Korruption in China: Prozess gegen früheren Spitzenkader
Der Skandal um den einst schillernden Politstar Bo Xilai hat jetzt auch rechtliche Konsequenzen. Er ist angeklagt. Ihm droht eine lebenslange Haftstrafe.
PEKING taz | Die Anklagepunkte wiegen schwer: Die chinesische Staatsanwaltschaft wirft dem vor anderthalb Jahren gestürzten Spitzenpolitiker Bo Xilai „Bestechlichkeit, Unterschlagung und Machtmissbrauch“ vor. Der 64-Jährige habe „extrem hohe Summen Geldes und Besitz“ illegal angenommen, heißt es in der Anklageschrift. Und das über viele Jahre hinweg. Zudem habe er seine hohe Stellung genutzt, um sich selbst Vorteile zu verschaffen.
Diese Vorwürfe dürften ausreichen, dass der ehemalige Handelsminister und spätere mächtige Parteichef der 30-Millionenstadt Chongqing sein Leben lang nicht mehr auf freien Fuß kommt. Doch damit nicht genug. Mehreren chinesischen Medienberichten zufolge soll sich Bo bei seinen Vernehmungen nicht kooperativ und so wenig einsichtig gezeigt haben, dass sich sein Strafmaß noch einmal erhöhen könnte. Selbst die Todesstrafe wird nicht mehr ausgeschlossen. „Die Interessen des Staates und des Volkes wurden schwer geschädigt“, heißt es in der Anklageschrift.
Chinas amtlicher Nachrichtenagentur Xinhua zufolge hat die Staatsanwaltschaft die Anklageschrift gegen Bo am Donnerstag bei einem Volksgericht in der ostchinesischen Stadt Jinan eingereicht, der Provinzhauptstadt von Shandong. Der Prozess werde „in Kürze“ beginnen, heißt es.
Was in China in der Anklageschrift steht, kommt einem Urteil gleich. Nur das Strafmaß ist bei der Erhebung meist noch unklar. Experten gehen davon aus, dass Bo's Mindesthaftstrafe bei 15 Jahre liegen wird. Sollte die Todesstrafe verhängt werden, wird sie sehr wahrscheinlich dennoch nicht vollzogen, sondern in „Todesstrafe auf Bewährung“ umgewandelt. In China heißt das: Lebenslange Haftstrafe. So wurde schon bei seiner Ehefrau Gu Kailai verfahren, die sich zusätzlich wegen Mordes verantworten musste. Sie wurde im vergangenen Herbst verurteilt.
Bo Xilai gilt als "Prinzling"
Beide kommen aus mächtigen Familien, die sich aus Sicht der regierenden Kommunistischen Partei verdient gemacht haben. Bo ist der Spross von Bo Yibo, Gründungsmitglied der KP und einer der „acht Unsterblichen“. Wie auch der seit Jahresbeginn regierende Staatspräsident Xi Jinping gilt Bo Xilai als sogenannter "Prinzling."
Die Affäre um das Ehepaar Bo fand im Frühjahr des vergangenen Jahres ihren vorläufigen Höhepunkt. Am 2. Februar 2012 war der Polizeichef der Metropole Chongqing, Wang Lijun, unverhofft in das US-Konsulat in der Nachbarstadt Chengdu geflohen, weil er um sein Leben fürchtete.
Der wegen seiner umstrittenen Verbrechensbekämpfung auch als „Superbulle“ bekannte Polizeichef galt als enger Vertrauter von Bo. Doch Wang verriet, dass hinter dem Mord an einem britischen Geschäftsmann Bo's Gattin Gu Kailai steckt. Sie hatte den Briten vergiftet, nachdem es beim Schmuggel von Familienvermögen des Ehepaares ins Ausland zu einem Zerwürfnis gekommen war.
Die Enthüllung des Skandals stürzte die chinesische Führung in eine schwere Krise – wurde darüber doch bekannt, dass selbst Spitzenpolitiker in schwere Korruptionsfälle involviert sind. Bis dahin gab es in der Bevölkerung nur vage Vermutungen.
Zudem fiel diese Affäre mitten in den Führungswechsel, der in China nur alle zehn Jahre stattfindet. Bo galt als aufsteigender Stern und war die Gallionsfigur einer bestimmten Strömung innerhalb der Führung. Er hatte mächtige Unterstützer. Sie sahen in Bo's Sturz einen Komplott. Selbst Putschgerüchte machten die Runde.
Bo steht seit seiner Entmachtung unter Hausarrest und wird an einem unbekannten Ort festgehalten. Über seine Haftbedingungen ist nur wenig bekannt. Zwischendurch kursierten im chinesischen Internet Bilder von ihm mit Vollbart. Den soll er sich aus Protest zugelegt haben. Die Parteiführung hatte ihm im September seine Mitgliedschaft aberkannt. Doch auch dann schien er noch Unterstützer zu haben.
Der China-Experte Jerome Cohen von der New York University of Law vermutet, einige innerhalb der Parteiführung wollten ihn lediglich unter Hausarrest stellen – vielleicht um ihn irgendwann wieder rehabilitieren zu können. Eine rechtliche Verurteilung dürfte einen solchen Schritt sehr erschweren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Privatjet auf Sylt besprüht
Haftstrafen für Letzte Generation – ohne Bewährung
Abtreibungen legalisieren
Beschwörung eines „Kulturkampfes“, den es nicht gibt
Kürzungen im Kulturetat von Berlin
Gehen Kassiererinnen in die Oper?
Offensive in Syrien
Ist ein freies Syrien möglich?
Pressefreiheit in Israel
Bibis Medien-Blockade
Krankenkassen-Infos zur E-Patientenakte
Vorteile? Ja. Nachteile? Schweigen…