Konzertbesuch bei Konstantin Wecker: Seine Lieder sind klüger als er
Kaum ein Künstler bringt so glaubwürdig die Unvereinbarkeit der Ziele von 68 auf den Punkt wie der Liedermacher Konstantin Wecker. Ein Konzertbesuch in Berlin.
Die Ersten gehen bereits gegen 23 Uhr. Ja, was ist denn los? Da hat Konstantin Wecker grade mal drei Stunden gespielt. Vermutlich müssen sie früh raus. Oder sie können sich nicht mehr so lang revolutionär erregen. Aber hier soll es nicht um die Verfasstheit von Weckers Publikum gehen, das der Spiegel in bekannter Galanterie mal als die "Zukurzgekommenen" bezeichnet hat. Die Frage lautet: Was sagt die Kunst zu der Zeit, die wir gerade erleben? Wenn nicht einmal mehr der Kapitalismus sicher ist, dann ja wohl auch nicht, dass der Liedermacher Konstantin Wecker, 61, ein Mann von gestern ist.
Zuletzt hat man ihn hauptsächlich in linkskonservativen Zeitungen als Verteidiger von Lafontaine eingesetzt. So erschien er ein bisschen, als sei er der solitäre Kulturkreative der Linkspartei. Im Berliner Friedrichstadtpalast gibt er am Montagabend nicht oder nur selten das "Sprachrohr für unzufriedene Altlinke" (FAZ). Das Konzert ist eine Weiterentwicklung der Vorjahrestour, die auf dem Album "Zugaben - live" festgehalten ist: Greatest Hits aus 40 Jahren. Im Zentrum der Bühne die beiden Pianos von Wecker und seinem "pianistischen Alter Ego" Johannes Barnikel, dazu Gitarre, Bass, Schlagzeug.
"Lang mi ned o" spielen sie als Rocker, Weckers Jahrhundertsong "Genug ist nicht genug" verwandelt sich in "Smoke on the Water", bei "Questa Nuova Realta" (aus dem 93er Album "Uferlos") geht Wecker durch das Publikum - und "Willy" wird traditionell nicht gespielt. Dazwischen Texte, Bayern-Folk aus dem jüngsten Album, ein bisschen Kabarett, bisschen kapitalistische Feindbilder und eine angenehm temperierte Selbstironie, mit der Wecker auf seine Drogen- und Gefängniserfahrungen anspielt. In "Irgendwann" postuliert er: "Ein paar Kilo Kokain / und der schnöden Welt entfliehn." Verstehe: Dieser Mann geht nicht in Sack und Asche, er besteht auf seinem Leben und deshalb hat er sein autobiografisches Buch "Die Kunst des Scheiterns" genannt. Leben vollzieht sich erst wirklich in Niederlagen, das mag er sich zurechtgelegt haben. Aber er steht dazu und ist damit auf der Höhe der Zeit. Das sollte umgehend in der Therapie von Bankmanagern eingesetzt werden.
Wecker ist insofern eine solitäre Figur in der populären Kunst, weil kaum ein anderer die Unvereinbarkeit der Ziele von 1968 so auf den Punkt gebracht hat wie er: das soziale und sozialistische Weltverbessern und einen maßlosen, kapitalistischen Individualismus. Beim Treffen am Morgen in einem Leipziger Hotel hat er zu diesem Thema den schönen Satz gesagt: "Meine Lieder sind klüger als ich." Ein Selbstzitat, klar. Aber: Es steht.
Der Zeitgeist ist ja grade deshalb wieder nah bei Wecker, weil er bei sich blieb.
Seine Lieder, seine Vorstellungen von einem besseren (Zusammen)leben entziehen sich der Zeit und einer Partei. Das bessere, gerechtere Leben vollzieht sich in einem Paralleluniversum, und im Wecker-Konzert kriegt man eine Ahnung davon, wie es sich anfühlt. Es gibt einen Moment an diesem Abend, an dem er auch den Härtesten kriegt - beim Titelsong der Tournee "Was keiner wagt". Das ist ein Pfarrer-Text für einen utopischen Kirchentag, in dem der Nonkonformismus gefeiert wird, das Standhalten gegen Mehrheiten und Mainstream. Wecker hat die Worte in Piano und Pathos eingewickelt. "Wo alles dunkel ist, macht Licht." Und so weiter. Das singt er so weckerhaft inbrünstig, dass man das Gefühl fast nicht aushalten kann. Genau das ist Weckers große Kunst.
Vor dem Weinen rettet nur noch der Gedanke an die Geschichte, in der Wecker ein Groupie mit ins Hotelzimmer nahm, bekam, was er wollte, Rührei für sich und sie bestellte - und am Ende auch ihr Rührei komplett aufaß. Stimmt die Geschichte? Er könne sich nicht mehr erinnern, hatte Wecker im Hotel gesagt. Und fidel so was hinterhergebrummt wie: Aber warum sollte es nicht so gewesen sein?
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