowakei erfüllt, ein neues, anständiges Kapitel in der Geschichte des Landes zu eröffnen. Wie das dann aussieht, muss sich erst zeigen. Die designierte Regierung setzt auch auf neoliberale Pragmatiker wie Richard Sulík und ein zivilgesellschaftliches Element, das die kleine „Für die Menschen“-Partei mit in die Koalition bringt. Mit dem Populisten Boris Kollar sitzt allerdings auch ein Vertreter der alten Strukturen mit am Tisch. Ob die Slowakei unter der Matovič-Regierung “anständig“ wird oder ob sie sich unanständig neu definiert – Fortsetzung folgt.
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