Konzert von Iggy Pop in Hamburg: Der Lotse geht nicht von Bord
Mit Po-Blitzer: US-Protopunk Iggy Pop zeigte sich am Montagabend im Hamburger Stadtpark von seiner agilen Seite und wurde für seine Hits bejubelt.
Bizarres Setting für ein Iggy-Pop-Konzert: Der gesamte Publikumsbereich vor der Open-Air-Bühne im Hamburger Stadtpark ist am Montagabend bestuhlt. Nötig wäre das nicht unbedingt gewesen. Kaum ist das Intro verklungen, sitzt nämlich niemand mehr auf dem Arsch. Denn gleich mit „Five Foot One“ vom 1979er-Album „New Values“ macht der US-Künstler, der 1947 als James Newell Osterberg in der Kleinstadt Muskegon in Michigan auf die Welt kam, seinem Spitznamen als Godfather of Punk alle Ehre.
Akustische Arschtritte wie dieser hievten Iggy seinerzeit zwar nicht an die Spitze der Charts, sie liefen auch nicht im Powerplay von Hitradios, dafür leisteten sie etwas anderes: Sie ebneten Jüngeren den Weg, wie die Karrieren von The Clash, Nirvana oder Bikini Kill gezeigt haben.
Ob Iggy Pop auch wie diese schon in jungen Jahren weltberühmt geworden wäre? Vermutlich nicht. Einzig durch seine Zusammenarbeit mit David Bowie spürte er zumindest einen Hauch von Ruhm. Vor allem dank des Albums „Lust for Life“, das 1977 in Westberlin zusammen mit Bowie entstanden war. Der Titelsong sowie „The Passenger“ ermöglichten dem Sohn einer Sekretärin und eines Lehrers immerhin den Sprung in die britischen Top Twenty – allerdings erst Ende der 1990er.
„The Passenger“ mit Bläserarrangement
Beide Songs stehen am Montag im Stadtpark auf der Setlist. In der Popularitätsskala des Publikums rangieren sie weit oben, das lässt sich am frenetischen Jubel der sonst so reservierten Hanseat:Innen festmachen. Dabei gibt es „The Passenger“ gar nicht in Reinform, zwei Bläser motzen das Stück ein bisschen melodisch auf.
Iggy Pop hat die beiden im Schlepptau, weil er auch einige Nummern seines aktuellen Ambient-Jazz-Albums „Free“ (2019) spielt. Etwa „James Bond“ in der Zugabe und „Loves Missing“ ziemlich zu Anfang. Diese ruhigeren Stücke geben dem 75-Jährigen die Chance, sich zwischendurch Verschnaufpäuschen zu gönnen. „Ich bin jetzt ein alter Mann“, sagt er charmant. „Wir werden alle irgendwann sterben! Lasst uns einfach Spaß haben.“
Den hat er ganz offensichtlich auf der Bühne. Er strahlt, lässt sich feiern und markiert immer noch lustvoll den Wilden. Allerdings mit deutlich gemächlicherem Tempo als früher. Seitdem er von einem Verstärker stürzte, ist seine Wirbelsäule lädiert. Seine Beine sind ungleich lang, er hat Gelenkprobleme – all das schränkt seine Agilität etwas ein. Stagediving steht heute nicht mehr zur Debatte, geschenkt.
Wie ein Faltboot
Seinen nackten Oberkörper – inzwischen wie ein Faltboot aussehend, aber immer noch austrainiert – zeigt Iggy Pop nach wie vor gern. Recht schnell schleudert er seine Anzugjacke in eine Ecke. Er liebt es, mit dem Hintern zu wackeln. Blöd nur, dass seine Hose immer tiefer rutscht.
Am Ende gibt es das, was man in der Boulevardpresse wohl einen Po-Blitzer nennen würde. So etwas bringt einen Iggy Pop jedoch nicht aus dem Konzept. Warum auch? Erstens ist ihm bei seinen Auftritten nichts peinlich, zweitens weiß er mit seinem Gesang zu punkten.
Gebannt hört man ihm zu, wenn er bei „Loves Missing“ mit seiner Stimme ganz tief geht. Auch den Stooges-Klassiker „I’m Sick of You“ intoniert er souverän wie eh und je. Nicht nur unterstützt von männlichen Kollegen, sondern auch von der Gitarristin Sarah Lipstate.
Messerscharfe Riffs von Gitarristin Sarah Lipstate
Mit ihr arbeitete Iggy Pop an seinem jüngsten Album, nun begleitet die US-Künstlerin ihn bei seiner Tour und hat sich dafür Lieder wie „Search and Destroy“ von Iggy Pops früherer Band The Stooges elegant zu eigen gemacht. Selbstverständlich mit den messerscharfen Riffs der Originalfassung.
Iggy Pop kriegt mittlerweile aber nicht nur von seinen Fans Applaus. Vor zwei Jahren heimste er einen Grammy für sein Lebenswerk ein. Jüngst überreichte ihm Carl Gustav von Schweden den Polar Music Prize, den vor Iggy bereits Bob Dylan oder Paul McCartney erhielten. Im Herbst seiner Karriere ist der Leguan also doch noch im Rockolymp angekommen.
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