Korbflechten ist auch keine Alternative: Über die Unmöglichkeit, aufzugeben
Umorientieren geht – Aufgeben nicht. Dabei ist es nur die logische Antwort auf die Endlichkeit unserer Kräfte.
K ürzlich war ich bei einem Coaching, um zu klären, wie es beruflich mit mir weiter gehen könne. „Ich gebe das Projekt auf, vom Journalismus leben zu können“, sagte ich. „Zumindest von einem, der mich interessiert.“ „Nennen Sie es doch Umorientieren statt Aufgeben“, meinte die Coaching-Frau und ich sortierte es in meinem Kopf in die Rubrik Umorientierung. Aber die einzige Umorientierung, die mir einfiel, war eine Umschulung zur Korbflechterin, was selbst mir abwegig erschien.
Am Abend beschäftigte ich mich mit zurückgegangenen Lastschriften, als es klingelte. Vor der Tür stand der Ethikrat, das sind drei ältere Herren von geringer Größe, die mir gelegentlich Hinweise in Fragen praktischer Ethik geben. Der Rat wirkte in etwa so gut gelaunt wie ich. „Guten Abend“, sagte ich. „Was verschafft mir die Freude?“
„Wir wollen Ihnen ein Forschungsprojekt unterbreiten“, sagte der Ratsvorsitzende. „Vielleicht wollen Sie uns hereinbitten.“ „Natürlich“, sagte ich verlegen. Wir gingen ins Wohnzimmer und mir fiel auf, dass der Rat, der eigentlich auf sein Äußeres hält, löchrige Schuhe und fleckige Jackets trug. Ich bot ihm zuckerfreie Dattelpralinen an, das einzige, was noch anzubieten war, weil sie niemandem schmeckten.
Der Vorsitzende nahm eine Praline und zog ein Papier aus seiner abgeschabten Aktentasche. „Wir wollen Ihnen eine Forschungskooperation vorschlagen, Frau Gräff“, sagte er. „Es geht um Legalitätskonzepte im Wandel der Zeit. Sicher haben Sie die Debatte um die Legalisierung bislang verbotener Drogen verfolgt, die unserem Projekt die Anbindung an den gegenwärtigen Diskurs ermöglicht.“„Hm“, sagte ich, denn neben vielem anderen habe ich den Anspruch aufgegeben, an der Spitze des Diskurses mitzuschwimmen und ich musste an meine letzte Coaching-Sitzung denken.
Auch die eigenen Kräfte sind endlich
„Warum ist das Aufgeben so verpönt?“, fragte ich. „Es ist doch etwas völlig Normales, dass die eigenen Kräfte oder Talente nicht für alles reichen. Und es ist klug, das zu erkennen. Stattdessen gilt es als memmig, als wären wir Soldatinnen und Soldaten, die man auf dem Schlachtfeld des Lebens zu absolutem Einsatz antreiben muss.“
Ich sah aus den Augenwinkeln, wie sich die beiden Ratsmitglieder, die in der Regel schwiegen, unter den Tisch beugten, um ihre Dattelpralinen unauffällig auszuspucken. „Dieser Terror, dass alles möglich ist, wenn wir es nur wollen, macht vor nichts halt“, fuhr ich unbeeindruckt fort, „schwanger werden, uralt werden, Krebs besiegen. Aber es kippt dabei von einer Möglichkeit in eine unbarmherzige Forderung an uns selbst.“
Der Ratsvorsitzende nickte desinteressiert. „Vielleicht darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf das Forschungsprojekt lenken“, sagte er. „Es ist sehr praktisch angelegt und wir wollten Ihnen eine aktive Rolle darin anbieten.“
„Was würde das bedeuten?“, fragte ich. „Sie würden Grenzen gegenwärtiger Legalität überschreiten“, sagte der Ratsvorsitzende, „etwa im Bereich Eigentum.“ Er schob den Zettel in meine Richtung. „Fallbeispiele“, stand dort: „1. Wucher mit Objekten angeblich künstlerischer Art. 2. Sprengung Bankautomat.“
„Würde unter Punkt eins auch Geflochtenes fallen?“, fragte ich. „Selbstverständlich“, sagte der Ratsvorsitzende. Ich überflog die Projektskizze und dachte, dass ich als alternde Frau mit bildungsbürgerlicher Anmutung gute Chancen für ein unauffälliges Eintauchen in die Kriminalität hätte. Als ich umblätterte, stieß ich auf eine sehr klein gedruckte Fußnote. „Die erwirtschafteten Gewinne gehen zu 80 Prozent an den Ethikrat“. Ich blickte auf. Der Ratsvorsitzende betrachtete mich kühl. Es schien ein Angebot zu sein, das man nicht ablehnen konnte. „Gerne“, sagte ich.
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